Ein stilisierter Mensch sieht auf einem Fernseher die Berichterstattung zu Europa. Ein Daumen nach unten und ein Gehirn mit Schaltkreisen symbolisieren das negative Image.
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EU-Berichterstattung Sind Medien am schlechten Image der EU schuld?

24. Mai 2019, 18:16 Uhr

Die EU und ihre Institutionen hat in weiten Teilen der Bevölkerung keinen guten Ruf: Entscheidungen dauern zu lange, Regelungen sind zu undurchsichtig, Diskussionen nicht nachvollziehbar, heißt es oft. Aber woran liegt das? Welche Rolle spielen Medien für die Wahrnehmung der EU in der Gesellschaft? Tragen sie eine Mitschuld am negativen Image der EU?

Ein Montagabend im Mai, 20.15 Uhr. Die ARD zeigt in ihrer Sendung Wahlarena das erste TV-Duell zur Europawahl 2019. Manfred Weber, der Spitzenkandidat der CDU/CSU, der Präsident der EU-Kommission werden will, und sein sozialdemokratischer Widersacher Frans Timmermans aus den Niederlanden treten gegeneinander an. Die Resonanz: wenig befriedigend - zumindest, was die reinen Zahlen angeht. 2,03 Millionen Zuschauer (Quote 6,9 Prozent) wollten bei der Wahlarena dabei sein - was bedeutet, dass rund die Hälfte der Zuschauer, die vorher die tagesschau gesehen hatte, zur Konkurrenz gewechselt war. Die Nachtschwestern auf RTL (2,30 Millionen; 7,8 Prozent) und Sing meinen Song - Das Tauschkonzert auf Vox (2,04 Millionen; 7,0 Prozent) waren beliebter.

Wie wichtig ist die Europawahl?

Porträt von Prof. Dr. Stephan Russ-Mohl 9 min
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9 min

"Das Korrespondenten-Corps ist in den letzten vier Jahren um ungefähr 20 Prozent geschrumpft", sagt Stephan Russ-Mohl. Viele freie Journalisten arbeiten unter Zeitdruck, um über die EU und ihre Gremien zu berichten.

MDR FERNSEHEN Fr 10.05.2019 14:00Uhr 09:20 min

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Die suboptimale Quote fürs Duell zwischen Weber und Timmermans kommt in einer Hinsicht nicht überraschend - jedenfalls, wenn man betrachtet, was wenige Tage zuvor das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur (dpa) herausgefunden hatte. Laut der YouGov-Umfrage wissen nur 26 Prozent der Deutschen überhaupt, wer Manfred Weber ist. Und 45 Prozent der Befragten gaben an, keinen einzigen der neun Europawahl-Spitzenkandidaten zu kennen, den die im Bundestag vertretenen Parteien ins Rennen geschickt haben. Außerdem hatten die Meinungsforscher wissen wollen, welche Wahl für die befragten Bürger die "unwichtigste" sei: die Kommunalwahl, die Landtagswahl, die Bundestagswahl oder die Europawahl. Die Hälfte antwortete zwar, keine davon sei für sie die "unwichtigste". Rund 23 Prozent der Befragten gaben allerdings an, dass sie die Europawahl für die am wenigsten wichtige unter diesen vier Wahlen halten.

Wie sind solche Zahlen zu erklären? Wie ist es zu erklären, dass die Europawahlen offenbar für ein Viertel der hiesigen Bevölkerung eine recht geringe Bedeutung haben? Die Fragen stellen sich vor allem vor dem Hintergrund, dass die Entscheidungsbefugnisse des EU-Parlaments stets gewachsen sind und zuletzt 2007 durch den europäischen Vertrag von Lissabon stark erweitert wurden.

Wie wird EU-Politik in den Medien dargestellt?

Porträt von Prof. Dr. Stephan Russ-Mohl 8 min
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8 min

"Die Politik aber auch wir sind gefordert, dass Komplizierte so zu erklären, dass man es am Ende in vier Sätzen verstehen kann. So schwer ist es am Ende nicht", meint Malte Pieper, MDR-Korrespondent in Brüssel.

MDR FERNSEHEN Do 16.05.2019 15:25Uhr 07:50 min

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Erfährt die EU-Politik in den Medien nicht die angemessene Aufmerksamkeit? Zumindest scheint es Journalisten, die sich mit diesem Thema beschäftigen, noch nicht ausreichend gelungen zu sein, ihren Zuschauern und Lesern zu vermitteln, welche Folgen die Politik der EU für ihren Alltag hat. Leif Kramp, Forschungskoordinator des Zentrums für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen, hat 2017 in diesem Zusammenhang angemerkt, dass Regional- und Lokalzeitungen die Vermittlung globaler oder EU-Themen aufs Lokale bisher zu selten gelinge.

Als positives Gegenbeispiel lässt sich dem eine Sonderseite zur Europa-Wahl gegenüberstellen, die die Fachzeitschrift Drehscheibe - herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung - gerade in der Rubrik "Best Practice" gewürdigt hat. Das Europa-Wahl-Spezial, das nach Ansicht der auf die Berichterstattung über Lokaljournalismus spezialisierten Zeitschrift hervorhebenswert ist, stammt vom Ostholsteiner Anzeiger. Darin geht es unter anderem darum, inwiefern die Menschen im Verbreitungsgebiet der Zeitung von Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Europäischen Sozialfonds profitieren. Ein weiteres Thema: die Folgen des Brexits für die Unternehmen in der Region.

Fundamentale Kritik vs. Darstellung der politischen Inhalte?

Die EU-Berichterstattung über die EU hat nach Ansicht von Charlotte Galpin, stellvertretende Direktorin am Institute for German Studies an der Uni Birmingham, und Hans-Jörg Trenz, Professor am Department of Media, Cognition and Communication an der Uni Kopenhagen, mehrere generelle Makel. Oft stehe "eine fundamentale Systemkritik der EU in dem Vordergrund", konkreten "parteipolitischen Auseinandersetzungen" werde dagegen zu wenig Raum gegeben. Das heißt: Statt präzise zu kritisieren, was im Einzelnen falsch läuft in der europäischen Politik, und darauf einzugehen, wer welche Verbesserungsvorschläge hat, werde bei Wählerinnen und Wählern ein diffuses negatives Gefühl erzeugt. Durch solche Berichterstattung würden Wählerinnen und Wähler nicht motiviert, sich "am demokratischen Entscheidungsprozess zu beteiligen". Wer sich "überwiegend mit Negativschlagzeilen konfrontiert sieht", verliere "sein Vertrauen in die Politik" - und erwarte dann geradezu weitere negative Nachrichten. So entstehe eine Nachfrage, die die Medien bedienen. Beide Wissenschaftler sprechen daher von einer "Negativitätsspirale".

Dies schreiben Galpin und Trenz in einer 2018 in der Österreichischen Zeitschrift für Soziologie veröffentlichten Studie. Sie trägt den Titel Die Euroskeptizismus-Spirale: EU-Berichterstattung und Medien-Negativität. Hierfür haben sie die Berichterstattung zur Europawahl 2014 in Deutschland und Großbritannien untersucht. In Großbritannien beispielsweise sei vor der Wahl "vorzugsweise aus der Perspektive nationaler Politik diskutiert" worden. Außerdem hätten die britischen Medien die EU-Politik überwiegend negativ bewertet. Die beiden Forscher sprechen in dem Zusammenhang von einem "Vorspiel" für den Brexit. Unter anderem aus diesem Grund ist die Studie durchaus noch aktuell - obwohl es, was wiederum keineswegs ungewöhnlich ist in der Wissenschaft, Jahre gedauert hat, sie fertigzustellen und zu veröffentlichen.

Kritik aus Polen über die Berichterstattung

Dass das Negative sich gut verkauft, gilt auch für die Berichterstattung über anti-europäische Tendenzen in Polen. Einerseits wäre es gefährlich, sie zu verharmlosen. Andererseits hat die Berichterstattung nach Ansicht des polnischen Politikwissenschaftlers Bartlomiej Biskup einen verzerrenden Charakter. In einem Bericht der ZDF-Sendung Heute in Europa, in dem die weltweit kursierenden Bilder von ultranationalistischen polnischen EU-Gegnern zu sehen sind, die auf Demonstrationen martialisch auftreten, sagt Biskup zum Beispiel: "Das Bild im Ausland besteht aus einzelnen, unwichtigen Schnappschüssen."

Der Warschauer Politologe sagt auch, der Zustimmungswert für die EU liege in Polen bei "konstanten 90 Prozent", er sei in keinem Mitgliedsland höher. Das ist allerdings noch eine relativ neue Entwicklung, denn 2014 betrug die Beteiligung an der Europawahl in Polen nur 23,8 Prozent. In überhaupt nur zwei Ländern lag der Wert damals darunter (in Tschechien und der Slowakei). Zum Vergleich: In Deutschland lag die Wahlbeteiligung vor fünf Jahren bei 48,1 Prozent. Am niedrigsten war sie in Schleswig-Holstein (43,3 Prozent).

Die Sicht der EU-Politiker

Manche EU-Politiker äußern in ihren Argumentationen durchaus ein gewisses Verständnis für die in der Bevölkerung verbreiteten Vorbehalte. Margrethe Vestager, Spitzenkandidatin der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (Alde), sagt in einem Interview mit arte über das Bild des bürokratischen Monsters EU: Es sei doch völlig nachvollziehbar, dass Bürger zur EU ein anderes Verhältnis haben als zu den Menschen, die in der Stadtverwaltung die Müllabfuhr und den Winterdienst organisieren. "Zu Dingen, die weiter weg sind, verhalten wir uns mit Skepsis", sagt Vestager. Das sei bei ihr in anderen Fällen auch so.

Im April hat das österreichische Nachrichtenmagazin Profil unter der Überschrift Planet Brüssel Insider - etwa langjährige Abgeordnete und Korrespondenten - dazu befragt, wie sie das negative Image der EU-Institutionen bewerten. Paul Rübig, der 1996 als Abgeordneter der konservativen ÖVP ins EU-Parlament einzog und in diesem Jahr nun nicht mehr kandidiert, hat dazu unter anderem angemerkt: "Oft wird bemängelt, dass Entscheidungsprozesse so lange dauern. Aber man muss sich vor Augen halten, dass im EU-Parlament über 100 Parteien sitzen, die in acht Fraktionen organisiert sind. Das ist eine sehr breite demokratische Meinungsbildung, eine komplexe Gesetzwerdung, und das dauert eben seine Zeit."

Gibt es zu wenig positive Beispiele?

Porträt von Hendrike Brenninkmeyer 5 min
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SWR und WDR präsentieren das ARD Europamagazin im Ersten im wöchentlichen Wechsel immer sonntags, 12:45 Uhr. Thema sind die Europäische Union und die Politik in europäischen Ländern.

MDR FERNSEHEN Di 14.05.2019 09:27Uhr 04:34 min

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Bleibt die Frage, ob Journalisten positive oder vergleichsweise positive Aspekte der EU zu selten herausstellen. Die taz bot kürzlich in einem Interview dem Europa-Politiker der Grünen, Sven Giegold, die Möglichkeit dazu. Thema: Lobbyismus. Wenn Lobbyisten mit Mitgliedern der EU-Kommission oder ihren engsten Mitarbeitern Termine machten, werde das registriert, betont Giegold. "Alle Lobbytermine werden öffentlich gemacht. Man kann auch einsehen, wer die bezahlenden Auftraggeber hinter den Lobbyisten und wie hoch die Lobbybudgets sind." Ganz anders im deutschen Bundestag: Dort gebe es kein "Lobbyregister". Und auch die Bundesregierung liefere entsprechende Informationen nicht.

Nicht untypisch für die Berichterstattung über die EU ist dagegen die Art und Weise, wie Ende April Marietta Slomka im heute-journal in ein Interview mit Frans Timmermans einsteigt: "Was hat die EU falsch gemacht, dass sich so viele Bürger abwenden?" Dass Slomka das Gespräch so beginnt, ist einerseits nachvollziehbar. Die meisten Zuschauer dürften das wohl erwarten von einer kritischen Journalistin. Andererseits ist es auch eine komplett überraschungsfreie Frage. Jedenfalls wäre es angesichts des allgemeinen Tenors in den Medien viel origineller gewesen, wenn Slomka den Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten gefragt hätte: "Was hat die EU richtig gemacht in den vergangenen fünf Jahren?"