Ein Mann mit Vollbart spricht in ein Mikrofon
Bildrechte: MDR/Kerstin Gensel-Dittmann

26. April 2023 | Langenstein-Zwieberge Dreiteiler "Unter Deutschen. Zwangsarbeit im NS-Staat" - Preview und Publikumsdialog mit Tiefgang

10. Mai 2023, 17:59 Uhr

Am 26. April wurden in der Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge (bei Halberstadt) die ersten beiden Teile des Dreiteilers "Unter Deutschen. Zwangsarbeit im NS-Staat" vor interessiertem Publikum gezeigt.

Die Doku-Reihe regt sehr zum Nachdenken an. Gedenkstättenleiter Dr. Gero Fedtke betont bei der Begrüßung den wichtigen Aspekt der Zwangsarbeit in der Nazizeit. Und Programmdirektorin Jana Brandt würdigt die Zusammenarbeit mit ARTE und den anderen europäischen Sendeanstalten, mit denen diese Reihe gemeinsam umgesetzt und so ein multiperspektivischer Blick ermöglicht wurde.

Deutsch-österreichisch-tschechische Koproduktion

"Unter Deutschen. Zwangsarbeit im NS-Staat" ist eine dreiteilige Serie, produziert von LOOKsfilm im Auftrag von MDR, ČT und ORF in Kooperation mit ARTE. In all diesen Ländern und in den Niederlanden fand Autor und Filmemacher Matthias Schmidt Kinder und Enkel der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter für seine Filme. Aber auch die Nachfahren derer, die damals über das Schicksal vieler Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter entschieden.

Historiker und Autor Per Leo ist einer von ihnen. Sein Großvater Friedrich Leo war SS-Sturmbannführer im Rasse- und Siedlungshauptamt. "Er wird dann irgendwann … im Rasseamt der Chef der deutschen Eignungsprüfer. Und in dieser Eigenschaft laufen dann im späteren Kriegsverlauf über seinen Schreibtisch auch Dokumente, die durch seine Unterschrift unmittelbar zur Ermordung führten. Unterschriften, die den Tod für osteuropäische Zwangsarbeiter bedeuten," so berichtet es Per Leo im zweiten Teil der Serie. Und er spricht darüber anschließend in der Podiumsdiskussion der mittendrin-Veranstaltung.

Podiumsdiskussion nach dem Film

Ein Mann mit Vollbart spricht in ein Mikrofon
Nach dedr Preview gab es Gelegenheit für Fragen an die Macher. Bildrechte: MDR/Kerstin Gensel-Dittmann

Es ist nicht das erste Mal, dass er sich mit seiner Familiengeschichte auseinandersetzt. "Mich interessieren die Grautöne. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß," offenbart der Historiker und Enkel des SS-Sturmbannführers seine Gründe. Und auf die Frage, ob es nicht schwer war, sich mit dieser "Familienschuld" zu befassen, verneint er: "Ich habe die wichtige Einsicht gewonnen, dass es nicht DIE typische Art mit seiner Geschichte umzugehen gibt. Es findet alles in einem Zeitkontext statt und in einer Familiengeschichte. Für mich hat die Aufarbeitung sinnstiftend gewirkt. Ich habe es nicht als Last empfunden."

Andere Protagonistinnen und Protagonisten musste das mit dem deutsch-tschechischen Journalistenpreis ausgezeichnete Autorenduo Matthias Schmidt und Vít Poláček erst auf einem langen Weg für die Gespräche vor der Kamera gewinnen. "Aber am Ende hatten wir wirklich mit den Menschen in unserem Film ganz großes Glück. Es braucht Vertrauen, aber dann sprechen sie sehr offen, sehr berührend oft auch. Und viele, das ist wirklich so, wollen ja auch darüber sprechen," resümiert Matthias Schmidt im Podiumsgespräch.

Sein Ansporn: zeigen, wie allgegenwärtig Zwangsarbeit in der NS-Zeit war. Nicht nur die Rüstungsindustrie wurde so aufrechterhalten, auch viele Haushalte hatten osteuropäische Zwangsarbeiterinnen als Haushaltshilfen, doch nach dem Krieg war oft zu hören: "Ach, unsere Olga hatte es doch gut bei uns." Wirklich?

Die knapp 30 Gäste der Veranstaltung folgen der Diskussion gespannt und werden auch ihre eigenen Fragen los – wie Lothar Pawelke, der wissen möchte, ob diese hochspannende Reihe auch jungen Menschen gezeigt werde: "Ich arbeite hier ehrenamtlich als Begleiter in der Gedenkstätte. Da kommen auch viele junge Menschen. Wissen Sie, die können mehr als Computer spielen. Die machen sich wirklich Gedanken, das merkt man." Laut Redaktionsleiterin Anais Roth, die die Filme für den MDR redaktionell verantwortet hat, ist dies tatsächlich geplant. Die Redaktion sei immer offen für Kooperationen – erst recht bei solch wichtigen Themen, die bis heute nachwirken.

"Deshalb", sagt Gedenkstättenleiter Dr. Gero Fedtke, "sind Sie mit ihrem Film hier genau richtig. Das ist genau unser Anliegen, berichten und vielleicht etwas verankern. Daraus können alle lernen."