Eine Frau zeigt einer zweiten ihr Mitgefühl
Gefühle zeigen und über Belastendes sprechen kann befreiend sein. Bildrechte: Colourbox.de

Psychologie Gefühle ausdrücken und regulieren: Wie viel Meckern ist gesund?

28. April 2024, 05:59 Uhr

Wenn es reicht, muss es einfach raus: Sich Luft machen ist gesund. Doch richtig meckern will gelernt sein, denn zu viel davon kann wiederum krank machen. Wo die Grenzen verlaufen, beschreibt Benjamin Jovan Panić, Fachdozent für Psychologie an der SRH Fernhochschule.

Proträtfoto einer Frau mit eine rosa Bluse.
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Wer negative Gefühle wie Ärger, Wut oder Enttäuschung in sich verschließt, läuft Gefahr, dass diese Empfindungen langfristig die Seele belasten. Das wiederum gefährdet die Gesundheit, orientiert man sich am sogenannten biopsychosozialen Modell von Gesundheit und Krankheit. Es geht davon aus, dass Krankheiten entstehen, wenn das Zusammenspiel von Körper, Psyche und sozialem Umfeld gestört ist. Wer Emotionen kommuniziert, kann sie besser verarbeiten, Konflikte lösen oder Missverständnisse klären und damit die Psyche entlasten. Darüber hinaus bauen wir tiefere Verbindungen zu anderen Menschen auf, wenn wir Gefühle mit ihnen teilen, was uns zusätzlich stärkt.

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Emotionen regulieren: Meckern kann man lernen

Doch für viele Menschen ist das durchaus eine Hürde, weiß Psychologe Benjamin Jovan Panić. Ob wir unsere Gefühle ausdrücken können und wie gut, hängt von vielen Faktoren ab: von der Situation, von der Art unserer Sorgen, von unserer Persönlichkeit, von der Offenheit von uns selbst und der Person, mit der wir darüber sprechen sollten.

Auch die Erziehung, gesellschaftliche Erwartungen und Stereotype spielen eine Rolle: So sind vor allem Männer meist von klein auf darauf trainiert, ihre Gefühle zu unterdrücken und zu verbergen, um keine Schwäche zu offenbaren. Das kann es ihnen erschweren, über ihre Emotionen zu sprechen oder sie zu zeigen. Doch es gibt durchaus Techniken, zu denen Panić rät und mit denen man genau das lernen kann:

Selbstreflexion: Sich fragen, was man gerade empfindet und herausfinden, warum das so ist: Welcher Auslöser steckt dahinter, dass ich mich gerade schlecht fühle, mich ärgere, wütend bin? Kann man das für sich analysieren, kann man es auch in Worte fassen, und anderen mitteilen.

Emotionsregulationstechniken: Manchmal ist es auch die Sorge vor der eigenen Überreaktion, die uns davon zurückhält, über unsere Gefühle zu sprechen: dass es nicht beim Meckern bleibt, sondern vielleicht ein Schreien wird. Negative Empfindungen unter Kontrolle halten, ohne sie zu unterdrücken, können wir beeinflussen: Durch Achtsamkeitsübungen, Atem- und Entspannungstechniken, progressive Muskelentspannung. Aber auch durch die sogenannte positive Affirmation, das Formulieren von Glaubenssätzen wie: "Ich werde jetzt nicht laut. Ich atme tief durch und konzentriere meine Gedanken auf das, was ich erreichen will."

Zufriedenheit trotz Unvollkommenheit: Kein Leben ist perfekt

Grundsätzlich sei es immer richtig, seine Unzufriedenheit oder Bedenken auszudrücken, so Panić. Dabei kommt es unter anderem auf den richtigen Ton an: Nicht verletzend zu werden und möglichst konstruktiv zu bleiben, also auch über Lösungsvorschläge und Ziele nachzudenken. Das kann auch bedeuten, Unabänderliches anzunehmen, es zu akzeptieren, um inneren Frieden zu finden.

Kein Leben sei perfekt und trotzdem könne es erfüllt sein, räumt der Psychologe ein. Wichtig sei, sich auf Positives zu fokussieren und sich gegebenenfalls Hilfe suchen: bei Therapeuten, Beratern, in Selbsthilfegruppen. Denn dauerhaftes Jammern ohne Aussicht auf Veränderung führe zu Frustration und verstärke Konflikte genauso wie grundsätzliches Schweigen. Es kann sogar krank machen und unser Gehirn verändern.

Negative Schleifen: Ständiges Jammern schadet dem Gehirn

Das fanden Forschende der Standford Universitity im Rahmen einer Studie heraus. Sie stellten fest, dass chronische Unzufriedenheit den Hippocampus verkleinert. Diese Region in unserem Gehirn ist für unsere Gedächtnisleistung verantwortlich. Ständiges Jammern fördert jedoch nicht nur die Vergesslichkeit, sondern es kann auch andere Beschwerden begünstigen. Wer immerzu meckert und sich häufig aufregt, hält sein Stresslevel konstant hoch. Die Folgen: Unruhezustände, Herzrasen und Zittern. Körper und Psyche befinden sich dauerhaft in einem angespannten Zustand, was langfristig Fettleibigkeit, Diabetes und Herz-Kreislauf-Probleme begünstigen kann.

Notorisches Jammern kann auch einsam machen. "Sich ständig zu beschweren, kann tatsächlich andere abschrecken. Wir umgeben uns viel lieber mit positiv denkenden Menschen. Wer dazu neigt, in allem das Negative zu suchen, dem kann es durchaus passieren, dass er sein Leben und auch seine Sorgen ohne die soziale Unterstützung anderer bewältigen muss", gibt Panić zu bedenken.

Ausgetretene Pfade verlassen: Dankbarkeit statt negativer Gefühle

Was dagegen helfen kann, ist den Spieß einfach mal herumzudrehen. Nicht nur betrachten, was gerade schlecht läuft, sondern auch gezielt dankbar sein für das, was gut läuft. Denn unser Gehirn nutzt gern ausgetretene Pfade, um Informationen effektiv zu transportieren. Immer, wenn wir einen Gedanken fassen, bilden die Synapsen dafür untereinander Brücken. Wenn dieselben Synapsen häufig miteinander kommunizieren, rücken sie näher zusammen, damit sie die Information schneller weitergeben können. Wer also regelmäßig negative Gefühle hat, erzieht sein Gehirn gewissermaßen dazu, pessimistische Gedanken optimistischen vorzuziehen – schlicht, weil es sich für sie weniger anstrengen muss.

Wir müssen uns dem Umgang mit negativen Gefühlen ständig aufs Neue stellen, ihn immer wieder ausbalancieren, zieht Panić Bilanz: "Das Ventilieren von Emotionen kann gesund sein, da es uns ermöglicht, aufgestaute Gefühle loszulassen und eine gewisse Erleichterung zu erfahren. Problematisch wird es jedoch, wenn das Dampf ablassen zu einer dauerhaften Gewohnheit wird oder wenn es auf eine Art und Weise geschieht, die andere belastet oder abschreckt."

Dieses Thema im Programm: MDR SPUTNIK | 06. April 2024 | 06:26 Uhr

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