Bildnis Georg Friedrich Händel
Während die Briten Händel seit jeher feiern, erwacht in Deutschland die Erinnerung an den Komponisten erst ab dem späten 18. Jahrhundert. Bildrechte: IMAGO

Musikfest Die Rezeption der Händel-Festspiele über die Jahrzehnte

27. Mai 2022, 09:41 Uhr

Viele Mythen ranken um den großen Komponisten Georg Friedrich Händel. Mit seinen Opern und Oratorien feiert er schon zu Lebzeiten große Erfolge und weiß sie für sich zu nutzen. London bietet ihm für sein künstlerisches und unternehmerisches Vorankommen fruchtbaren Boden. Bis heute feiern die Briten den Komponisten aus Halle. Die Rezeption in Deutschland begann später, Ende des 18. Jahrhunderts. MDR KLASSIK wirft einen Blick zurück.

Bereits 1738 wird im Londoner Vauxhall Gardens ein Marmordenkmal aufgestellt: Georg Friedrich Händel thront mit der Lyra in der Hand in der Gestalt eines modernen Apollos. Noch nie zuvor wurde einem lebenden Künstler ein derartiges Monument im öffentlichen Raum errichtet. Als Händel am 14. April 1759 stirbt, berichten die Londoner Zeitungen wochenlang über ihn. 1922 feiert die Geburtsstadt Halle ihr erstes Händel-Fest und öffnet damit ein neues Kapitel in der Geschichte um den Komponisten und sein Werk.

Händel und seine Rollen

Während die Briten Händel seit jeher feiern, entsteht in Deutschland erst ab dem späten 18. Jahrhundert so etwas wie eine Erinnerungskultur in Sachen Händel. Doch merkwürdigerweise wird ausgerechnet er über viele Jahrzehnte verschiedene Rollen spielen und somit eine Figur der jeweils aktuellen Rezeptionsgeschichte. Oder anders: Händel wird ideologisiert. Zunächst als Antwort der deutschen Patrioten auf die britische Monumentalisierung Händels. Und schließlich wird er gar als Wikinger, Humanist, Aufklärer oder Europäer zelebriert.

Renaissance der Händel-Opern

Während bis Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem die Oratorien nicht oft genug gespielt werden konnten, galten Händels Opern bis dahin als nicht aufführbar.

Noch 1919 meint der Musikhistoriker Hermann Kretzschmar, dass sie "durch die Nichtsnützigkeit der Dichtungen heute zum Tode verurteilt" seien. Doch der Kunsthistoriker, Musikwissenschaftler und Amateurmusiker Oskar Hagen bringt nur ein Jahr später erstmals seit fast 200 Jahren mit der "Rodelinde" wieder ein Händel-Oper auf die Bühne. Mit der Aufführung von "Orlando" wurde 1922 der Grundstein für die Festspiele in Halle gelegt. Die Renaissance Händels setzt sich in den 30er und 40er Jahren fort.

Auszug von Arnold Jacobshagen aus: "Feuerwerk und Halleluja. 100 Jahre Händel-Festspiele" Ein für die Händel-Verehrung sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR wesentlicher Aspekt war die Tatsache, dass man den Komponisten – im Gegensatz zu Johann Sebastian Bach – nicht als Kirchenmusiker verstand beziehungsweise zu verstehen gezwungen war. In gewisser Weise konnte Händel hierdurch sowohl im Dritten Reich als auch in der DDR eine kulturpolitische Stellvertreterrolle für den ideologisch weitaus problematischeren Johann Sebastian Bach einnehmen.

Nach dem Krieg

Im Februar 1948 wird das Musikmuseum "Händel-Haus" eröffnet. In diesem Rahmen finden erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Festtage statt.

Ab 1952 etablieren sich jährliche Festspiele. Sie stehen nun ganz im Zeichen des sogenannten realistischen Musiktheaters, das vor allem der Opernregisseur Walter Felsenstein mitbegründet. Die Libretti werden sehr frei ins Deutsche übertragen, immer mit der Maßgabe, eine möglichst nachvollziehbare Handlung zu erzählen.

Da werden Arien gekürzt und Texte verändert. Die ursprünglichen Kastraten-Rollen werden nun von tiefen Männerstimmen gesungen. Die Figuren in der Oper sollen vor allem die Emotionen der Menschen erreichen. Und die wissen ihren Händel zu feiern. Noch heute erinnern sich die Hallenser voller Begeisterung an diese Aufführungen. Und an ihren Dirigenten Horst-Tanu Margraf.

Um sich dem Händel-Klang anzunähern, fordert Margraf für das "Händel-Orchester" drei bis vier Cembali und mindestens vier Theorben. Es sollte rauschen im Orchestergraben, so wie es zu Barockzeiten geklungen und getönt haben mag.

"Dekadenz und Konterrevolution"

Immer wieder lodern Kontroversen auf, wenn es um die Aufführungspraxis von Händel-Opern geht. Die damalige Kulturfunktionärin Johanna Rudolph gibt dabei laut den Takt an. Sie lehnt Interpretationsansätze auf Basis historischer Aufführungspraxis aus ideologischen Gründen ab. Verzierungen in Da-Capo-Arien etwa seien dekadent und konterrevolutionär. Damals gilt Händel als Humanist, Aufklärer und Friedensstifter.

Neuer Orchesterklang

In den 1970er Jahren ändert sich der Orchesterklang. Er wird transparenter, schlanker. Das Orchester spielt zwar auf modernen Instrumenten, doch der Weg für eine historisch informierte Aufführungspraxis ist geebnet. Christian Kluttig wird 1979 Chefdirigent des Händel-Orchesters und setzt sich maßgeblich für den originalen Klang ein. Dafür fährt er nach Innsbruck zu den Sommerkursen für Alte Musik, studiert Aufnahmen von Nikolaus Harnoncourt und internationalen Spezial- Ensembles und besetzt die Hauptrollen wieder mit Frauenstimmen oder Countertenören.

Jochen Kowalski feiert 1982 mit Händels "Muzio Scevola" seinen ersten großen Erfolg. Die 1980er sind auch geprägt durch das Regietheater etwa eines Andreas Baumann oder Peter Konwitschny. Ihre zeitgenössischen Interpretationen prägen das neue Bild der Händel-Opern. Mit der Wiederentdeckung und Neu-Interpretation von Händels Oper "Floridante" durch Christian Kluttig und Peter Konwitschny begann von Halle aus eine neue Ära der Händel-Rezeption, wie sich Dirigent Kluttig erinnert:

"Die letzte Inszenierung, die ich mit Konwitschny gemacht habe, war der 'Tamerlan', das war noch vor der Wende und da spielte der Eiserne Vorhang eine große Rolle. Ich war bei der ersten Probe so verängstigt, weil ich dachte, was passiert, wenn jetzt einer auf den falschen Knopf drückt und der Sänger grade drunter steht. Aber das war ein so starkes Bild: Der 'Tamerlan' begann damit, dass der Eiserne Vorhang ganz unten war. Und dann auf ein besonderen Wink hob sich der bis zu halber Höhe, also das war Zeitgeschichte auf der Opernbühne."

Bis heute

Nach der politischen Wende 1989 ändert sich vieles. Einiges, wie die historisch informierte Aufführungspraxis, ist schon vorbereitet. Aus dem Händel-Orchester entsteht nun das Händelfestspielorchester - ein Spezialorchester für Alte Musik. Jetzt können Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt eingeladen werden, renommierte Regisseure setzen mit immer wieder neuen Opernaufführungen besondere Akzente.

Bis heute werden thematische Schwerpunkte gesetzt. Händel wird also immer wieder neu ausgeleuchtet, betrachtet und in Kontexte gesetzt. Und: Die Festspiele wollen sich noch mehr öffnen - etwa mit Barock-Lounges, Poetry-Slams, mit noch mehr Händel-Opern oder mit den jährlichen Messias- und Feuerwerksmusik-Aufführungen. Mal laut und festlich, mal zurückhaltend und besinnlich. Händel braucht keine Ideologie. Seine Musik bleibt groß und bedeutend.

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Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 27. Mai 2022 | 06:50 Uhr

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