Parteienfreiheit vs. RundfunkfreiheitWahlberichterstattung: Immer schön ausgewogen!
Von Gerhard Schröder ist der Spruch überliefert, zum Regieren brauche er "Bild, BamS und Glotze". Auch wenn der SPD-Altkanzler (1998-2005) das später relativiert hat und im Interview mit der Bild-Zeitung meinte "es sollte schon etwas intellektueller sein": Politik ist ohne die Vermittlung durch die Medien heute schlicht nicht denkbar.
Das zeigt sich besonders zu Wahlzeiten. Zwar haben sich die Parteien und ihre Kandidatinnen und Kandidaten schon immer auch direkt ans Wahlvolk gewandt. Doch obwohl heute soziale Netzwerke, Podcasts und digitaler Wahlkampf den traditionellen Werbestand auf dem Marktplatz mit Tapeziertisch, Postkarten und Gratis-Kugelschreibern zunehmend ablösen: An einer möglichst breiten Präsenz in Presse, Radio und Fernsehen führt immer noch kein Weg vorbei. Besonders wichtig ist dabei neben der reinen Berichterstattung natürlich, wie die Medien die Politik der Parteien, ihre Pläne und Wahlaussagen bewerten und kommentieren.
Medien müssen kritisch über Politik und Parteien berichten
Für die politischen Parteien gilt dabei eine aus dem Grundgesetz abgeleitete Chancengleichheit, die auf Artikel 21 beruht. Danach müssen die Parteien und Gruppen "unter den gleichen Bedingungen, mit den gleichen Chancen am politischen Wettbewerb teilnehmen können", so das Bundesverfassungsgericht, zuletzt in einem Urteil aus dem Jahr 2008 (2 BvK 1/07 Rz. 101).
Diese von Fachleuten "Parteienfreiheit" genannte Norm bedeutet aber nicht, dass die Medien gleich viel oder genau so positiv oder kritisch über alle Parteien berichten müssen.
Vielmehr steht die Parteienfreiheit im Wettbewerb mit der durch Artikel 5 Grundgesetz gewährleisteten Medienfreiheit, die sich an journalistischen Kriterien orientiert. Um die journalistische Arbeit und das Recht der Parteien auf Chancengleichheit unter einen Hut zu bringen, gibt es in Deutschland allerdings ganz unterschiedliche Spielregeln für die einzelnen Medienarten.
Die zwei Prinzipien Außenpluralismus und Binnenpluralismus
Diese orientieren sich auch an der Struktur unseres Mediensystems und historischen Erfahrungen. Wichtig ist dabei, dass möglichst alle Meinungen und Ansichten vorkommen, also Pluralismus herrscht. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Konzepte. Beim sogenannten Außenpluralismus wird diese Vielfalt durch das große Angebot an unterschiedlichen Medien gesichert. Beim Konzept des Binnenpluralismus sollen die verschiedenen Positionen und Meinungen innerhalb eines einzigen Medienangebots abgebildet werden. Das beste Beispiel für Außenpluralismus ist in Deutschland die Presse, also die Zeitungen und Zeitschriften. Der Binnenpluralismus bildet dagegen die Grundlage im Rundfunk, und hier vor allem beim öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen. Dabei müssen natürlich nicht alle Positionen in jeder einzelnen Sendung abgebildet werden. Aber das "Gesamtprogramm" hat alle relevanten Positionen und Sichtweisen zu berücksichtigen.
Das Themendossier zur Wahlberichterstattung
Zeitungen und Zeitschriften dürfen parteiisch sein und Politik machen
Die Presse bietet in der Bundesrepublik ein sehr vielfältiges Angebot an Meinungen und Ansichten. Täglich erscheinen in Deutschland allein 320 Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von 12,5 Millionen Exemplaren.
Darin sind Wochen- und Sonntagszeitungen noch nicht eingerechnet. Weil es so viele verschiedene Zeitungen gibt, werden sich in ihnen auch alle nur denkbaren politischen Sichtweisen und Meinungen wiederfinden. Natürlich nicht in jedem einzelnen Titel, sondern in der Gesamtschau des Zeitungsmarktes. Es gibt eher konservative oder liberale Titel, "linke" wie eher "rechte" Blätter. Sogar reine Parteizeitungen sind kein Problem. Bis in die 1970er Jahre gab es in Westdeutschland Titel, die zu 100 Prozent im Parteibesitz und natürlich auch inhaltlich auf Parteilinie waren. Noch heute ist die SPD über ihre Presseholding DDVG an einem ganzen Schwung Regionalzeitungen beteiligt.
Und die Partei Die Linke will sich gerade von ihrem 50-Prozent-Anteil am Neuen Deutschland verabschieden.
Der Rundfunk darf es nicht und ist der Ausgewogenheit verpflichtet
Ganz anders sieht es beim Rundfunk aus. Hier wird die Vielfalt der Meinungen durch den Binnenpluralismus gewährleistet, auch weil es bei der Gründung der Bundesrepublik vor über 70 Jahren nur wenige Sender gab. Außerdem spielten die Erfahrungen der Nazi-Zeit eine Rolle: Dort waren alle Sender in Staats- und Parteihand und machten Propaganda. Meinungsfreiheit gab es nicht. Zudem belegen wissenschaftliche Studien, dass vor allem das Fernsehen eine höhere Wirkung hat als zum Beispiel eine Zeitung, wenn es um die Beeinflussung von Menschen geht. Man spricht hier von der "Suggestivkraft" des bewegten Bildes.
Daher müssen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - und zu einem etwas geringeren Maße auch bei den privaten Sendern - alle Parteien mit ihrer Politik und ihren Standpunkten vorkommen. Bei den Öffentlich-Rechtlichen spricht man von "ausgewogener Berichterstattung". Aber das bedeutet nicht, dass alle Parteien gleich häufig, im gleichen Umfang oder mit dem gleichen Tenor vorkommen dürfen. Bei der Berichterstattung von ARD, ZDF und Deutschlandradio gilt vielmehr das Prinzip der "abgestuften Chancengleichheit", das bei der Berichterstattung im Vorfeld von Wahlen eine angemessene Gleichbehandlung der Parteien sicherstellen soll.
Wahlempfehlungen sind für die Presse möglich, aber in Deutschland nicht üblich
Dazu gehört auch, dass die Sender keine Wahlempfehlungen für einzelne Parteien oder deren Kandidatinnen und Kandidaten geben dürfen. Zeitungen dagegen dürften das, machen davon aber faktisch so gut wie nie Gebrauch. In den USA und Großbritannien sind solche "Endorsement", also konkrete Wahlempfehlungen, dagegen die Regel.
Zweimal passierte das auch bei uns: Bei den Bundestagswahlen 2002 und 2005 gab die erst im Jahr 2000 gestartete und Ende 2012 wieder eingestellte Wirtschaftszeitung Financial Times Deutschland (FTD) konkrete Wahlempfehlungen ab.
Was auch daran lag, dass die FTD - wie der Name schon sagt - ein Ableger der bis heute erscheinenden Londoner Wirtschaftszeitung Financial Times war und am Anfang mit Andrew Gowers einen britischen Chefredakteur hatte.