Kinder auf einer Treppe
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Klimaklagen Darum sind Klimaklagen auch ohne Sieg erfolgreich

17. Mai 2024, 12:14 Uhr

Immer öfter ziehen Menschen vor Gericht, um Staaten oder Unternehmen zu mehr Klimaschutz zu bewegen. Erst am Donnerstagabend hat die Deutsche Umwelthilfe gegen die Bundesregierung einen Sieg errungen. Andere Klagen scheitern. Doch die gute Nachricht ist: Egal, wie das Urteil lautet, im Kampf gegen die globale Erwärmung haben Klimaklagen in jedem Fall einen positiven Effekt.

Junge Frau mit langen, braunen Haaren gelben Mantel, lacht und blickt mit leicht gesenktem Kopf in Kamera
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Das Bild der Klimaseniorinnen geht im April um die Welt. Von "Sensation", "Durchbruch" und "historischem Sieg" ist die Rede. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte zu diesem Zeitpunkt erstmalig einen Staat wegen unzureichender Klimaschutzmaßnahmen verurteilt. Ein Urteil, auf das immer mehr Menschen weltweit hoffen.

Die Anzahl der Klimaklagen gegen Regierungen und Unternehmen steigt zunehmend. In Deutschland hat erst am Donnerstagabend die Deutsche Umwelthilfe zwei Klagen gegen die Bundesregierung gewonnen. Das Urteil des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg: Bestehende Klimaschutzprogramme für die Jahre bis 2030 müssen um konkrete Maßnahmen ergänzt werden.

Die Anzahl der Klimaklagen ist seit 1986 stark gestiegen. Seitdem gibt es Klagen in 51 Ländern.
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Bereits im November letzten Jahres hatte der BUND die Bundesregierung verklagt, weil sie die im Bundes-Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Treibhausgas-Sektorziele für Verkehr und Gebäude nicht eingehalten hatte. Auch hier mit Erfolg: Die Bundesregierung wurde verpflichtet, an dieser Stelle nachzulegen. Obwohl es Siege in einem Einzelverfahren sind, haben solche Fälle eine große Bedeutung im Kampf gegen die globale Erwärmung.

Wie einzelne Klimaklagen den Klimaschutz verändern

Mittlerweile gibt es weltweit eine Reihe wegweisender Urteile, die vor allem eines tun: Den Klimawandel und seine Folgen anerkennen. Das klingt zunächst banal, hat aber weitreichende rechtliche Konsequenzen.

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Urteil: Auch zukünftige Freiheitsrechte zählen

Lange Zeit war es schwierig zu klagen, so Franziska Heß, Umweltanwältin von der Kanzlei Baumann Rechtsanwälte und stellvertretende Vorsitzende des BUND Sachsen. "Natürlich ist es so, dass wir die Klimawandelfolgen schon jetzt sehen, aber eine echte gegenwärtige Betroffenheit ist schwierig darzustellen", so die Anwältin. Gleichzeitig müsse man aber eben jetzt umsteuern, um nicht in 15 Jahren die ganzen Probleme zu haben.

Das hätte sich durch die Verhandlungen vor Gericht mittlerweile aber geändert. In Deutschland sei dafür das Urteil vom 29.04.2021 historisch, so die Anwältin: Der Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie verschiedene Einzelkläger*innern hatten vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und ein wegweisendes Urteil errungen: Denn das Gericht stellte fest, dass eine heute unzureichende Klimaschutzpolitik die Freiheits- und Grundrechte von morgen beeinträchtigt. Soll heißen: Unzureichende Maßnahmen, die in Zukunft Schaden anrichten könnten, kann man auch heute schon einklagen.

Klimaklagen treiben die Klimaschutzpolitik voran

Auch das Urteil der Klimaseniorinnen sei Franziska Heß zufolge herauszuheben: "Aus juristischer Sicht ist hier spannend, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte quasi den Artikel acht der Europäischen Menschenrechtskonvention auch fruchtbar gemacht hat für einen Anspruch auf Schutzmaßnahmen in Bezug auf den Klimawandel". Artikel acht enthalte ein Grundrecht auf Schutz des Familienlebens. Seit dem Urteil sei auch klar, dass dazu auch das Klima gezählt würde.

Solche Urteile ebnen den Weg für weitere Klagen und führten bisher zu konkreten Maßnahmen der Regierungen, so Lucy Maxwell, eine Menschenrechtsanwältin und Mitdirektorin des Climate Litigation Network, einer gemeinnützigen Organisation in London. Und je mehr Maßnahmen es gibt, desto einfacher ist es auch dagegen zu klagen: Den Staat kann man verklagen, wenn "vonseiten des Gesetzgebers keine ausreichenden Maßnahmen vorgesehen sind", so Franziska Heß. Oder aber, wenn er getroffene Maßnahmen nicht einhalte. Dieser Kontrollmechanismus zeigt Wirkung. In einem Bericht von 2022 erklärt der Weltklimarat erstmalig, dass Klima-Klagen zu einer "Steigerung des allgemeinen Ehrgeizes eines Landes, den Klimawandel anzugehen", führen können. Das gilt auch, wenn die Fälle vor Gericht scheitern.

Klimaklagen: Auch ohne Sieg vor Gericht erfolgreich

Das zumindest schreiben Forschende in einem Fachartikel im Journal "Nature". Schon die Klagen allein würden demnach das Bewusstsein für Klimafragen bei allen Beteiligten schärfen und dazu führen, dass Regierungen ihre Klimapolitik stärken.

Klagen gegen Unternehmen könnten zudem das "Greenwashing" eindämmen. Forschende des Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment hatten in einer Analyse von 120 Klimaklagen festgestellt, dass Unternehmen durch die Klagen ihre Kommunikation ändern würden und vorsichtiger wären. Wohl auch deshalb, weil die Klagen großen Schaden anrichten können: In einer weiteren Analyse stellten die Forschenden nämlich fest, dass die Klagen und Gerichtsurteile gegen große fossile Brennstoffunternehmen wie Shell und British Petroleum direkt zu schlechteren Bewertungen und einem Absturz der Aktienkurse der Unternehmen führten. "Das sendet eine starke Botschaft an Investoren und an die Unternehmen selbst, dass es einen reputativen Schaden durch die Klagen geben kann", so die Forscherin Joana Setzer im Nature-Artikel.

Die Frage, ob Klimaklagen etwas bringen, beantworten die Forschenden entsprechend klar mit Ja. Auch, weil dadurch Interessengruppen, die andernfalls nicht gehört würden, endlich Möglichkeiten hätten, selbst Maßnahmen einzufordern. Für Deutschland sieht Franziska Heß noch eine weitere positive Entwicklung durch die Klimaklagen: "Wenn das Bundesverfassungsgericht etwas sagt, dann wird das in der Bevölkerung und auch in der Politik ernst genommen und die Entscheidung 2021 hat die Frage: <Brauchen wir den Klimaschutz überhaupt, ist er wichtig oder nicht> geklärt. Das hat aus meiner Sicht einen ziemlichen Schub für den Klimaschutz gegeben". Nun sei vor allem die Frage des wie relevant, nicht mehr, ob überhaupt.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 16. Mai 2024 | 21:00 Uhr

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