Eine Frau sitzt mit sorgenvollem Blick vor einem Laptop. Im Hintergrund ziehen Bilder von Nachrichten vorbei. 5 min
Kriege, Krisen, Katastrophen: Andauernde schlechte Nachrichten können körperliche Folgen wie Schlafmangel und Gereiztheit nach sich ziehen. Die Zahl der Menschen, die aktiv Nachrichten meiden, steigt. Bildrechte: MEDIEN360G | Fotos: Panthermedia

Keine Lust auf Nachrichten? Schlagzeilen-Burnout: Das Phänomen Nachrichtenvermeidung

17. November 2023, 00:00 Uhr

Allgemein herrscht Nachrichtenverdruss. Viele scheinen nachrichtenmüde. Das Empfinden, dass die Medien voller schlechter Nachrichten sind, die täglich von nahezu überall auf jeden einprasseln, sorgt bei vielen für Frust. Die Folge: Immer mehr Menschen meiden aktuelle und konfliktreiche Themen. Doch täuscht der Eindruck, dass es nur noch schlechte Nachrichten gibt? Und wie wirkt sich die Nachrichtenvermeidung auf die Gesellschaft aus?

Haben Sie gewusst, dass der Mensch "auf negative Ereignisse fünfmal stärker reagiert als auf neutrale oder positive Nachrichten"? Dieses Wissen vermittelt beispielsweise Ellen Heinrichs, Gründerin und Geschäftsführerin des Bonn Institutes in einem Interview um Nachrichtenmüdigkeit bei Deutschlandfunk.

Es erklärt auch den Eindruck, den viele Mediennutzende haben, wenn sie schlussfolgern, dass nur noch Krisen, Krieg und Katastrophen die Schlagzeilen beherrschen würden, sich erdrückt fühlen von diesem Empfinden und sich vom medialen Newsinput am liebsten nur noch abwenden möchten.

Auf einem Gewässer schwimmt ein durchsichtiger Ball, in dem eine Person steht.
Durch den Einfluss von Algorithmen in (Sozialen) Medien können sogenannte Filterblasen entstehen, in denen nur bestimmte Themen und Meinungen stattfinden. Bildrechte: picture alliance/dpa

Somit hat der allgemeine Verdruss gegenüber Nachrichten und konfliktreichen Themen längst schon Medienexpertinnen und -experten sowie die Wissenschaft auf den Plan gerufen.

Nachrichten einfach ignorieren?

Das Reuters Institute for the Study of Journalism ergründet regelmäßig im Rahmen seines Digital News Reports das Mediennutzungsverhalten. Dabei hinterfragt es auch, wie oft Mediennutzende auf der ganzen Welt Nachrichten "aktiv meiden“:

"Das Interesse an Nachrichten ist 2023 weiter gesunken. 52 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland sagen, dass sie äußerst oder sehr an Nachrichten interessiert sind (2022: 57 %). Auch die Reichweite von Nachrichten insgesamt ist leicht rückläufig: 89 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland lesen, hören oder schauen mehr als einmal pro Woche Nachrichten (2022: 92 %). Die Tendenz zur Nachrichtenvermeidung ist 2023 ebenso hoch wie im Vorjahr. Jeder Zehnte versucht oftmals aktiv, Nachrichten zu vermeiden, 65 Prozent versuchen dies zumindest gelegentlich. Derzeit werden vor allem Nachrichten zum Ukraine-Krieg gemieden“, fasst das Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg zusammen, welches die deutsche Teilstudie durchführte. "Gleichzeitig gibt mehr als die Hälfte der Befragten an, äußerst oder sehr an positiven oder lösungsorientierten Nachrichten interessiert zu sein."

Dass zeigt, wie wichtig es für die Medien ist, eine Neugestaltung der Nachrichtenvermittlung voranzutreiben und mit ihren Sendungen und Formaten auf eine Berichterstattung zu setzen, die nuancierter, zukunfts- und lösungsorientierter ist. Stichwort: Konstruktiver Journalismus.

Zugleich heißt es für Mediennutzende aber auch: Einfach abzuschalten und Nachrichten komplett zu meiden ist keine Lösung! "Nachrichtenvermeidung gefährdet ein Grundprinzip der Demokratie", meint etwa Dr. Benjamin Toff, Senior Research Fellow am Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford. Er geht sogar weiter und schreibt: "Es bedroht aber nicht nur die Fähigkeit der Öffentlichkeit, die politische Führung zur Rechenschaft zu ziehen. Die Abkehr von Nachrichten ist in einigen Fällen auch eine Reaktion auf die Einschränkung von Pressefreiheit."

Weltuntergangsstimmung beim Nachrichtenkonsum

Dennoch lässt sich so der allgemeine Nachrichtenverdruss nicht einfach wegdiskutieren. Dass wir beispielsweise auch positive Nachrichten als negativ empfinden können, liegt insbesondere an Headlines. Sie greifen häufig einen Aspekt aus einem Artikel oder Beitrag heraus, der für Aufmerksamkeit sorgt und zum Lesen und Konsumieren animieren soll. Auch über negativ konnotierte Schlagworte kann der Eindruck zusätzlich verstärkt werden.

Ein Aspekt ist außerdem: Negative Nachrichten interessieren uns schlicht mehr. Diese bleiben länger in Erinnerung, was den Es-gibt-nur-noch-schlechte-Nachrichten-Effekt verstärkt. Gleichzeitig lässt sich mit der Nachrichtenflut auf allen Kanälen auch der Verdruss gegenüber Nachrichtenthemen erklären: tägliche Eilmeldungen auf dem Handy, ständige, ungefilterte Informationen auf den sozialen Netzwerken.

Was hilft?

Wer sich passiv berieseln lässt, kann sich in dieser negativen Nachrichtenspirale verlieren. Die exzessive Nutzung wird so mitunter zur psychischen Belastung. Doch es gibt Lösungen, weiterhin informiert und gesund zu bleiben: Man sollte sein eigenes Mediennutzungsverhalten hinterfragen und seinen Medienkonsum gezielter und selbstbestimmt wählen. Hier weitere Tipps:

  • Abos hinterfragen und prüfen, welchen Apps, Plattformen und Kanälen man gezielt folgen möchte
  • Ausgewählte Nachrichten-Apps löschen und/oder zusätzliche Push-Notifications abschalten
  • Auf Angebote setzen, die Informationen einordnen und auf einen hintergründigen, lösungsorientierten und damit konstruktiven Fokus setzen
  • Zeiträume festlegen, in denen man sich informiert, zum Beispiel einmal pro Woche oder 20 Minuten pro Tag
  • Zeitlimits in digitalen Geräten einstellen, um die Nutzungsdauer und damit den Nachrichtenkonsum einzuschränken

Es kann auch helfen, bestimmte News auszulassen, andere Themen aber weiter zu verfolgen oder beispielsweise keine Nachrichten kurz vorm Schlafengehen zu konsumieren.

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Blick von oben auf eine belebte Straße: Über einen Zebrastreifen laufen zahlreiche Fußgänger über deren Köpfe Emojis, Textblasen, Like-Symbole und Herzen auftauchen.
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