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Der evangelische Bischof Axel Noack in Magdeburg. Bildrechte: MDR/Uli Wittstock

Zum 1. MaiKrieg in der Ukraine: "Frieden ist auch Arbeit"

01. Mai 2024, 09:36 Uhr

Am 1. Mai geht es eigentlich um das Thema Arbeit. Doch auch das Thema Frieden spielt in diesem Jahr eine Rolle. Der Ukrainekrieg ist in das dritte Jahr gegangen und derzeit sieht es nicht so aus, als würde es demnächst eine Möglichkeit geben, die Kriegshandlungen zu beenden. Stattdessen wird aufgerüstet, sowohl mit der Produktion von mehr Rüstungsgütern, wie auch verbal. Auch mit den Medien hat das etwas zu tun, denn denen wird ja vorgeworfen, einseitig zu berichten. Uli Wittstock hat in Sachsen-Anhalt nach anderen Stimmen gesucht.

  • Axel Noack, Altbischof in Magdeburg, meint, die Bundesregierung müsse im Krieg in der Ukraine mehr diplomatische Ansätze versuchen.
  • Lutz Trümper (SPD), ehemaliger Oberbürgermeister von Magdeburg meint, Meinungen würden zu einseitig abgebildet und zu wenig nach Wegen zum Frieden gesucht.
  • Wolfgang Wähnelt (Bündnis 90/die Grünen) meint, dass der Krieg zu positiv dargestellt wird. Er würde soziale Sicherheit gerne mehr in den Vordergrund rücken.

Friedensbewegte aus dem Kalten Krieg gibt es noch, auch wenn ihre Meinung derzeit nicht allzu gefragt ist. Einer dieser Friedensbewegten ist Axel Noack, evangelischer Bischof in Magdeburg und seit über zehn Jahren im Ruhestand. Als Kind wuchs er in den Trümmern der Nachkriegszeit auf. Die Erfahrungen des Kalten Krieges haben ihn geprägt und natürlich auch die Friedensbewegung, die sich damals in Ost und West formierte.

Anlass war der Nato Doppelbeschluss im Jahr 1979. Der Altbischof erinnert sich: "Das hieß nicht umsonst Doppelbeschluss. Zum einen ging es dabei um Aufrüstung, das war natürlich umstritten. Aber verknüpft war das mit dem Ziel, Abrüstungsverträge zu machen. Und heute wird gesagt: Auf Generationen sind die Russen unsere Feinde. Wir werden nichts mit denen verhandeln können." Axel Noack hält das für eine falsche Festlegung.

Der Nato-Doppelbeschluss

Das Wettrüsten zwischen Ost und West war in den 1970er-Jahren in vollem Gange. Mit dem Nato-Doppelbeschluss im Jahr 1979 wurde die Gefahr eines nuklearen Krieges in Europa real. Am 12. Dezember 1979 verabschiedeten die Außen- und Verteidigungsminister der Nato den Nato-Doppelbeschluss. Darin forderten sie die UdSSR dazu auf, über den Abbau der sowjetischen Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20 zu verhandeln. Sollten die Gespräche nach einer vierjährigen Frist scheitern, würden die USA atomare Waffen vom Typ Pershing II und Cruise in Mitteleuropa stationieren. Die UdSSR lehnte alle Verhandlungen ab. Damit endete die Entspannungspolitik im Kalten Krieg, das Wettrüsten zwischen Ost und West wurde fortgesetzt. Die Bevölkerung in der Bundesrepublik und in der DDR protestieren gegen die atomare Aufrüstung. Dennoch billigt 1983 der Bundestag die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen auf dem Territorium der Bundesrepublik.

Eine Scheibe in Wittenberg mit Graffito: "Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner schaut hin." Bildrechte: MDR/Uli Wittstock

Europa ohne Russland?

Nun ist Axel Noack alles andere als ein Putinversteher, ganz im Gegenteil. Aus seiner Sicht ist klar, wer der Angreifer ist. Andererseits jedoch müsse man klar unterscheiden, zwischen denen, die in Russland politische Verantwortung haben und denen, die im Schützengraben ihr Leben lassen.

Der Altbischof sieht vor allem die Bundesregierung in der Pflicht, nicht nur mit Waffenlieferungen auf das Geschehen in der Ukraine Einfluss zu nehmen: "Man kann nicht ohne Russland in Europa leben. Man muss da irgendetwas machen. Und da denke ich, auf diesem Gebiet fällt die deutsche Politik aus. Es wird offenbar nichts mehr diplomatisch versucht, jedenfalls merkt man es nicht. Vielleicht passiert ja irgendetwas im Verborgenen, aber ich glaube das nicht." Während sich die deutsche Außenpolitik im Gazakonflikt sehr engagiert zeige, könne man das für den Ukrainekonflikt nicht behaupten.

Wenn wir mehr rüsten, müssen wir mit einem selben Einsatz fragen, was können wir für den Frieden tun? Und da wäre Bildung wichtig, wie schon Luther wusste.

Axel Noack, evangelischer Bischof in Magdeburg im Ruhestand

Verengter Meinungshorizont?

Bei aktuellen Umfragen zeigt sich, dass im MDR-Sendegebiet eine deutliche Mehrheit der Befragten gegen eine Ausweitung von Waffenlieferungen an die Ukraine ist und stattdessen mehr diplomatische Bemühungen von der Bundesregierung erwartet. In der öffentlichen Diskussion findet das aber wenig Wiederhall kritisiert Lutz Trümper, SPD-Mitglied und ehemaliger Oberbürgermeister von Magdeburg: "Es gibt in der SPD alle Meinungen, die man auch in der Bevölkerung findet. Aber die werden nicht nach außen getragen. Da gibt es eine abgestimmte Meinung, und die passt mit der Regierung zusammen."

Lutz Trümper (SPD), ehemaliger Oberbürgermeister von Magdeburg (Archivbild) Bildrechte: MDR

Die Debatten jenseits der Kameras und Mikrofone seien um einiges vielschichtiger, so Trümper. Der Sozialdemokrat kritisiert vor allem ein sehr einseitiges Russlandbild: "Da ist dann der böse Russe, der seit Kriegsbeginn der Aggressor ist und nun die Motivation hat, als Imperialist ganz Europa zu erobern." Für Lutz Trümper hingegen stellt sich die Frage, wie der Krieg möglichst schnell beendet werden kann.

Neuer kalter Krieg?

Im Jahr 2011 war der damalige russische Verteidigungsminister Serdjukow zu Gast auf dem Gefechtsübungszentrum Colbitz, um eine Übung von Nato-Panzern zu beobachten. Auch dort zeigt sich nun die neue Situation, denn vor drei Wochen trainierten Nato-Verbündete am selben Ort, nun allerdings unter anderen Voraussetzungen: Nämlich wie man russisch besetzte Städte rückerobern könnte. Und noch im Jahr 2018 habe der deutsche Rüstungshersteller Rheinmetall überlegt, solche modernen Schießplätze für die russische Armee zu bauen, so Trümper. Aber einen Krieg zu führen ist einfacher, als einen Frieden zu verhandeln, wie sich derzeit im Ukrainekrieg zeigt.

Lutz Trümper fordert deshalb mehr politische Aktivitäten in diese Richtung: "Es ist ganz klar, die Aggression ist zu verurteilen, dass man Schulen und Kindergärten bombardiert und zivile Bevölkerung umbringt. Aber es muss ein Weg gefunden werden, dass man wieder ins Gespräch kommt." Aus seiner Sicht ist es Europa nicht möglich, über Frieden zu reden und Russland daran nicht zu beteiligen.

Grün muss nicht olivgrün sein

Wolfgang Wähnelt ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und auch er hält die öffentliche Debatte derzeit für eingeschränkt. "Bei den Grünen sind natürlich auch wie sonst im richtigen Leben die Meinungen differenzierter, als sie oft in Medien abgebildet werden." Dass zum Beispiel Parteifreundin Katrin Göring-Eckardt und Bundestagsvizepräsidentin, nach der Entscheidung zur Lieferung von Panzern an die Ukraine über soziale Medien mitteilte, "Der Leopard ist befreit", hält Wolfgang Wähnelt für unangemessen: "Ich würde nicht freudig Waffen liefern."

Auch den Begriff der "Kriegstüchtigkeit" lehnt Wähnelt ab. Statt die Rüstungsindustrie mit neuen Aufträgen zu versorgen, sollte über das Thema Sicherheit umfassender diskutiert werden: "In allen Krisen haben wir gesehen: reicher werden die Reichen dabei und ärmer die Armen. Und das sollten wir umkehren. Für mich gehört zur Sicherheit nicht nur die militärische, sondern auch die soziale Sicherheit. Und wenn wir die soziale Sicherheit aufs Spiel setzen, brauchen wir über das Militärische nicht mehr zu reden."

Rückgriff auf Martin Luther?

Sachsen-Anhalt versteht sich ja selbst als "Kernland der Reformation". Altbischof Axel Noack rät deshalb, den Reformator zu befragen: "Wenn wir mehr rüsten, müssen wir mit einem selben Einsatz fragen, was können wir für den Frieden tun? Und da wäre Bildung wichtig, wie schon Luther wusste." Im Jahr 1524, also genau vor 500 Jahren, veröffentlichte Martin Luther seine berühmte Schulschrift an "die Ratsherren aller Städte deutschen Lands". Dort forderte er die Städte auf, Schulen zu gründen.

Interessant aus heutiger Sicht sei aber die Begründung, so Axel Noack: "Luther sagt, wenn es nur Waffen sind, die das Land verteidigen, dann können die in die Hände der Feinde fallen. Man braucht also Leute, die das Land verteidigen wollen in ihrem Geist und nicht durch Waffen." Leider nur ist ein Panzer schneller gebaut, als ein junger Mensch gebildet ist.

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MDR (Uli Wittstock)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. Mai 2024 | 12:00 Uhr

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