Illustration zweier Frauen auf den Köpfen von Springerschachfiguren
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Psychologie Warum wir manchmal nicht wissen wollen, wie andere denken

24. Dezember 2023, 15:59 Uhr

Sich in andere hineinversetzen zu können, diese Fähigkeit ist uns eigen. Wir teilen sie nur mit den Menschenaffen, mit keinem anderen Lebewesen. Aber nicht immer nutzen wir diese besondere Gabe, manchmal blenden wir sie regelrecht aus. Das konnten Forschende aus Leipzig jetzt nachweisen. Doch in welchen Momenten tun wir das und warum?

Das Phänomen, dass wir verstehen, was andere denken, ist trotz zahlreicher Studien, die es inzwischen dazu gibt, nicht umfassend geklärt. So gibt es zum Beispiel auf die Frage, in welchem Alter wir beginnen wahrzunehmen, dass unser Gegenüber anders denkt als wir, noch keine abschließende Antwort. Frühere Studien legten nahe, dass wir uns mit etwa vier bis fünf Jahren in andere hineinversetzten können. Doch wir können es offenbar schon viel früher, zeigen neuere Untersuchungen. Für diese Erkenntnisse wurden die Augenbewegungen und Hirnströme von Kindern aufgezeichnet, während sie andere beobachten und es zeigte sich: bereits im ersten Lebensjahr können Kinder korrekt vorhersagen, wie sich eine andere Person verhalten wird.

Katrin Rothmaler
Dr. Katrin Rothmaler arbeitet am am MPI CBS und in der Humboldt-Forschungsgruppe an der Universität Leipzig. Bildrechte: mpg cbs

Katrin Rothmaler und Charlotte Grosse Wiesmann vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig (MPI CBS) wollten wissen, ob Erwachsene genauso agieren und inwieweit die Perspektive anderer ihr Denken unterschwellig beeinflusst. Dazu entwickelten sie ein Experiment mit extrem kontrollierten Bedingungen:

Die Versuchspersonen bekamen jeweils eine rote Brille mit Sichtfenster sowie eine blaue, die undurchsichtig war, um sie auszuprobieren. Mit dieser Erfahrung ausgestattet wurde ihnen anschließend ein Video gezeigt, in dem eine Schauspielerin entweder mit einer durchsichtigen oder einer undurchsichtigen Brille ein Objekt verfolgt, das sich in ein links oder rechts stehendes Häuschen bewegt. Am Ende tauchte es entweder aus dem einen oder aus dem anderen wieder auf und die Teilnehmer sollten es schnellstmöglich entdecken. War ihre vorherige Beobachtung der Schauspielerin dafür hilfreich, auch wenn der Ball aus einer überraschenden Richtung kam? Spielte es für sie eine Rolle, dass sie mit der blickdichten Brille nicht sehen konnte, wo der Ball ist und somit selbst nicht überrascht war?

Wird es kompliziert, ist uns die Perspektive des anderen egal

Nein, so die Antwort von Katrin Rothmaler: "Wir haben herausgefunden, dass die Testpersonen sich stumpf auf das Objekt fokussierten, das sie suchen sollten. Was die Schauspielerin dachte, wo sie es vermutete, hat das Verhalten der Probanden in keiner Weise beeinflusst. Nach dieser Erfahrung war es ihnen dann auch völlig egal." zieht Katrin Rothmaler Bilanz. "Wir finden hier also, anders als in andere Studien, absolut keinen Hinweis darauf, dass die Perspektive des anderen ganz automatisch mit verarbeitet wird.“

Eine mögliche Erklärung dafür sieht die Neurowissenschaftlerin darin, dass die Aufgabenstellung hier sehr komplex war. "Man musste sich die Perspektive des anderen erst aufwendig erschließen, sich zurückerinnern: Welche Brille macht hier was? Wie war das für mich, wie ist das für die Schauspielerin? Unsere kognitive Kapazität ist beschränkt und wenn mir die Aufgabe durch den Perspektivwechsel zu viel davon raubt und mich nicht schneller zum Ergebnis führt, dann mache ich nur das Nötigste und konzentriere mich auf die Hauptaufgabe, hier, den Ball zu entdecken.“

Die Erkenntnis, dass wir durchaus entscheiden, wann wir uns in andere hineinversetzen wollen und wann nicht, teilen die Forschenden des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig (MPI CBS) auch mit anderen Wissenschaftlern. So wurde untersucht, ob es dabei auch darauf ankommt, ob uns unser Gegenüber sympathisch und wichtig ist. Selbst, ob wir bereit sind, die Perspektive von Hunden einzunehmen, betrachtete die Studie von Lara Bardi und ihrem Team.

Um aus all die Forschungsergebnissen, die inzwischen zur "Theory of Mind" vorliegen, zu einem einheitlichen Bild zusammenzufassen, bereiten Katrin Rothmaler und ihre Kollegen derzeit eine Metastudie vor. Dafür werden alle erhobenen Daten noch einmal unter zentralen Aspekten analysiert, um vielleicht doch eine allgemeingültig Antwort zu finden auf die Frage: Unter welchen Bedingungen beziehen wir das, was andere denken, in unser Handeln mit ein?

Links/Studien

Sich in andere hineinzuversetzten, veranlasst uns manchmal auch zum Schummeln.

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