Abitur in der DDR: Gleiche Bildung für alle?

12. November 2019, 15:02 Uhr

Einheitlich. Sozialistisch. Das Bildungssystem der DDR. Aber einheitliche Bildung hieß bei Weitem nicht gleiche Bildung für alle. Über den Weg zum Abitur in der DDR. Wer ihn beschreiten durfte und wer nicht.

Das Erziehungsprogramm im Sinne des Staates fing schon in der Kinderkrippe an – und zog sich über die Schule bis hin zur Berufsausbildung und zur Universität. Kernstück des Schulsystems war die Polytechnische Oberschule (POS), die in drei Stufen aufgeteilt war: die Unterstufe von der ersten bis zur dritten Klasse, die Mittelstufe vom vierten bis zum sechsten Schuljahr und die Oberstufe von der siebten bis zur zehnten Klasse.

Ein Teil der Schüler durfte nach der achten Klasse (in den 1980er-Jahren nach der zehnten) auf die Erweiterte Oberschule (EOS) wechseln, wo sie das Abitur erlangen konnten. Doch der Zugang war stark beschränkt: Bis 1990 galt von der DDR-Regierung die Vorgabe, dass nur zehn Prozent eines Jahrgangs Abitur machen durften. Zusätzlich hatten rund fünf Prozent der Schüler eines Jahrgangs die Möglichkeit, eine Berufsausbildung mit Abitur zu absolvieren. Maßgebend war dafür außerdem in der Regel ein Notendurchschnitt von 1,7 oder besser. Aber nicht nur die Noten spielten bei der Auswahl eine Rolle. Auch welche politische Einstellung ein Schüler hatte und aus welchem sozialen Umfeld er kam, waren Kriterien. So half es zum Beispiel, sich in der Jugendorganisation FDJ zu engagieren, an der Jugendweihe teilzunehmen oder auch den Berufswunsch Offizier oder Lehrer zu haben. Oppositionell eingestellten und kirchlich engagierten Jugendlichen wurde der Weg an die EOS hingegen oft verwehrt.

Die Abiturprüfungen

Nach vier bzw. später zwei Jahren an der Erweiterten Oberschule hatten DDR-Schüler die Abiturprüfungen zu absolvieren. Gegen Ende des Schuljahres der zwölften Klasse, meistens im Mai oder Juni, gab es sowohl schriftliche als auch mündliche Prüfungen. Geschrieben wurde in den Fächern Deutsch, Mathematik, Russisch und einer Naturwissenschaft (Physik, Chemie oder Biologie). Mündlich waren mindestens zwei, höchstens fünf Prüfungen zu absolvieren. Was geprüft wurde und wie viele Fächer, legte das Fachlehrerkollektiv fest. Zudem gab es eine für alle verpflichtende Sportprüfung.

Kontrolle ist besser…

Damit die Lehre stets im Sinne der Partei verbreitet und die Schüler zu sozialistischen Bürgern erzogen werden konnten, gab es Kontrollorgane, die sämtlichen Bildungseinrichtungen vorgesetzt waren: die Bezirks- und Kreisschulräte.

Ratsmitglied zu sein bedeutete, Mitglied der Regierung eines Kreises zu sein – also für alles, nicht nur für die Schulen, sondern für das gesamte Leben des Kreises verantwortlich und zuständig zu sein. Schwerpunkt waren natürlich die Schulen. Insofern war ich auch Betriebsleiter für alle Pädagogen des Kreises, für alle Erzieher, einschließlich Heimerzieher in den Heimen. Alle Volksbildungseinrichtungen unterstanden mir.

Dr. Dieter Rostowski, ehemaliger Kreisschulrat Kamenz

Bezirks- und Kreisschulräte wurden von der Volksvertretung gewählt und mussten sich wiederum gegenüber dem Ministerium für Volksbildung verantworten. Die Aufgabe der Bezirks- und Kreisschulräte war es, darauf zu achten, dass der Betrieb in Kinderkrippe, Schule oder Universität im Sinne des sozialistischen Bildungssystems lief. Schuldirektoren und Leiter anderer Bildungseinrichtungen mussten den Räten über ihre Arbeit berichten.

Abi 1990 – und jetzt?

Das Schuljahr 1989/1990 war ein anderes als die Jahre zuvor. Die DDR war im Umbruch, es fanden Demonstrationen statt, die Mauer fiel. Das alles spiegelte sich auch in den Abiturprüfungen wider. Was also prüfen, wenn die Zukunft ungewiss ist?

Geschichte war 1990 plötzlich kein obligatorisches Prüfungsfach mehr in der mündlichen Prüfung, weil doch viele Dinge in der DDR und auch in Bezug auf die BRD in Frage gestellt wurden und man sich sagte, ‚das werden wir den Schülern nicht antun, dass sie jetzt dazu auch noch Aussagen treffen, die am Ende vielleicht aufgesetzt sind und nicht der Entwicklung, die sich jetzt vollzieht, Rechnung tragen.‘

Dr. Dieter Rostowski, ehemaliger Kreisschulrat Kamenz

Als Kreisschulrat musste Rostowski dafür sorgen, dass der Betrieb in den Bildungseinrichtungen weiterlief – trotz der Unruhen, trotz des zunehmenden Drucks aus der Bevölkerung und DDR-Bürgern, die von heute auf morgen das Land verließen.

Mein pädagogisches, psychologisches Prinzip war eigentlich, trotz dieser Probleme und Schwierigkeiten, an die Menschen zu denken, an die Schüler zu denken. Denn sie mussten weiter beschult werden, es musste weitgehend Kontinuität gewahrt werden, auch im Erziehungsprozess.

Dr. Dieter Rostowski, ehemaliger Kreisschulrat Kamenz

Umbruch als Chance

Trotz dieser schwierigen Zeit, haben die DDR-Abiturienten aus dem Jahr 1990 den Umbruch offenbar gut für sich zu nutzen gewusst. Das ergab eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Hierfür wurden Abiturienten aus Ost- und Westdeutschland, die 1990 ihren Abschluss gemacht haben, über einen Zeitraum von knapp 20 Jahren bis zu viermal nach ihren Lebensverläufen befragt. Demnach gaben 92 Prozent der Teilnehmer an, erwerbstätig zu sein. Zwei Drittel davon arbeiten in höheren Positionen.

Insgesamt sind sich die Lebensläufe in Ost und West erstaunlich ähnlich. So nahm jeweils ein Drittel der Studienberechtigten zum Beginn des Wintersemesters ein Studium auf, ein Zehntel begann eine Ausbildung oder Umschulung. Die restlichen Absolventen starteten entweder direkt in einen Beruf, gründeten eine Familie oder gingen der Studie zufolge anderen Tätigkeiten nach.

Einige Unterschiede gibt es dennoch. So haben ostdeutsche Absolventen schneller eine Familie gegründet. Zudem zeigten sie sich mobiler als ihre westdeutschen Kollegen. Zwei Drittel der Ost-Abiturienten gingen für eine Berufsausbildung nach Westdeutschland und kamen danach häufig wieder zurück. Für das Studium verließ jeder Zehnte den Osten. Allgemein ist mehr als die Hälfte der befragten Abiturienten  des Jahres 1990 zufrieden oder sehr zufrieden mit seinem Lebenslauf. Nur jeder zwanzigste ist unzufrieden mit seinem Lebensweg. Eine turbulente Zeit in der Ausbildung muss also nicht maßgeblich für den Lebenslauf sein.

Über dieses Thema berichtet der MDR im TV in "Was wurde aus der Volksbildung?" 12.11.2019 | 22:05 Uhr