Kolumne: Das Altpapier am 23. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 5 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 23. April 2024 Ein Bug und eine Weißlichtmilbe

23. April 2024, 10:44 Uhr

Wie sollten Medien mit der radikalen Rechten umgehen? "Caren Miosga" hat keinen plausiblen Weg gefunden. Eine Milbe geht viral. Und: Für die Digitalisierung der Schule braucht es nicht nur Geräte, sondern Medienbildung. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Miosgas Bug

Wie hältst du’s mit Einladungen an die AfD? Das sei "die aktuelle Gretchenfrage politischer Talkshows", schrieb Cornelius Pollmer in der "Süddeutschen" (Abo-Text), nachdem der AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla am Sonntag bei "Caren Miosga" zu Gast gewesen ist (gestern hier knapp erwähnt). Stimmt wohl, darüber wird wieder viel diskutiert in diesen Tagen, und die Positionen sind recht verhärtet. Miosga legte ihre eigene Position Anfang Januar in einem "Spiegel"-Interview dar:

"(W)ir diskutieren etwa den Vorwurf, Talkshows böten solchen Parteien eine Bühne, die sie größer mache. Von diesem Argument halte ich nichts. Ich glaube, die brauchen ARD und ZDF nicht. Sie finden ihre Wählerschaft auch ohne uns, über Social Media."

Die Soziologin Carolin Amlinger hat nun in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (Abo) – noch vor dem Chrupalla-Auftritt in der ARD also – einen kurzen, aber instruktiven Text zur Frage geschrieben, wie Medien mit der radikalen Rechten umgehen sollten: "In der politikwissenschaftlichen Forschung kursieren drei Optionen: Sie können die Rechte ausschließen, kritisieren oder integrieren", heißt es darin.

"Im ersten Fall isoliert man die unliebsamen Politiker, indem man ihnen den Zugang zu anerkannten Medienorganisationen verwehrt. (…) Denn das Ungehörte wird mit der Zeit tatsächlich stumm. Doch dieser Schluss würde ohne die sozialen Medien gezogen. Dort ist es gerade der unpopuläre Paria, der die größte Beachtung erreichen kann. Hält man die Rechte analog im Abseits, kann sie damit digital ins Zentrum rücken."

Das ist im Grunde das oben zitierte Miosga-Argument, und man kennt es, viel grundsätzlicher, aus dem Kommunikationswissenschafts-Lehrbuch: Man kann nicht nicht kommunizieren. Die zweite Option bestehe darin, "rechte Parteien durch kritische Einordnung [zu] delegitimieren", so Carolin Amlinger. Und die dritte Strategie – ihr zufolge die schlechteste – "integriert rechte Inhalte und nicht ihre Akteure. Medien berichten hier aktiv über umstrittene Themen, um Sorgen ernst zu nehmen (und viele Klicks zu erhalten)." Rechte Imaginationen würden als Wirklichkeit ausgegeben und dadurch "normalisiert".

Die Erkenntnis des Sonntags war, dass Miosga eine vierte Option zu ziehen bereit war. Vom Ausschluss kann nicht die Rede sein (denn Chrupalla war ja da). Von einer Integration der AfD-Themen ohne deren Akteure kann man ebenfalls schwerlich sprechen (denn: Chrupalla war ja da). Bliebe eine ernstzunehmende "kritische Einordnung". Aber das war der Talk ja auch nur bedingt.

"An dieser Stelle hätte eigentlich eine punktgenaue Debatte einsetzen müssen" – Dieser Halbsatz fasst Christian Buß’ "Spiegel"-Text (Abo) über die Sendung zusammen, einen Text, in dem auch der Begriff "Wohlfühlfragen" vorkam. Und Cornelius Pollmer schreibt in seiner Sendungskritik in der "SZ": "Interessanterweise fehlte es dem Auftritt (…) vom Start weg an Brisanz." Miosga zog nämlich eingangs ihr mittlerweile eingeübtes Geplänkel durch. Das mag zu ihrem Lieblingswerkzeug gehören. Sie sei aber "am Sonntag ein wenig zum Opfer der eigenen Methode" geworden, so Pollmer. Außerdem, und das klingt hart, deckt sich aber mit meinem Eindruck, zum Opfer "einer mangelhaften Vorbereitung der Sendung".

Das deutet sogar Götz Hamann an, der bei Zeit Online eine relativ wohlwollende Kritik schrieb: Chrupalla "wendet alle von ihm bekannten Chrupallaschen Mittel der Verteidigung an. Wer mehrere Talkshowauftritte von ihm gesehen hat, wird sie wiedererkennen". Überraschend waren die Volten demnach nicht, aber Miosga fand trotzdem kein Mittel. Es ging verstärkt um andere AfD-Leute, und Chrupalla war’s dann halt nie gewesen und hatte nichts damit zu tun.

Hamann schreibt über Chrupallas Auftritt: "Als Mensch kommt er rüber wie einer, mit dem sich gut ein Bier trinken lässt, zupackend, erfolgreich, menschennah." Aber das kann nach Jahren der Debatte über den medialen Umgang mit der AfD nicht wirklich noch jemand für eine brauchbare Idee halten: dass man mit einem ihrer Protagonisten zur besten Sendezeit in einem Polittalk phasenweise spricht, als handle es sich um einen Unterhaltungstalk am Freitagabend in den Dritten.

Das Konzept von "Caren Miosga" hat, kurz, in meinen Augen einen Bug. Einerseits ist zwar der Wunsch nach Vertiefung im Format erkennbar, wenn es um Sachthemen geht und ein Gast aufnimmt, was ein anderer gesagt hat, statt am anderen Spektrum der Weltbetrachtung neu zu beginnen. Andererseits nutzt der erste Talkteil – das Einzelgespräch mit einer hochrangigen Figur aus dem parteipolitischen Betrieb – bislang besonders jenen Politikerinnen und Politiker, die zwar gewisse Reflexionsebenen nicht besteigen und Kritik genau so wegbügeln wollen, wie sie es im Medientraining gelernt haben. Die aber eben wohl doch gerne kommen, um mit Homestory-artigem Geplänkel an ihrem Image zu arbeiten.

Und um an Caren Miosgas eingangs zitierte Aussage aus dem "Spiegel" anzuschließen: Dafür braucht es ARD und ZDF nicht, dafür gibt es die Social Media.

Die Weißlichtmilbe als Thema der Medienbildung

Haben Sie von Weißlichtmilben gehört? Eklige Viecher, das Internet ist derzeit voll von Beiträgen darüber. Dass der jüngste nicht vom Tier- oder Wissensressort, sondern von der Netzweltredaktion des "Spiegels" kommt, zeigt allerdings: auch nur das Internet. Weißlichtmilben, das sind im Grunde Steinläuse. Es gibt sie nicht, oder nur als Kulturprodukt. Die Weißlichtmilbe hat sich ein Student namens Levi Penell ausgedacht, der in einem flott dahingeschwätzten TikTok- und Instagram-Video sagt:

"Ich könnte doch, jede Wette, superschnell ein Gerücht in die Welt setzen. Ich könnte doch einfach behaupten, dass man mindestens ein Mal im Monat die Zimmerdecke absaugen muss, weil man sich sonst superschnell Weißlichtmilben in die Wohnung holt."

Ja nun. Seitdem sieht man Menschen in Videos ihre Decke saugen. Ein "viraler Hit", so heißt das im Jargon, und die meisten, die mitspielen, dürften den Witz wohl weiterspinnen und nicht darauf reingefallen sein. Wobei, einige vielleicht doch, man weiß es nicht… Wie breit sich ein solcher Quatsch allerdings verbreitet, ist schon ein Zeitphänomen. Es gibt mittlerweile nicht nur eine Website, die über die Weißlichtmilbe informiert, ein mutmaßlich trickreich generiertes Kinderbuchkapitel über die Weißlichtmilbe Mila, und wenn man ChatGPT fragt, was man gegen Weißlichtmilben tun könne, halluzinierte es am Montagnachmittag sauber blubbernd vor sich hin. Und Journalisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie darüber aufklären, dass alles nur ein Witz ist.

Bemerkenswert ist, dass Jugendliche sich mit solchen Beispielen verdeutlichen, wie sich Fakes und Propaganda verbreiten. Einer fängt an, und dann läuft die Maschine los. Die Weißlichtmilbe ist, so gesehen, durchaus ein Thema der Medienbildung.

Dies alles eigentlich nur als Vorrede zum Graubrotthema Medienkompetenz. Die Gremienvorsitzendenkonferenz der Landesmedienanstalten hat ein Gutachten zur "Herausforderung Künstliche Intelligenz" beauftragt, und zwar bei der acatech, Deutsche Akademie der Technikwissenschaft. Das Ergebnis, was zu tun sei, lautet (via medienpolitik.net):

"Regulierung, technologische Maßnahmen und Stärkung der Medienkompetenz. Die ersten beiden Handlungsfelder verfolgen das Ziel, schädliche Inhalte aus den Medien zu verbannen bzw. synthetisch generierte Inhalte zu kennzeichnen, um eine Überforderung der Bürger zu verhindern. Das dritte Handlungsfeld ist daher die Stärkung der Medienkompetenz."

Das wird, könnte man auch sagen, alles schon noch sehr lustig werden mit der KI. Dass das Gutachten als pdf bereitgestellt ist, ist natürlich ein gewiss beabsichtigter kleiner Bruch mit seinem Inhalt.

Über die Digitalisierung der Schule

Apropos sehr lustig, die Ausstattung von Schulen mit digitalen Endgeräten ist auch ein Thema der medialen Berichterstattung, und auch dabei geht es konkret um Medienbildung. In Schweden – in Deutschland gerne als der Vorreiter der Schuldigitalisierung betrachtet, obwohl das so nicht ganz stimmt – veröffentlichte das Karolinska-Institut vor einiger Zeit eine Stellungnahme, die man als Rückkehr zum Analogen deuten kann: "Die Digitalisierung der Schulen [hat] große negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler", heißt es darin, was im Schulwesen doch eine etwas größere Debatte ausgelöst hat.

Manfred-Spitzer-Fans jubilieren seitdem. Bildungsfachleute dagegen veröffentlichten eine, wie sie es nennen, "Gegendarstellung", in der sie betonen, Geräte allein seien zwar vielleicht für die Katz oder sogar wenig hilfreich, je nach Alter und kognitiver Entwicklung der Kinder. Gute Bildungsmedien, die von Lehrkräften gut eingeführt würden, seien aber sinnvoll.

Ein zentraler Satz:

"Die Stellungnahme der Karolinska verdient es, ignoriert zu werden. In Deutschland gibt es wenig Hinweise auf eine schädliche Überdigitalisierung, wohl aber die Gefahr, dass die Chancen nicht genutzt werden, die sich ganz besonders auch den leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern durch die Digitalisierung bieten."

Das Portal netzpolitik.org, das seit Neuestem neu aussieht, diskutiert nun mit. Was, so das dort vertretene Argument, hierzulande gebraucht würde, sei nicht, mit schwedischen Papieren zu wedeln, sondern:

"bessere pädagogische Konzepte und mehr Medienbildung – und zwar sowohl für die Schüler:innen als auch für die Lehrkräfte. (…) Erst dann können Lehrer:innen überhaupt erst qualifizierte Entscheidung darüber treffen, wann es pädagogisch und didaktisch wertvoll ist, diese auch einzusetzen. Alle Schüler:innen haben das Recht, bestmöglich auf das Leben in einer digitalen Welt vorbereitet zu werden. Nichts Geringeres sollte auch der Anspruch der deutschen Bildungspolitik sein."

Ich würde den Stand der Digitalisierung im deutschen Bildungswesen mal so zusammenfassen: Man müsste tun, was in Schweden vielleicht wieder zurückgeschraubt werden könnte, damit man auch in Deutschland in die Lage kommen kann, medienkompetent darüber zu entscheiden, was genau man dann wieder zurückschrauben will.

(Für die Transparenz: Ich schreibe gelegentlich Kritiken für das Kulturressort von spiegel.de.)


Altpapierkorb (Zeitungssterben und Journalismus-Aussteiger in der Schweiz, Kritik an Radio Bremen-Kooperations-Beitrag, "World Press Photo", Anne Will)

+++ Hin und wieder thematisiert werden die Zahlen zum Zeitungsschwund in den USA und Deutschland, aber auch in der Schweiz ist der Rückgang ein Thema: "In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind in der Schweiz rund siebzig Zeitungen verschwunden, die meisten davon im lokalen oder regionalen Bereich – vom 'Alttoggenburger’ bis zum 'Wolhuser Boten', vom 'Anzeiger Degersheim' bis zur Kleinbasler Zeitung 'Vogel Gryff'." Das schreibt die "Republik", die auch die Zahl der Journalismus-Aussteigerinnen und -Aussteiger jährlich publiziert und diesmal in den Kontext des Zeitungsschwunds stellt: "Weiterhin kehren mindestens zwei Journalisten pro Woche der Branche den Rücken. Konkret zählten wir im Jahr 2023 96 Aussteigerinnen – und in den ersten knapp vier Monaten dieses Jahres weitere 23."

+++ Eine Verdi-Tagung ist hier direkt anschlussfähig; sie befasste sich mit der Lage von Journalistinnen und Journalisten; auch dabei kam die Schweiz vor. Vielsagend der Titel: "Wie prekär ist der Journalismus?"

+++ Radio Bremens Jugendprogramm Next steht in der Kritik – wegen eines Instagram- und TikTok-Films, der im Rahmen "eines medienpädagogischen Projekts" zusammen mit der Studierendengruppe "Muslim Empowerment Bremen" erstellt wurde. Zwei junge muslimische Frauen dieser Gruppe wollen den "Spieß umdrehen" und fragen in einer Fußgängerzone Leute, ob sie sich schon von den Morden in Hanau distanziert hätten. Erstmal ist das ein legitimes Perspektivenspiel. Auch wenn’s nicht allen passen mag. Eine der (externen) Reporterinnen trägt allerdings einen Wassermelonen-Badge, grün, rot, weiß und schwarz – die palästinensischen Farben. Es handle sich zwar "nach einschlägiger Expertenmeinung vor allem um ein Zeichen der Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung und des Protests", schreibt Radio Bremen nun in einer Mitteilung, die Wassermelone werde aber "durchaus auch im Umfeld antisemitischer Positionierungen verwendet". Sie war auch auf Demonstrationen in Deutschland zusammen mit dem Slogan "Free Palestine" zu sehen (etwa bei spiegel.de im Oktober). Man habe den Badge übersehen und distanziere sich "von solchen Positionen ausdrücklich".

Michael Hanfeld kritisiert den Film in der "FAZ" als "zielgruppengerechtes Stereotypendesaster" und stützt sich auf Tweets des CDU-Bundestagsabgeordneten Matthias Hauer, der unter Umständen den anonymen X-Account "ÖRR Antisemitismus Watch" in seiner Timeline hat – der war jedenfalls schon früher dran mit seiner Kritik. Nachdem danach der Videobeitrag zur Prüfung einige Tage verschwunden war, steht er nun wieder online. Radio Bremen begründet das so: "Ausschlaggebend für die Wiederveröffentlichung des Videos ist die inhaltliche Bewertung des Beitrags: Gesellschaftliche Diskussionen anzuregen versteht Radio Bremen als eine seiner Aufgaben – und das leistet das Aufzeigen dieser Stereotypen auf eine zielgruppengerechte Art und Weise. Dafür haben wir das Video mit deutlichen Hinweisen auf die berechtigte Kritik erweitert." Was ich allerdings noch in der Nacht zum Dienstag nicht fand: diese Hinweise im Video. Nur in den Kommentaren.

+++ Thomas Schmid kritisiert auf seinem "Welt"-Blog die Auswahl des "World Press Photos" durch die (niederländische) Jury. "Inas Abu Maamar (36) trauert nach einem israelischen Raketenangriff um ihre getötete Nichte Saly (5)", das ist die Bildunterschrift des Gewinnerfotos. Schmid kritisiert zweierlei: zum einen "einen propagandistischen Effekt. Das Foto teilt mit: Unschuldigen Menschen wird – von Israel – entsetzliches Leid zugefügt." Zum anderen, und das sei ein Skandal, findet er, dass "die Hamas-Mordaktion vom 7. Oktober 2023", also "das schlimmste und brutalste antiisraelische und antisemitische Pogrom seit dem Holocaust" überhaupt nicht vorkomme "in dieser ästhetisierenden parteiischen Foto-Welt". Dieses Foto hat er womöglich übersehen.

+++ Caren Miosgas Vorgängerin Anne Will ist zurück, und zwar im Podcast-Segment. Julia Encke lobt sie in der "FAS" (Abo) sowohl für die Premiere als auch noch einmal für ihre Fernsehtalks, auch im Vergleich mit "dem nun immerzu freundlichen Sonntagabend".

Am Mittwoch schreibt das Altpapier Christian Bartels.

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