Kolumne: Das Altpapier am 17. Mai 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 17. Mai 2024 Die Skandalisierung ist der Skandal

17. Mai 2024, 11:13 Uhr

Das Gutachten zum vermeintlichen Plagiatsfall Föderl-Schmid wurde vorgestellt: Die Skandalisierung war nicht berechtigt. Außerdem: Was hat der "französische Rupert Murdoch" in Afrika vor? Und: Reicht ein einzelner Social-Media-Beleg, um über "den Diskurs" zu schreiben? Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Lesarten eines Gutachtens

Es bietet sich an, in den "Medieninsider" zu schauen, wenn es um diese Geschichte geht, die gewiss in Jahresrückblicken auftauchen wird – sie hat dort schließlich auch begonnen. Gemeint ist die Berichterstattung über die stellvertretende "SZ"-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid, der im Dezember vorgehalten wurde, sie gehe nicht immer sauber mit Quellen um. "Schreibt die Vize-Chefin der Süddeutschen ohne Kennzeichnung ab?" hieß der folgenreiche Text (Bezahlinhalt).

Folgenreich, denn der "Medieninsider" selbst mag weder von einem "Skandal" noch von "Plagiaten" gesprochen haben, aber andere machten es sich da in der Folge erheblich leichter. Auf dessen Text nämlich, so steht es etwa bei Zeit Online,

"folgten Vorwürfe des Onlineportals Nius und des Salzburger Kommunikationswissenschaftlers und selbst ernannten Plagiatsexperten Stefan Weber. Beide legten Anfang Februar 2024 weitere mutmaßliche Funde vor. Weber warf Föderl-Schmid bewusste Täuschung vor."

Nun, knapp fünf Monate nach den ersten Vorwürfen und die Arbeit einer unter anderem mit Ex-"Spiegel"-Chef Steffen Klusmann und der Journalistenschulleiterin Henriette Löwisch besetzten externen Untersuchungskommission später, meldet der "Medieninsider", wie die Sache ausgegangen ist. Zweischneidig, aber irgendwie doch eindeutig, würde ich sagen.

"Über diese Verstöße können wir nicht hinwegsehen" lautet der Titel des "Medieninsider"-Texts (Bezahlinhalt), was so klingt, als wäre die insgesamt ziemlich umfassende und bei gewissen Medien auch kampagnenartig gebaute Berichterstattung über den "Fall" in der Sache schon gerechtfertigt. Auch in der "FAZ" kann man diesen Eindruck bekommen, wenn Michael Hanfeld über das Gutachten der Kommission schreibt: "Ihre Kernaussage ist, dass Föderl-Schmid gegen journalistische Standards verstoßen habe. Sie habe teilweise nicht nur Fakten, sondern auch den 'Duktus' von Texten von Dritten übernommen."

Allerdings scheint der "Medieninsider" selbst nicht hundertprozentig überzeugt zu sein, dass man es nicht auch anders sehen kann. Sein Artikel beginnt dann jedenfalls so:

"'Wer Föderl-Schmid vorwirft, sie habe systematisch und in großem Umfang plagiiert, versteht nicht, wie tagesaktueller Journalismus funktioniert.' Steffen Klusmann lässt keinen Zweifel: Die Härte der Vorwürfe, die in den vergangenen Monaten gegen die Journalistin Alexandra Föderl-Schmid erhoben hatte, hält er für überzogen."

Wer gerne noch die Kernaussage des Gutachtens nach meiner Lesart hören möchte – bitte: Die Skandalisierung war ungerechtfertigt.

Worin bestehen die Verstöße?

Wenn Klusmann die Vorwürfe "überzogen" nennt, heißt das natürlich auch: Irgendwas war schon dran. Nur was? Schauen wir in den am Donnerstag vorgestellten Abschlussbericht der besagten Untersuchungskommission (pdf bei sueddeutsche.de).

Die Überschrift des "Medieninsiders" bezieht sich auf ein Zitat, das – aufgegriffen auch etwa im "Tagesspiegel" – der "SZ"-Chefredaktion zugeschrieben wird: "Die Chefredakteure der 'SZ', Wolfgang Krach und Judith Wittwer, betonten ebenfalls, dass der Vorwurf der systematischen Plagiate nicht berechtigt sei. Föderl-Schmid habe aber gegen journalistische Standards verstoßen, darüber könne man nicht hinwegsehen". Kommen wir also zu den Verstößen, die die Kommission in ihrem Abschlussbericht gefunden hat.

Bei epd Medien wurden sie zusammengefasst:

"Die von der 'Süddeutschen Zeitung’ eingesetzte Kommission untersuchte nach eigenen Angaben rund 1.100 Artikel von Föderl-Schmid mithilfe der Plagiatssoftware Turnitin. Bei rund 260 Texten seien auffällige Übereinstimmungen mit anderen Quellen gefunden worden. Bei zwei Dritteln dieser Texte beruhten diese Auffälligkeiten aber 'schlicht darauf, dass andere Medien Textpassagen Föderl-Schmids übernommen hatten', hieß es. Das restliche Drittel habe in einem größeren Teil der Texte Passagen aus Nachrichtenagenturen enthalten und in einem kleineren Teil stellenweise die Übernahme von Fakten, Zahlen und Zuordnungen, ohne die Quellen auszuweisen."

Im ersten Teil dieses Absatzes steht ziemlich deutlich: Der Vorwurf, es würden im Journalismus Passagen von anderen übernommen, richtet sich explizit nicht nur an Alexandra Föderl-Schmid, sondern man könnte ihn auch jenen machen, die, was offensichtlich der Fall war, Passagen von ihr übernommen haben. Das heißt dann aber auch: Bevor man eine Person derart prominent an den Pranger stellt, sollte man auf die Gepflogenheiten des tagesaktuellen Journalismus schauen.

Das Gutachten enthält Hinweise auf einige dieser Gepflogenheiten. Etwa was die Übernahme von Passagen aus Nachrichtenagenturen angeht. Dass eigene Texte mit Agenturpassagen angereichert und verdichtet würden, sei üblich, auf sie zu verweisen, fair und transparent. Es heißt dann:

"Föderl-Schmid hat es in aller Regel unterlassen, in der Printversion auf Agenturen zu verweisen." Allerdings sei das kein exklusives Vergehen: "Sie war damit bei der SZ bei weitem nicht die Einzige."

Weil Föderl-Schmid eine gehobene Position innehat und damit "eine Vorbildfunktion" besitzt, ist die Beschäftigung mit ihrer Arbeit strenger. Dennoch, so das Gutachten:

"Es wäre unverhältnismäßig, aufgrund fehlender Agenturhinweise ein Plagiat zu unterstellen. Auch anderswo werden 'zusammengerührte Agenturtexte' gern als eigenständige Autorenstücke verkauft, getreu dem Motto: Für die Agenturen haben wir bezahlt, also können wir damit machen, was wir wollen. Da ist die SZ kein Einzelfall. Was es hier zu bemängeln gibt, ist ein Mangel an Transparenz – und Fairness gegenüber den Agenturkollegen."

Es gibt weitere Beispiele für andere Verstöße oder vermeintliche Verstöße im Gutachten, das 15 Seiten lang ist. Aber nach meinem Lektüreeindruck ist, was vom nur vermeintlichen Plagiatsfall Föderl-Schmid bleibt, vor allem, dass es in einigen ihrer Artikel an Transparenz fehlte. Und es ist gut, wenn darüber im Journalismus verstärkt diskutiert wird. Aber die riesige Welle, die von Dezember bis Februar gemacht wurde (Altpapier), war nicht annähernd gerechtfertigt: Der Skandal war die Art der Skandalisierung.

Was hat "der französische Rupert Murdoch" in Afrika vor?

Die Deutlichkeit der Überschrift ist wohltuend: "Africa’s biggest-ever media deal opens the door to far-right nonsense", also: "Afrikas größter Mediendeal öffnet Tür und Tor für rechtsextremen Unsinn". Das steht in der südafrikanischen Wochenzeitung "The Continent" (hier die Website, hier die zitierte Ausgabe als pdf).

Der französische Milliardär Vincent Bolloré, der vor knapp zehn Jahren den französischen Canal+ übernommen hat, möchte demnach nun das südafrikanische Medienhaus MultiChoice kaufen. Das ist allein kein ungewöhnlicher Vorgang; französische Milliardäre interessieren sich nicht erst seit heute für Medien, man denke an den konservativen "Le Figaro" oder den gemäßigt linken "Le Nouvel Observateur". Es gab auch traditionell (natürlich traditionell problematische) Versuche, auf die Berichterstattung einzuwirken – sei es durch die Personalpolitik in den Häusern, sei es durch konkrete Eingriffe in geplante Veröffentlichungen.

Aber Bolloré ist eine spezielle Hausnummer. Bertelsmann machte schon Erfahrung damit, wie brachial er auch über redaktionelle Gepflogenheiten hinweggeht (Altpapier). Zudem entsteht da ein mittlerweile doch etwas größeres Medienimperium. Politico schrieb über ihn (hier übersetzt):

"Seit Jahren wird dem gläubigen katholischen Milliardär, der als 'französischer Rupert Murdoch' bezeichnet wird, vorgeworfen, er verwandle Fernseh- und Radiosender sowie Zeitungen, die er kauft, in Meinungsmedien, die nach weit rechts tendieren und sich hauptsächlich auf Identitätsfragen und Kulturkriege konzentrieren."

Ein griffiger Text über die – gerade auch jüngeren – Vorgänge bei Bolloré steht beim Nieman Lab, wo der Vergleich mit Fox News fällt und etwa eine Ökonomin griffig wie folgt zitiert wird:

"Der Einfluss von Bolloré geht weit über die Medien hinaus. Er erstreckt sich auf den Verlagssektor, auf die Finanzierung von Lehrstühlen. Es ist eine Strategie, die darauf hinausläuft, alle Formen der Gedankenproduktion zu beeinflussen."

Die neue, für Südafrika (und weil südafrikanische Medien im subsaharischen Afrika weit verbreitet sind, weit darüber hinaus) bedenkliche Dimension besteht in der Größe des geplanten Medienhauses. Was "The Continent" befürchtet, ist nicht nur ein Rechtsdrift bei MultiChoice, sondern vor allem auch, dass der Kauf auf die Vielfalt schlüge.

Gewiss, es ist eine Ressourcenfrage, aber dort genau hinzuschauen, stünde auch deutschen Redaktionen gut an.

Wenn einer etwas postet, ist das dann "der Diskurs"?

Adrian Daub, Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft und Germanistik an der Stanford University (im Altpapier zuletzt hier zitiert), hat eine Eigenheit des Debattierens identifiziert und erklärt nun bei Substack, warum er sie in der deutschen Ausgabe seines Buchs "The Cancel Culture Panic" ausführlicher beschreibt als in der englischen: weil es sich um eine vor allem deutsche Eigenheit handle. Es geht darum, hier übersetzt, …

"wie Artikel über die 'Cancel Culture' insbesondere in Europa, direkt von einem Tweet, den irgendjemand geschickt hat, zu diesen wirklich großen Behauptungen über 'die Linke', 'die Kultur', 'den Diskurs" blah blah bah übergehen".

Seine Hypothese also ist, dass einzelne steile Postings große Thesen belegen sollen – unabhängig davon, ob sie viel wahrgenommen wurden. Dass Postings also dann journalistisch aufgegriffen werden, wenn sie eine These quasi belegen zu können scheinen, aber sie eigentlich nur bebildern. Und das, glaubt Daub, sei weiter verbreitet in Deutschland als überall sonst.

Dass das etwas merkwürdig klingt, merkt er selbst, weshalb er es erklärt: "Sie könnten sagen: Nun, Adrian, es wäre ziemlich seltsam, wenn Deutschsprachige so etwas eher täten als andere. Sicher, aber ich würde sagen, dass es hier wahrscheinlich nicht um die Absichten eines Autors geht, sondern um redaktionelle Standards." Nämlich um nicht ausreichende Standards nach dem Motto: Es gibt keine guten Belege, also sucht man einen bei Twitter oder X, weil es dort Belege für alles gibt…

Daub führt auch exemplarisch vor, was er meint. Anschauungsgegenstand ist eine Kolumne, die im "Tagesspiegel" erschienen ist (Bezahlinhalt). Sie handelt davon, wie schamlos mittlerweile Sympathien für die Hamas verbreitet werden. Was Daub kritisiert ist, dass in der Kolumne als Beleg ein kaum wahrgenommener, null mal weitergeleiteter und geliketer Tweet/X-Post aufgeführt wird, in dem es heißt, die Hamas sei wie Nelson Mandela.

Es wurde (bei BlueSky) ein wenig gestritten über Daubs Artikel – nicht ganz zu Unrecht, weil der "Tagesspiegel"-Text keineswegs nur auf diesem einen kritisierten X-Post aufbaut (der mittlerweile auch dort nicht mehr verlinkt ist), sondern in Vergleichen von Hamas mit Mandela nur eine "weitere Perfidie" sieht. Dennoch hat Daub einen Punkt, der über das Beispiel hinausreicht. Der Punkt ist der:

"Dass das beste Beispiel für einen Diskurs, das Sie auf Twitter finden können, null Retweets und null Likes hat, könnte darauf hindeuten, dass der Diskurs nicht so weit verbreitet ist, wie Sie annehmen oder ihn erscheinen lassen. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht darüber reden kann. Aber dann handelt es sich um eine Art Kuriosität ('Schauen Sie sich die Leute an, die xyz denken!'). Als ich die ersten Verwendungen des Begriffs 'cancel culture' auf Twitter untersuchte, sahen alle meine Belege so aus – jemand benutzte das Wort selbstbewusst, und zwei Leute reagierten darauf."

Das könnte man als Gedanken in die Redaktionen mitnehmen, auch wenn man Daubs Beispiel nicht gut gewählt findet. Ich nehme es jedenfalls gerne mit.

Altpapierkorb (Schertz-Doku, Gemeinnützigkeit, Slowakei)

+++ Die ARD-Doku über den Medienanwalt Christian Schertz war hier und hier im Altpapier schon Thema. Aber es sind nun weitere kritische Texte darüber erschienen, etwa von Steffen Grimberg, diesmal in der "taz" und Stefan Niggemeier bei "Übermedien".

+++ Gemeinnütziger Journalismus ist Thema in der "Süddeutschen"., nachdem der "Volksverpetzer" seine Gemeinnützigkeit verloren hat (Altpapier). Oder nur vielleicht verloren hat? Die "SZ" klamüsert (Abo) die rechtliche Lage in der Grauzone auseinander.

+++ Und in die Slowakei schaut "mediasres": "Das Attentat auf Ministerpräsident Fico wirft auch ein Schlaglicht auf Pläne zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Slowakei." Weil der Verdächtige das Attentat damit begründet haben soll.

Das nächste Altpapier schreibt René Martens. Es erscheint am Dienstag, also nach Pfingsten. Schöne Feiertage!

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