Gedanken zur Ökumene (2020)

von Susanne Sturm

04. April 2024, 16:28 Uhr

Susanne Sturm, Leiterin der MDR-Kirchenredaktion
Susanne Sturm Bildrechte: MDR/Robert Hensel

Mein Vater stammte aus einer konfessionsverschiedenen Ehe und hatte als Junge erlebt, welchen Vorwürfen seine katholische Mutter ausgesetzt war, weil sie einen evangelischen Mann geheiratet und ihren Sohn evangelisch hatte taufen lassen. Früh ließ er meine Schwester und mich deshalb wissen, dass ihm jeder Schwiegersohn recht sei, wenn er nur nicht katholisch sei. Meine Schwester und ich haben beide später einen katholischen Mann geheiratet und die wurden sehr herzlich in die Familie aufgenommen. Die Lage zwischen den Konfessionen hatte sich entspannt. Heute gilt bei der Partnerwahl schon als glücklicher Umstand, wenn beide eine ähnliche Einstellung zum Glauben haben.

Diese persönlichen Erfahrungen sind nicht zufällig. Sie spiegeln das veränderte ökumenische Klima. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Ökumene. Von der Weltmissionskonferenz von 1921 über die Gründung des Weltrates der Kirchen 1948 und das Zweite Vatikanische Konzil bis zur gemeinsamen  Rechtfertigungserklärung 1999, die Kirchen bewegten sich auf einander zu, suchten nach Gemeinsamkeiten, wollten Trennendes über winden. Dieser Prozess war von Hoffnungen, Sehnsüchten und Begeisterung begleitet. Heute scheint der ökumenische Enthusiasmus verflogen, Ernüchterung wird konstatiert, spätestens seit der ökumenischen Begegnung der EKD mit Papst Benedikt im Erfurter Augustinerkloster. Immer noch ist kein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Protestanten möglich und im Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 spielen alte konfessionelle Abgrenzungsmuster eine Rolle.

Wer von einer Kirche träumt, der mag enttäuscht sein. Ja, es scheint, dass trotz aller ökumenischen Anstrengungen das Auseinanderdriften größer wird. Schließlich hat sich im vergangenen Jahrhundert die Zahl der Kirchen, Konfessionen, Glaubensrichtungen vervielfacht. Pluralität – ein Kennzeichen unseres modernen Lebens – macht  vor Glaubensdingen nicht halt.

Warum dann noch dieses mühsame Suchen nach einem theologischen Konsens, dieses Ringen um den größtmöglichen gemeinsamen Nenner? Was bringt das heute, wo doch vielen Zeitgenossen die Bibel ein Buch mit sieben Siegeln ist? Weil heute immer noch gilt, was in der Geburtsstunde der Ökumene den Anstoß gab: Damals, 1921 auf der Weltmissionskonferenz, waren die Teilnehmer überzeugt, dass sie nur glaubwürdig die Botschaft von Jesus Christus in die Welt tragen können, wenn sie sich um Gemeinschaft untereinander bemühen. Eine zerstrittene Christenheit gibt kein einladendes Bild ab.

Ermutigend kann da die Erinnerung an 1989 sein: Die Ökumenischen Versammlungen für Gerechtigkeit, Frieden und zur Bewahrung der Schöpfung  schrieben Geschichte, weil sie von Christen aller Konfessionen getragen wurden. So selbstverständlich wie das nach 25 Jahren klingt, war das auch zu DDR-Zeiten nicht. Wenn 2017 der Ereignisse der Reformation gedacht wird, so geht es deshalb nicht so sehr um die Frage, wie Lutheraner und Katholiken sich zu diesem Datum verhalten, sondern ob es gelingt, den Gedanken von der Freiheit eines Christenmenschen auch außerhalb der kirchlichen Räume plausibel zu machen.