Das Altpapier am 1. November 2019 Goldene Filterblasensprenger und weiße Demokratieritter

01. November 2019, 13:15 Uhr

Die FAZ feiert Geburtstag. Dazu gibt es unerwartete Anerkennung, aber auch sorgenvolle Blicke nach vorn. Twitter wäre gern der weiße Ritter der Demokratie und verbietet politische Werbung. Und die Elle sieht Schwarz nur als Farbe und nicht als soziales Konstrukt.. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Heute vor 70 Jahren erschien die erste FAZ. Zum Geburtstag schenkt die Zeitung sich heute die Schlagzeile „70 Jahre diese Zeitung“ und ein Titelbild von sich selbst, bzw. der Ausgabe vom 1. November 1949. Wer optimistisch ist, könnte das als eine Art Andeutung eines unendlichen Spiegelbilds verstehen. Pessimisten sähen darin vielleicht eher einen Rückbezug auf vergangene, vielversprechendere Tage in der Zeitungsbranche.

Einer der anerkennendsten Gratulationen hat Jan Feddersen ausgerechnet in der taz geschrieben. Er sieht die FAZ als eine Art goldenen Filterblasensprenger:

„Für Menschen, die ungern dauernd sich selbst bestätigt sehen und also auf Lektüre weltanschaulich gegensätzlicher Blätter angewiesen sind, ist diese Zeitung pures Gold. Sie leistet sich einerseits Oppositionsgeist wider die Konservativen, was sie sich leisten kann, denn eine Stiftung trägt sie, was sie nicht besonders abhängig machte von angedrohten Anzeigenboykotten. Andererseits war und ist sie gegen alles, was irgendwie politisch links ist: Mietendeckel, Reichensteuer, sozialstaatliche Besserungen. Aber immer alles wahnsinnig kenntnisgesättigt argumentiert.“

Auch wir senden auf diesem Wege herzliche Glückwünsche nach Frankfurt und die besten Wünsche für die kommenden Jahre! Bei Deutschlandfunk Kultur würdigt Ludger Fittkau die FAZ als konservatives „Flaggschiff der Republik“. Das wird nicht nur bei den Themen und Argumentationsweisen deutlich, sondern zeigt sich etwa auch in der Tatsache, dass es in den 70 Jahren nicht eine einzige Frau unter den Herausgebern gab. Trotzdem, so Fittkau, habe die Zeitung auch konservativen Regierungen die Stirn bieten können.

Was die Zukunft angeht, stehen da allerdings einige Fragezeichen: Ob der FAZ-Dampfer „auch dem Sturm der Digitalisierung trotzen kann, ist 70 Jahre nach der Gründung der FAZ offen. Wie viele andere Zeitungen hat der Verlag noch keinen schlüssigen Weg gefunden, in der digitalisierten Welt mit seriösem Journalismus Geld zu verdienen. Die Auflagenzahl der gedruckten Zeitung sinkt aber kontinuierlich.“

Ob diese kleinen schönheitschirurgischen Eingriffe im Layout auf dem Weg in die digitale Zukunft helfen, ist eher zu bezweifeln. Die Zeitung müsse sich „neu erfinden oder zumindest weiterentwickeln“, sagte FAZ-Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Barner bei „@mediasres“. Ein ähnliches Finanzierungsmodell wie beim britischen Guardian, der ebenfalls von einer Stiftung getragen wird, einen Teil der Erlöse auf Spendenbasis generiert und auf Paywalls verzichtet, kann Barner sich für die FAZ nicht vorstellen. Und sich mit einer digitalen Kleingelddose vor die Leser:innen zu stellen, wäre ja auch irgendwie nicht übermäßig glaubwürdig bei der überwiegend wirtschaftsliberalen Linie der Zeitung.

Twitter verbietet Wahlwerbung

Bei Unternehmen, die sich ausschließlich im digitalen Raum finanzieren, finden währenddessen ganz andere Diskussionen statt. Zwischen den Plattformen Twitter und Facebook scheint ein PR-Battle ausgebrochen zu sein, was den Umgang mit politischen Anzeigen und deren Auswirkungen auf die demokratische Meinungsbildung angeht.

Twitter, bzw. Häuptling Jack Dorsey, hat nun in einem langen Thread angekündigt politische Werbung (gegen Bezahlung) komplett von dem Kurznachrichtendienst zu verbannen. Reichweite für politische Inhalte müsse verdient und nicht gekauft werden, begründete er die Entscheidung (siehe z.B. Spiegel Online und Tagesspiegel). Dorsey twitterte auch:

„This isn’t about free expression. This is about paying for reach. And paying to increase the reach of political speech has significant ramifications that today’s democratic infrastructure may not be prepared to handle.

Das kann man als direkten Hieb gegen Mark Zuckerberg und sein Facebook-Imperium verstehen. Das Netzwerk hatte erklärt, als Privatunternehmen stehe es ihm nicht zu, Politiker:innen oder Nachrichten zu „zensieren“. Darüber schreibt Simon Jenkins im Guardian und kritisiert, Zuckerbergs Blick auf soziale Medien sei quasi zu sehr durch eine rosa Brille geprägt:

„Mark Zuckerberg, declares it ‚not right for private companies to censor politicians or the news‘. He subscribes to the romantic view of social media as the yellow brick road of digital’s global village. The road should not dictate who travels along it, it should just collect the tolls. That includes advertisers, the sustenance of Zuckerberg’s $500bn empire.“

Den Bühnen- und Drehbuchautor Aaron Sorkin („The Social Network“) dürfte Twitters Ankündigung freuen. In einem offenen Brief an Mark Zuckerberg in der New York Times wirft er dem Facebook-Chef vor, mit seiner Linie nicht etwa die Meinungsfreiheit zu verteidigen, sondern vielmehr die Wahrheit anzugreifen:

„right now, on your website, is an ad claiming that Joe Biden gave the Ukrainian attorney general a billion dollars not to investigate his son. Every square inch of that is a lie and it’s under your logo. That’s not defending free speech, Mark, that’s assaulting truth.“

Das kann man so sehen. Der Reflex, Twitter nun als hehren Verteidiger der Demokratie anzusehen, bzw. Zuckerberg als „Silicon-Valley-Betonkopf“ und Dorsey als aufrechten Demokraten, wie es Meike Laaff in einem lesenswerten Kommentar bei Zeit Online schreibt, greift allerdings auch zu kurz. Sie wirft ein, es sei noch

„völlig unklar, was genau Twitter eigentlich genau angekündigt hat. Denn: Was versteht das Unternehmen denn eigentlich unter ‚politischer Werbung‘? Wer entscheidet bei Twitter, was ‚politisch‘ ist – und wie? Was ist gewonnen, wenn künftig einfach andere, parteinahe Interessengruppen fehlinformierende Werbung schalten? Oder dürften die das dann auch nicht mehr? Dürften politische Kampagnen zu Klimaschutz, Frauenrechten oder Einwanderungsfragen auch keine Twitter-Anzeigen mehr kaufen? Wer entscheidet das im Einzelfall – und vor allem: Will man diese Verantwortung wirklich den Unternehmen überlassen?

Womit wir wieder bei der ewigen Diskussion wären, wann, wie und wo soziale Netzwerke mit Blick auf die demokratische Meinungsbildung reguliert werden müssen, auch wenn sie sich noch so sehr dagegen sträuben, als Publisher bzw. eine Art Verleger gesehen zu werden.

Die Diskussion ist aber viel zu komplex und kleinteilig, als dass Twitter sich nun im Vorbeigehen als weißer Ritter der Demokratie inszenieren könnte. Denn natürlich können einzelne Politiker und Parteien weiterhin Mumpitz verbreiten, nur eben nicht mehr für eine gute Platzierung bezahlen. Dass die Algorithmen falsche, auf Polarisierung angelegte Beiträge trotzdem weiterhin pushen, steht allerdings zu befürchten. Vor allem mit Blick auf die USA falle aber auch noch ein anderer Aspekt in der Diskussion unter den Tisch, kritisiert Kurt Sagatz im Tagesspiegel:

„Die seit Wochen laufende Diskussion über politische Werbung in den sozialen Medien lenkt allerdings davon ab, dass insbesondere das Fernsehen für die politische Meinungsbildung eine noch größere Bedeutung hat und dass dorthin ein erheblich größerer Teil der Wahlkampf-Werbegelder fließt, merkt Curd Benjamin Knüpfer an, der am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin zum Schwerpunkt Politische Kommunikation und Medien in Nordamerika forscht. Anders als in Deutschland gibt es in den großen US-Networks vor Wahlen keine Zuteilung von Sendezeiten im Fernsehen. Wahlkampfwerbung muss wie jede andere Werbeform gebucht und bezahlt werden.“

Die eine, wirksame Maßnahme, mit der die massenhafte Verbreitung von Manipulation und Falschinformationen in den Schwitzkasten genommen werden können, gibt es nunmal leider nicht. Deshalb kann man in Twitters Ankündigung zumindest einen ersten Schritt zur Anerkennung problematischer Mechanismen auf der eigenen Plattform sehen, sich auf die Prozesse politischer Willensbildung auswirken. Dass der gebührend inszeniert und aufpoliert wird, war zu erwarten.

Altpapierkorb (Elle im Rassismus-Shitstorm, neue Spitze der Spiegel-Dokumentation, Fernsehrats-Beschwerden)

+++ Um Modezeitschriften geht’s im Altpapier ja eher selten bis nie und wenn, dann steht eher der Umgang mit Werbung und Anzeigen im Fokus. Diesmal nehmen wir aber tatsächlich die inhaltliche Berichterstattung in den Blick, mit der die deutsche Elle sich in den vergangenen Tagen einen veritablen Rassismus-Shitstorm eingehandelt hat. Bei der Süddeutschen erklärt Theresa Hein worum es geht: „Die Novemberausgabe trägt den Titel ‚Back to Black‘, in der Unterzeile heißt es ‚Schwarz ist wieder da: Unwiderstehlich‘. Damit sind nicht nur Pumps und Hüte gemeint: Auf Seite 82 des Heftes sind sechs ‚Models of Colour‘ abgebildet [Anm. Altpapier: von denen auch noch zwei junge Frauen verwechselt wurden]. Darüber die Worte: ‚Black is back‘. Die reichlich absurde Botschaft: Schwarz ist angesagt - bei Klamotten und Hautfarbe. In dieser Saison. Das wurde unter anderem von Naomi Campell kritisiert. In sozialen Netzwerken kursieren seitdem verschiedene Erfahrungen mit diskriminierendem Verhalten von Chefredakteurin Nedelchev. Die entschuldigte sich und Burda hält lauft W&V offenbar an ihr fest. Auch an der Entschuldigung selbst merke man, „dass die Zeitschrift nichts verstanden hat. Dort steht, dass sie in ihrer aktuellen Ausgabe ‚die Farbe Schwarz von allen Seiten beleuchten‘ wolle. Ganz offensichtlich verstehen die Verantwortlichen nicht, dass es bei der Bezeichnung einer Person als weiß oder schwarz nie bloß um eine Farbe geht“, kritisiert Robin Droemer bei Deutschlandfunk Kultur. Es ist stark anzunehmen, dass die Ereignisse ein unschönes Symptom der immer noch an zu mangelnder Diversität krankenden Redaktionen in Deutschland sind.

+++ Die Dokumentationsabteilung des Spiegels bekommt eine zwei neue Chef:innen. Cordelia Freiwald und Kurt Jansson sollen die rund 80 Mitarbeiter:innen künftig führen, wie der Spiegel mitteilte. Der Vorgänger Hauke Janssen geht in den Vorruhestand. Die Abteilung stand in der Kritik, nachdem die Betrugsfälle der Causa Relotius öffentlich wurden.

+++ Was passiert eigentlich mit Programmbeschwerden im ZDF-Fernsehrat, der sich so gerne als Anwalt der Zuschauer:innen ausgibt? Boris Rosenkranz hat bei Übermedien seine Erfahrungen zur Programmbeschwerde über die Darstellung einer Automarke in den ZDF-Krimi-Reihe „In Wahrheit“ zusammengefasst. Das Fazit fällt recht nüchtern aus, trotzdem sieht er eine solche Beschwerde nicht als vollends verschwendete Lebenszeit, denn: „Allein, dass sich die Redaktionen mit den Vorwürfen befassen müssen, führt unter Umständen zu so etwas wie einer Sensibilisierung, vielleicht zu Umdenken.“

+++ Die polnische Journalistin Katarzyna Pruszkiewicz hat sechs Monate in polnischen Troll-Fabriken recherchiert. Die Ergebnisse ihrer Recherche hat Buzzfeed nun auf Deutsch veröffentlicht.

+++ Apple TV+ ist gestartet, berichtet u.a. der Standard: „Überhaupt ändert Apple derzeit seine Strategie grundlegend: Der Konzern will mehr Geld mit Abo-Diensten einnehmen und sich unabhängiger vom iPhone machen, seinem mit Abstand wichtigsten Geldbringer.“

+++ AfD-Frontfrau Alice Weidel fühlt sich von den ZDF-Kindernachrichten brüskiert, berichtet die Frankfurter Rundschau.

+++ Beim Standard: Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro droht dem TV-Sender Globo mit dem Entzug seiner Lizenz – zumindest indirekt.  

Neues Altpapier gibt’s wieder am Montag.

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