Kommentar von Tom Gräbe zu Krankenhaus Ameos in Staßfurt
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Kommentar Ameos Klinikum Staßfurt - Wann ist ein Krankenhaus ein Krankenhaus?

04. Mai 2024, 09:43 Uhr

Der Krankenhausbetreiber Ameos strukturiert seine Angebote im Salzlandkreis um – zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen. Im Krankenhaus in Staßfurt soll es nur noch teilstationäre Angebote geben. Die Geriatrie, die Palliativ-Station und die Anästhesiologie ziehen nach Bernburg. Und das, obwohl der Krankenhausbetreiber erst vor wenigen Wochen in Staßfurt investiert hat. In der Stadt regt sich Protest, denn die Vorgänge wecken Erinnerungen – auch bei MDR-Reporter Tom Gräbe. Ein Kommentar.

Tom Gräbe
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"Aber Ameos hat das Krankenhaus in Staßfurt wieder in Betrieb genommen!" – Das war hier über viele Jahre das Argument von Lokalpolitikern, wenn sie der Öffentlichkeit gegenüber Entscheidungen von Ameos erklären mussten, die sie nicht mehr beeinflussen konnten. Bei aller Kritik an Ameos war immer klar: Ameos hat das Krankenhaus in Staßfurt damals vor knapp 15 Jahren gerettet. Offenbar eine Großtat.

Ameos-Krankenhaus in Staßfurt im Winter, 2010
Archivbild aus dem Jahr 2010: Damals noch als Klinikum Aschersleben - Staßfurt Bildrechte: picture alliance / ZB | Jens Wolf

Gehört habe ich das Argument von Lokalpolitikern und von Vertretern des Krankenhauskonzerns selbst. Und zwar bei den Tarifstreitigkeiten vor fünf, sechs Jahren, als das Pflegepersonal für mehr Lohn gekämpft hat. Auch bei Zusammenlegungen von Stationen, bei Umstrukturierungen. Immer dann, wenn der Krankenhausbetreiber Entscheidungen getroffen hat – und wenn Lokalpolitiker stirnrunzelnd auf die Ergebnisse geschaut haben. Immerhin habe Ameos aus dem Krankenhaus in Staßfurt wieder ein richtiges Krankenhaus gemacht.

Patienten bleiben Tageskliniken

Das Argument ist diese Woche schlecht gealtert. In Staßfurt soll es nur noch teilstationäre Leistungen geben: unter anderem Tageskliniken. Aber keine Station mehr, in der Patienten auch über Nacht behandelt werden können.

2010 blutete Krankenhaus Staßfurt bereits aus

Das alles gab es schon einmal so ähnlich und zwar im Jahr 2010. Damals war das Krankenhaus noch Teil der Klinikholding im Salzlandkreis, also in öffentlicher Trägerschaft. Die Patientenzahlen waren eingebrochen, das Krankenhaus Aschersleben-Staßfurt schrieb rote Zahlen. Die Innere Klinik wurde geschlossen – ab Mitte Dezember 2010 wurden keine Patienten mehr in die Innere Klinik des Krankenhauses Staßfurt eingeliefert. Es blieb ein ambulantes OP-Zentrum.

6.000 Menschen aus der Region sind seinerzeit für den Erhalt des Krankenhauses auf die Straße gegangen.

Tom Gräbe MDR-Reporter

Proteste gab es: 6.000 Menschen aus der Region sind seinerzeit für den Erhalt des Krankenhauses auf die Straße gegangen. Später hat der Landkreis seine Klinikholding privatisiert. Ein Notverkauf an Ameos. Ein Argument damals: So behält Staßfurt sein Krankenhaus. Ende 2012 wurde es endlich wiedereröffnet. Und heute läuft nun wieder eine Unterschriftenaktion für den Erhalt des Krankenhauses in Staßfurt.

Krankenschwestern des Ameos-Klinikums stehen vor dem Krankenhaus und streiken. Im Streit um bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für das Personal
Krankenschwestern des Ameos-Klinikums stehen vor dem Krankenhaus und streiken. Im Streit um bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für das Personal (Archivbild, 27.01.2020) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zenralbild | Klaus-Dietmar Gabbert

Auch die politischen Rahmenbedingungen sind ähnlich, Krankenhäuser können nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Das war schon einmal so: 2003 hatten mit der Einführung der Fallpauschale marktwirtschaftliche Prinzipien in Krankenhäusern Einzug gehalten. Kassen fingen an, nur noch nach Leistungen zu bezahlen. Die Folge war eine Privatisierungswelle. Die Krankenhäuser im Salzlandkreis waren nicht mehr wettbewerbsfähig. Ameos hat sie damals wieder flott gemacht.

Ameos: Inflation, Energiekrise und Ukraine-Krieg sind Schuld

Heute klagt Ameos über steigende Kosten und den Fachkräftemangel. Bedingt durch Inflation, Energiekrise und Ukraine-Krieg hätten die Krankenhäuser eine Unterfinanzierung von mittlerweile 13 Prozent erreicht, sagte Ameos-Regionalgeschäftsführer Stephan Freitag vor einigen Wochen MDR SACHSEN-ANHALT. Auch die verfehlte Krankenhauspolitik wiege schwer.

Warum Ameos aber erst vor wenigen Wochen die Palliativ-Station für 600.000 Euro modernisiert hat, um sie dann nach Bernburg zu verlagern? Das ist eine Frage, die vorerst bleibt.

Spezialisierungen sind gewollt

Dazu kommen ungelöste Strukturprobleme in der Krankenhauslandschaft: Es gibt in Sachsen-Anhalt viele Krankenhausbetten. Vielleicht zu viele. Jeder will ein Krankenhaus in der Nähe, doch der medizinische Fortschritt braucht nicht so viele Krankenhäuser. Spezialisierungen sind gewollt.

Die Idee dahinter: Die Qualität der Leistungen steigt mit der Fallzahl. Wenn ein Chirurg pro Jahr viele Hüften operiert, kann er das besser, als ein Kollege mit weniger OP-Zahlen. Das bedeutet bessere Genesungschancen für Patienten, aber auch weitere Wege. Alle Leistungen überall vorzuhalten – das wird es in einigen Jahren so nicht mehr geben können. Verwandte werden weitere Wege in Kauf nehmen müssen, wenn sie ein Familienmitglied mit einem Blumenstrauß in der Hand am Krankenhausbett besuchen wollen.

Die Entwicklung dorthin aber, die scheint Sachsen-Anhalt dem freien Spiel des Marktes zu überlassen. Es gibt zwar einen Krankenhausplan, der ist aber eher eine Beschreibung der Gegenwart als eine Strategie für die Zukunft. Auch gibt es ein Gutachten des Landes Sachsen-Anhalt zur Planung der Krankenhauslandschaft – dessen Datengrundlage ist aber auch schon wieder einige Jahre alt.

Appell: Entscheidungen früher kommunizieren

Aus der Lokalpolitik kommen deshalb Appelle, Entscheidungen deutlicher und früher zu kommunizieren. Die Umstrukturierung hatte der Krankenhausbetreiber am Montag erst einmal per Telefon-Rundruf verkündet. Viel mehr Einfluss auf die Entscheidungen des Krankenhausbetreibers ist auch nicht drin.

Zuständig für den Versorgungsauftrag ist die öffentliche Hand. Krankenhäuser sind Daseinsvorsorge. Den Versorgungsauftrag nimmt aber – im Salzlandkreis – ein privates Unternehmen wahr. Die Politik ist zwar verantwortlich, aber nicht mehr zuständig. Denn diese Zuständigkeit hat der Landkreis abgegeben. Und zwar, als er vor weit mehr als zehn Jahren seine hochdefizitären Salzland-Kliniken an den privaten Krankenhausbetreiber Ameos verkauft hat. Die Politiker müssen keine unangenehmen Entscheidungen mehr treffen – die Allgemeinheit trägt nicht mehr das unternehmerische Risiko. Dafür bestimmen jetzt andere. Und das alte Argument, dass der Krankenhausbetreiber Staßfurt wieder aufgemacht hat, das zieht nicht mehr.

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MDR (Tom Gräbe, Luise Kotulla)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | MDR SACHSEN-ANHALT | 04. Mai 2024 | 12:00 Uhr

10 Kommentare

Shantuma vor 1 Wochen

@ElBuffo:
Bitte beschäftigen Sie sich mit den Folgen von Zusammenlegungen von kritischer Infrastruktur.
Dazu gibt es genügend Material.

Die Äußerungen von Mitteldeutsch sind teils korrekt.
Zusammenlegungen von gerade Krankenhäusern brachte kaum bis nie Vorteile.
Im Gegenteil, in ganzen Regionen ist eine Rettung innerhalb von 30 Minuten kaum noch möglich.

Herr Lauterbach, als Totalversager, hat dabei nichts geändert, er möchte wohl sein Ziel jede 2. Klinik zu schließen durch bringen.

Für die Bevölkerung auf dem Land ist dies eine Katastrophe mit Ansage!

Nudel81 vor 1 Wochen

Ja natürlich, wenn das Krankenhaus den Staat gehören würde müsste er die Kosten tragen. Damit wäre das Problem gelöst. Wo das Geld herkommt? Kriege in anderen Ländern nicht unterstützen und die Gewinnmaximierung der Rüstungsindustrie vermeiden.

Anita L. vor 1 Wochen

"Zusammenlegungen brachte schon immer für Geringverdienende höhere Kosten, weitere Wege und mehr Aufwand aber nie Vorteile."

Und Gutverdienende haben davon profitiert?

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