Kosovo: Serbiens Präsident Vučić im politischen Spagat
In seiner als "historisch" angekündigten Rede im Kosovo erklärte der serbische Präsident Aleksandar Vučić: eine Lösung des Konflikts zwischen Serbien und Kosovo wird noch Jahrzehnte auf sich warten lassen. Damit versucht er alle Seiten zu beschwichtigen, meint unser Ostblogger Andrej Ivanji.
Inhalt des Artikels:
Aus serbischer und russischer Sicht ist das Kosovo ein vorübergehend mit Gewalt von Serbien abgespaltener Teil des Landes. Aus der Sicht der Albaner, der meisten EU-Staaten und der USA ist es ein unabhängiger Staat. Diese zwei unversöhnlichen Standpunkte sorgen immer wieder für Konflikte zwischen Belgrad und Pristina, belasten die Region und die Entwicklung beider Staaten.
Der eingefrorene Konflikt
Das hätte sich nach diesem Wochenende ändern sollen. Zumindest vermittelten das vorab serbische Medien. Wochenlang spekulierten sie über einen möglichen "Durchbruch" oder eine "Kompromisslösung". Dabei wurden Begriffe wie "Ausgrenzung", "Korrektur der Grenzen" und "Austausch von Territorium" genutzt. Eine Erklärung, was das alles bedeuten soll, hörte man von höchster Stelle in Serbien allerdings nicht.
Das werde Serbiens Präsident Aleksandar Vučić höchstpersönlich am Sonntag erklären, hieß es. Und zwar in der ethnisch geteilten Stadt Kosovoska Mitrovica im Norden des Kosovo. Es sei "wichtigste Rede seines Leben", kündigte Vučić vollmundig an.
Für jeden etwas
Doch eine Lösung stellt Vučić am Ende nicht vor. In einer relativ ausgeglichenen Rede beruhigte Vučić den Westen, indem er sagte, dass Serbien für seine zukünftigen Siege statt mit "Gewehren" mit "Schulbüchern und Laptops" aufrüsten wolle. Er kämpfe für den serbischen Sieg, doch den wolle er "ohne Blut, Tote, Horror und Gräber" erreichen.
Gleichzeitig rehabilitierte er aber de facto Slobodan Milošević, den Präsidenten Serbiens in den 1990er Jahren, der später wegen Völkermords vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag stand. Vučić erklärte in seiner Rede, dass Milošević "ein großer serbischer Führer war, dessen Absichten zwar gut, doch seine Ergebnisse schlecht waren". Er warf ihm also nicht vor, die Kriege in Jugoslawien angezettelt, sondern sie verloren zu haben. Die in Kosovoska Mitrovica versammelten Serben applaudierten.
Das sorgte jedoch für Aufregung in den Nachbarstaaten und in der kosovarischen Hauptstadt Pristina. Slobodan Milošević, der 2006 im Gefängnis des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen in Den Haag vor einer möglichen Verurteilung starb, betrachtet man in Kroatien, Bosnien und im Kosovo als einen Kriegsverbrecher.
Keine Lösung in Sicht
Vučić bedankte sich noch bei den "Freunden aus Russland, die Serbien immer beistanden". Er beteuerte aber auch die Bestrebungen Serbiens, Mitglied der Europäischen Union zu werden.
Seine "historische" Rede über die Kosovo-Frage schloss er mit den Worten: "Wir haben keine Lösung, wir sind nicht einmal nahe dran, und ich bin diesbezüglich kein Optimist". In den nächsten "zehn bis zwanzig Jahren" hoffe er zwar auf eine Lösung, schloss jedoch aus, dass Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen würde.
Serbien im diplomatischen Spagat
Die Frage, die sich im Nachhinein stellt ist: Wozu dann das ganze Theater?
Vučić verdankt seinen Aufstieg zum starken Mann Serbiens zwei Themen: einem möglichen EU-Beitritt seines Landes und einer Lösung des Kosovo-Konflikts, wie auch immer diese aussehen könnte.
Doch Kosovo gilt vielen Serben als "heilige serbische Erde" oder "Bestandteil Serbiens". Diese wegen der EU-Mitgliedschaft aufzugeben, würde Vučićs Macht bedrohen. Eine Entscheidung über den endgültigen Status der Region will er deshalb hinauszögern, solange es geht.
Kosovo Grundbedingung für EU-Beitritt
Diese Lösung ist jedoch eine Voraussetzung der EU für eine Aufnahme Serbiens in die Union. Gleichzeitig will die EU den Druck auf Belgrad, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen, aber nicht zu sehr erhöhen. Denn sonst fürchtet sie, dass sich Belgrad noch stärker seinem Verbündeten Russland zuwenden würde.
Mit seiner Rede versuchte Vučić also den Spagat zwischen allen Seiten. Die Hardliner im eigenen Land nicht zu verprellen und gleichzeitig eine dauerhafte Lösung auf dem Tisch zu behalten; der EU den guten Willen Serbiens zu vermitteln und gleichzeitig Russland zu umschmeicheln.
Wie gut das dauerhaft funktioniert, bleibt offen. Nur eines scheint auch nach Vučićs Rede klar: alle Seiten haben sich auf einen langen "eingefrorenen Konflikt" eingestellt. Der destabilisiert die Region zwar, hält den Frieden auf dem Balkan aber vorerst aufrecht.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im:TV | 18.05.2018 | 17:45 Uhr