Eine Frau mit langen, offenen, braunen Haaren und bunter Bluse steht im Laubengang eines alten Fachwerkhauses und lächelt in die Kamera. 4 min
Sibylle Wulff hat als neue Leiterin der Zentralen Restaurierungswerkstätten in Erfurt große Pläne: Die Depots und Ateliers sollen in einem Zentraldepot zusammenziehen. Bildrechte: MDR/Antje Kirsten
4 min

Die Ateliers der Restaurierungswerkstätten und Depots in Erfurt erfüllen kaum noch die Standards für die Bewahrung von Kulturgütern. Die neue Chefin Sibylle Wulff hat den Auftrag, ein neues Zentraldepot zu planen.

MDR KULTUR - Das Radio Do 16.05.2024 08:40Uhr 04:00 min

https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/audio-restaurierungswerkstaetten-neue-chefin-umzug-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Kulturgüter bewahren Neue Chefin plant Umzug der Erfurter Restaurierungswerkstätten

15. Mai 2024, 15:26 Uhr

In Erfurt plant die neue Chefin der Restaurierungswerkstätten der städtischen Museen, Sibylle Wulff, den Umzug der Arbeitsräume, denn die Werkstätten samt Depots sind nicht mehr zeitgemäß. In einem Zentraldepot sollen sie eine neue Heimat finden. Aufgabe der Restaurierungswerkstätten ist es, restaurierungsbedürftige Objekte der Erfurter Museen wie Gefäße aus der Steinzeit, Truhen aus dem Mittelalter oder Gemälde aus der Romantik, wieder in Stand zu setzen.

Im Atelier sitzt Panagula Kotsiari vor einem Gefäß. Das hat sie vorsichtig in eine Pappkiste voller Reis gestellt. So kann es nicht umfallen oder gar von der kleinen Arbeitsplatte rollen. "Zum Glück ist mir so ein Unfall noch nie passiert", sagt die Restauratorin. Die Expertin für Metall und Keramik hat aus 30 Scherben in zwei Tagen Arbeit ein Gefäß zusammengepuzzelt, das aus der Steinzeit stammt.

Es soll im Herbst wieder im Stadtmuseum gezeigt werden. Dort gibt es eine kleine archäologische Sammlung. Weil jeder Arbeitsschritt dokumentiert werden muss, hat sie eine Kamera aufs Stativ geschraubt und einen Studioschirm aufgespannt. Um beides muss sie herumtänzeln, denn das Atelier ist nur wenige Quadratmeter groß.

Eine Frau in weißem Arbeitskittel, blauen Gummihandschuhen und kurzen, braunen Haaren sitzt an ihrem Schreibtisch in ihrem Atelier. Darauf steht eine offene Pappkiste mit Reiskörnern gefüllt, darin ein antikes Gefäß mit klar erkennbaren Klebestellen.
Panagula Kotsiari hat aus 30 Teilen dieses steinzeitliche Gefäß zusammengesetzt. Es ist Teil einer Ausstellung im Erfurter Stadtmuseum. Bildrechte: MDR/Antje Kirsten

Alte Ateliers im Fachwerkhaus

Die Erfurter Restaurierungswerkstätten sind seit Jahrzehnten in zwei Gebäuden aus dem 18. Jahrhundert am Stadtring untergebracht. "Das ist hier ein romantischer Ort, aber leider für unsere Arbeit nicht mehr zeitgemäß", sagt die neue Leiterin der Werkstätten, Sibylle Wulff. Über steile Holztreppen und einen Laubengang gelangt man zu den Ateliers. Die Türrahmen sind so niedrig, dass man sich schon bei einer Körpergröße von 1,80 Metern bücken muss.

"Man kommt nur mit einer gewissen Größe an Objekten hier rein. Eine große Textilfahne könnten wir hier nicht durch bugsieren. Und wenn ich Gemälde aus dem Depot in die Werkstatt transportieren will und die dann auch noch in eine Klimakiste packe, dann tut sich der Spediteur schwer damit, das hier hoch zu tragen", zeigt Sibylle Wulff die Schwierigkeiten auf.

Zudem geht es um Arbeitsschutz. Wird mit Lösungsmitteln gearbeitet, fehlen leistungsstarke Gebläse, um die Dämpfe abzusaugen. Momentan schaffen das mehr schlecht als recht kleine mobile Geräte. Da müsse, sagt Wulff, dringend Abhilfe geschaffen werden.

Ein Mann mit mittellangen, grauen Haaren, Brille, weißem T-Shirt und Jeans sitzt in einem Atelier hinter einer aufrecht gestellten, historischen Holztruhe und hält einen Pinsel in der Hand.
Ronald Krüger ist in den Erfurter Restaurierungswerkstätten für Objekte aus Holz zuständig. Aktuell restauriert er eine 330 Jahre alte Truhe, die lange im Depot gestanden hat. Krüger säubert sie und ersetzt fehlende Zierelemente.  Bildrechte: MDR/Antje Kirsten

Zentraldepot soll gebaut werden

Die Pläne hierfür werden langsam konkreter. Als sie sich auf die freigewordene Stelle als neue Leiterin der Restaurierungswerkstätten beworben hatte, war genau das bereits ein Einstellungskriterium. Die 45-Jährige soll – gemeinsam mit der Stadt und den städtischen Museen – die Planung und den Bau eines Zentraldepots mit neuen Restaurierungswerkstätten auf den Weg bringen. "Das wird ein großes Projekt. Aber wir brauchen das Zentraldepot dringend, besser heute als morgen."

Auch wenn sie erst wenige Tage im Amt ist, weiß sie doch, dass die Situation in einigen Depots sehr kritisch ist. So sind Kunstwerke mancherorts nur unzureichend vor Gefahren wie Hochwasser, Blitzschlag oder ähnlichem geschützt. "Wir müssen da ran."

In diesem Jahr soll die Machbarkeitsstudie erstellt werden. Nach Standorten wird bereits gesucht. Geprüft werden sowohl Bestandsgebäude als auch freie Flächen für einen Neubau. "Und dann muss nach Geld gesucht werden", nennt Wulff den wohl wichtigsten Schritt. "Aber wenn wir nichts tun und es passiert etwas – nicht auszudenken!"

Warum die Erfurter Restaurierungswerkstätten so besonders sind

Sibylle Wulff weiß, wovon sie spricht. Sie ist selbst Gemälderestaurateurin und hat die letzten Jahre in der Kustodie der Universität in Leipzig gearbeitet. Die zentrale Restaurierungswerkstatt in Erfurt hat sie auch deshalb gereizt, weil sie ziemlich einmalig ist.

"Alle Gewerke unter einem Dach, so etwas gibt es selten. Vor allem auch in dieser Besetzung. Wir haben sechs verschiedene Fachrichtungen mit sieben Kollegen, dazu noch einen Fotografen, einen Techniker, einen Tischler. Wir sind wirklich gut aufgestellt. Normalerweise haben die Museen ihre Restauratoren im eigenen Haus, in ein, zwei Fachrichtungen je nach Museumsgröße, aber dass alles an einem Ort gebündelt ist, dass alle in einem Gebäude sitzen, ist schon was Besonderes. Das haben andere Städte nicht", lobt sie die Erfurter und ihr neues Zuhause.

Alle Gewerke unter einem Dach, so etwas gibt es selten.

Sibylle Wulff, Leiterin der Erfurter Restaurierungswerkstätten

Unterm Dach der ehemaligen Pfründnerhäuser, die einst zum Großen Hospital der Stadt gehörten, sitzen auch die Gemälderestauratorinnen. Sie arbeiten seit drei Jahren an einem großen Forschungsprojekt zu Friedrich Nerly. Der in Erfurt geborene Maler der Romantik ist vor allem durch seine Veduten von Venedig berühmt geworden. Die Schenkung seines Nachlasses an seine Heimatstadt hatte einst den Grundstein für das Angermuseum gelegt. 110 Werke von Nerly werden nun restauriert und erforscht. Dabei wird der Bestand erfasst und Nerlys Schaffensweg nachvollzogen. Viele Ölskizzen dienten ihm als Grundlage seiner späteren Gemälde.

Die Restauratorinnen haben die "Blätter" entrahmt, untersuchen die Grundierung, die Malschicht und retuschieren Fehlstellen. "Es soll danach immer noch erkennbar sein, dass wir daran gearbeitet haben. Wir sind keine Fälscherinnen", beschreibt Katharina Bellinger-Soukup ihre Arbeit. Sie sitzt vor einer Staffelei und tupft mit feinem Pinselstrich lichtgraue Farbe auf schadhafte Stellen einer Nerly-Ölstudie. Das Atelier ist voller Nerly-Bilder. Im November dieses Jahres wird es eine Ausstellung im Angermuseum geben, die auch die Arbeit der Restauratorinnen erzählt. Dann endet das Forschungsprojekt und es gibt erstmals einen wissenschaftlichen Gesamtüberblick über das Werk von Nerly.

Eine Frau mit kurzen, dunklen Haaren, Brille und dunkelblauer Bluse sitzt mit Pinsel und Farbpalette vor einem historischen Gemälde auf einer Staffelei in einem Atelier.
Katharina Bellinger-Soukup retuschiert Fehlstellen auf einer Gemälde-Skizze von Friedrich Nerly. Aktuell werden in den Erfurter Werkstätten 110 Nerly-Werke erforscht und restauriert. Bildrechte: MDR/Antje Kirsten

Holz bearbeiten und Textilien retten

Im Erdgeschoss arbeitet Ronald Krüger eine Truhe auf. Mit einem winzigen Stück Sandpapier schmiergelt er die eingesetzten "Ersatzteile" ab. An der rund 330 Jahren alten Innungstruhe der Waidfärber fehlten Stücke der Verzierung. Die Truhe stand lange im Depot. Der Restaurator für Kulturgut aus Holz ist ein erfahrener "alter Hase" und geht dennoch immer wieder mit großer Ehrfurcht und Respekt an so eine Arbeit. "Wenn man sich überlegt, dass sie 1694 gefertigt wurde ..." Mit einem Wattestäbchen legt er die Ornamente wieder frei, säubert sie ganz vorsichtig.

Dass der Restaurator für Steinplastik oder die Expertin für Textil und Keramik nur über den Hof hinweg ihr Atelier haben, sei von großem Vorteil. "Fast täglich können wir uns mit dem einen oder anderen Tipp aushelfen", meint auch Textilrestauratorin Antje Hirschberger.

Auf ihrem Tisch liegen aktuell historische Fächer. Die Fächersammlung aus privatem Besitz kam als Schenkung ins Erfurter Angermuseum und muss konserviert und gereinigt werden. Ganz vorsichtig mit einem Spezial-Radiergummi macht Hirschberger das. "Die Fächer stammen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Einer wird auch im Angermuseum ausgestellt."

Eine Frau mit zusammengebundenen, blonden Haaren und Brille, bunt gestreifter Bluse, grauer Schürze und blauen Gummihandschuhen steht über einen schwarzen Fächer auf ihrem Schreibtisch in ihrem Atelier gebeugt.
Antje Hirschberger konserviert aktuell eine Sammlung historischer Fächer aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Die Textilrestaurateurin schätzt an den Objekten aus Stoff oder Leder, dass sie meist massive Gebrauchsspuren haben: "Das macht den Reiz aus, sich die Menschen vorzustellen, die die Stücke einst genutzt oder die Kostüme getragen haben." Bildrechte: MDR/Antje Kirsten

Kulturgüter schützen

Die Zentralen Restaurierungswerkstätten in Erfurt bestehen aus sechs Abteilungen: Holz, Stein, Papier und Grafik, Metall und Keramik, Textilien und Leder sowie Gemälde. Die neue Chefin will sich in den nächsten Wochen die quer über die Stadt verstreuten Depots anschauen – auch wenn sie nicht deren Chefin ist. Denn was dort lagert, kommt früher oder später auf ihren Tisch.

"Einige Depots kenne ich, einige sind okay, um einige aber steht es nicht zum Besten. Um aber präventiv Kulturgüter zu restaurieren und zu bewahren, müssen wir sie zukünftig auch digital erfassen." Große Hausaufgaben für die Neue. Von der Stadtpolitik bekommt sie dafür Rückendeckung. "Man hat erkannt, wie wichtig es ist, unser Erbe zu schützen. Es geht letztlich um die Geschichte der Menschheit."

Redaktionelle Bearbeitung: hro, tmk

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. Mai 2024 | 08:40 Uhr

Mehr aus der Region Erfurt - Arnstadt

Mehr aus Thüringen

Mehrere Kinder mit Trillerpfeifen und einem Plakat "Wir sind Eure Zukunft" 1 min
Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk
1 min 17.06.2024 | 20:50 Uhr

An der Grundschule in Wernshausen kamen in diesem Schuljahr vier Lehrer auf rund 114 Kinder. Nebenfächer sind fast komplett ausgefallen, so der Elternbeirat. Auch für das kommende Jahr ist keine Besserung in Aussicht.

Mo 17.06.2024 19:22Uhr 00:23 min

https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/sued-thueringen/schmalkalden-meiningen/video-lehrermangel-grundschule-wernshausen-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video