EEG Windräder könnten Dörfer heizen – könnten!

14. Juni 2023, 05:00 Uhr

Wenn zu viel Windenergie ins Stromnetz kommt, werden Anlagen abgeregelt. Dabei könnte die überschüssige Energie etwa auch für Wärme genutzt werden – regional. Also genau das, was die Ampelregierung will. Doch das aktuelle Energiewirtschaftsgesetz verhindert, dass Windkraftanlagen dafür genutzt werden können.

Warmes Wasser fließt aus der Leitung. Das klingt unspektakulär. Allerdings wird das Wasser in Nechlin vor allem durch Wind erhitzt. In dem Ort in der Uckermark in Brandenbugr steht der erste Windwärmespeicher der Welt. Eigentlich ein Vorbild für Heizen ohne fossile Energien – und günstig. Nur: Das Nachahmen wird den Kommunen per Gesetz erschwert.

Das zentrale Teil des Projektes glänzt in der Mitte des Örtchens in einem Glashaus. "Also das ist das Herzstück der ganzen Anlage", sagt der Bürgermeister Matthias Schilling (SPD). Er steht vor einem silbernen Rohr und darin befinde sich eine Art Tauchsieder, der das Wasser erhitze. Im Kessel gespeichert, bliebe das Wasser ohne Nachheizen für 14 Tage warm. Der Starkstrom dafür kommt direkt vom Windpark nebenan.

"Wir möchten hier bei Enertrag eigentlich nur den Überschuss-Strom nehmen, der auftritt, wenn Anlagen abgeregelt werden", sagt Andre Marek, der für den Betreiber des Windparks arbeitet. Abregeln heißt: Die Windräder werden bei zu viel Strom im Netz abgeschaltet. Nechlin nutzt also Abfall-Strom, der sonst verloren gehen würde.

Heizkosten sparen – nur per Sonderprogramm

Inzwischen sind alle Nechliner im Wärmenetz, denn den Vorteil sehen sie direkt bei der jährlichen Heizkostenabrechnung. "Vor dem Ukraine-Konflikt war es so, dass die Leute 1.000 bis 1.500 Euro gespart haben, im Vergleich zu Heizöl oder Gas. Und jetzt wird es sich wahrscheinlich verdoppelt haben", sagt Bürgermeister Schilling. Alle Bewohner von Nechlin haben Öl und Gas verbannt und tun seit inzwischen drei Jahren genau das, was die Ampelregierung anstrebt: fossilfrei heizen im ländlichen Raum – neben Wind- auch mit Solarenergie und Holz.

Vor dem Ukraine-Konflikt war es so, dass die Leute 1.000 bis 1.500 Euro gespart haben, im Vergleich zu Heizöl oder Gas.

Matthias Schilling Bürgermeister

Für die Planung solcher kommunalen Wärmeinseln gibt es eine Förderung. Jede Kommune soll ihren maßgeschneiderten Mix aus verschiedenen Erneuerbaren Energien finden. Neben Biomasse und Sonne auch mit Windstrom. Doch: Obwohl der Bund lokale Wärmenetze will und auch bewirbt, dies verhindert das Energiewirtschaftsgesetz ENWG.

Denn der Windstrom ist dafür nicht vorgesehen. Die Betreiber müssen normalerweise sämtlich erzeugten Strom ins überregionale Netz speisen. Nechlin war dies nur ausnahmsweise möglich durch ein Sonderprogramm des Bundes. Seit Ende des Programms gilt wieder: Windräder müssen herunterschalten bei Überlastung des Netzes. Das geschieht immer häufiger, doch den Strom vor Ort zu nutzen, verbietet das Gesetz.

Potenzial von Milliarden Kilowattstunden

"Jedes Jahr werden in Deutschland etwa fünf Milliarden Kilowattstunden Windstrom abgeregelt", sagt Marek. Der Enertrag-Mitarbeiter schätzt, dass damit bis zu einer Million Menschen mit Wärme versorgt werden könnten. "Das ist natürlich in Anbetracht der Energiewende ein Riesen-Potential, was man ausschöpfen könnte, um die Wärmewende voran zu bringen."

Ich hoffe, dass das einfach eine Lösung ist, die die nächsten 30 Jahre trägt.

Thorsten Breitschuh Stadtrat Südliches Anhalt

Dabei würde das Beispiel Nechlin jede Menge Nachahmer finden: "Diese Idee, mit Strom zu heizen, den man ansonsten abschalten würde, das ist einfach schon genial", sagt Thorsten Breitschuh. Der Landwirt ist Energieberater und Stadtrat (Freie Wählergemeinschaft Anhalt) in der Großgemeinde Südliches Anhalt nahe Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt. "Und wenn wir das jetzt hier noch ein bisschen intelligenter machen, indem wir dort eben Biogas mit einführen, dann hoffe ich, dass das einfach eine Lösung ist, die die nächsten 30 Jahre trägt."

Das sogenannte Fuhne-Projekt soll eine ganze Region zwischen Bitterfeld und Dessau umfassen: 46 Ortschaften mit 33.000 Einwohnern. Doch das funktioniert nur mit neuen Windkraftanlagen und neuen Verträgen, die die kommunale Nutzung erlauben. Denn die Betreiber der bereits vorhandenen 102 Windkraftanlagen in der Region dürfen das neue kommunale Wärmenetz nicht beliefern.

Trotzdem wirbt Breitschuh weiter fürs Wärmenetz, denn viele seiner Nachbarn wohnen in alten Häusern mit schlechter Dämmung: "Wir haben um die 90 Häuser hier im Dorf, davon sind nur fünf nach der Wende gebaut worden." Viele heizten mit Öl und hätten noch Kessel auf dem Grundstück zu stehen.

Braucht es eine Gesetzesänderung?

In der Gemeinde Südliches Anhalt will die Firma GP Joule das Wärmenetz errichten, aber nur, wenn die Hälfte der Einwohner mitmacht. Das Unternehmen will 500 Millionen Euro investieren, auch für neue Windanlagen. Den Bürgern bietet sie einen Festpreis von elf Cent pro Kilowattstunde Wärme – fest für zehn Jahre. Anschlüsse und Wartung sind kostenlos. Kommune und Bürger können sich beteiligen. Die Einwohner sind auf einer Informationsveranstaltung geteilter Meinung. Manche können sich das gut vorstellen, andere sind skeptisch.

Dagegen hoffen die Einwohner von Nechlin auf eine rasche Entscheidung der Politik, die kommunales Heizen auch mit abgeregeltem Windstrom möglich macht. Sollte es eine Gesetzesänderung geben, dann könnten in Nechlin das Wärmenetzt kontinuierlich betrieben werden. "Und der Strom könnte dann immer verbraucht werden, wenn er an anderer Stelle nicht genutzt wird", so Bürgermeister Schilling. Das würde dann nicht nur für Nechlin gelten.

Quelle: mpö

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 10. Mai 2023 | 20:15 Uhr

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