Das Altpapier am 28. Februar 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 3 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Kolumne: Das Altpapier am 28. Februar 2024 von Christian Bartels Buh!

Kolumne: Das Altpapier am 28. Februar 2024 – Buh!

Die Aufregung um die Berlinale zeigt: Das Publikum von live übertragenen Veranstaltungen muss Verantwortung in Echtzeit übernehmen. Die Kommissionen rund um den Rundfunk streiten sich beinahe.

Mi 28.02.2024 12:01Uhr 03:04 min

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Kolumne: Das Altpapier am 28. Februar 2024 Buh!

28. Februar 2024, 09:43 Uhr

Die Aufregung um die Berlinale zeigt: Das Publikum von live übertragenen Veranstaltungen muss Verantwortung in Echtzeit übernehmen. Die Kommissionen rund um den Rundfunk streiten sich beinahe. Das EU-Gesetz zu digitalen Märkten geht in die heiße Phase. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Eine Lehre aus der Berlinale-Gala

Wow, so viel Nachhall hatten Berlinalen selbst zu Zeiten des englisch schwäbelnden Weltmanns Dieter Kosslick kaum. Schon vier Tage vorbei und immer noch überregionales Stadtgespräch! Hier der dpa-Überblick mit zahlreichen Politiker-Äußerungen zur bereits gestern an dieser Stelle thematisierten Aufregung. Zwei Diskussions-Stränge laufen weiter, die zumindest auch erfrischen, weil sie nicht die üblichen Fronten abbilden.

Zum einen dürften deutsche Beobachter "die Markierungen der deutschen Debatte", die aus historisch guten Gründen entstanden ist, aber aus ebenfalls historischen Gründen speziell deutsch ist, nicht verwechseln mit der "internationalen Realität ..., in der vieles, was hierzulande als skandalös empfunden wird, zumindest als zulässige Meinungsäußerung gilt", schreibt Deniz Yücel in der "Welt" (Abo). Und nennt

"die wachsende Unfähigkeit, andere Meinungen auszuhalten, ohne gleich nach der (Diskurs-)Polizei zu rufen; das schwindende Bewusstsein dafür, dass die Freiheit des Wortes auch die Freiheit des dummen Wortes umfasst",

ebenfalls "spezifisch deutsch". Zum anderen kommt spätestens jetzt auch Publikum, das glamourösen, nicht nur, aber auch im Fernsehen übertragenen Veranstaltungen beiwohnt, performative Verantwortung in Echtzeit zu. Das notieren mehrere Feuilletonisten. Und das verdient schon deshalb Beachtung, weil die Frage, wer überhaupt dazu gehören und Veranstaltungen beiwohnen darf (also die Ein- und Ausladung ein paar gewählter Berliner Politiker) ja für den ersten, kleineren Aufreger dieser Berlinale gesorgt hatte.

"... warum gebt Ihr Euch einen neuen Code of conduct der Berlinale, um die fünf AFD(!)-Abgeordneten auszuladen und warum ist eure FB-Timeline voller Kommentare über die fünf AFD(!)-Nasen und deren Menschenfeindlichkeit? Aber gestern Abend gilt die (neue) Moral dann nicht mehr?",

zitiert Rüdiger Suchsland in seiner allerhand Links enthaltenden Umschau "Antisemitismus-Skandal – Goldener Bär mit Palästinensertuch" bei "Telepolis" aus einem Facebook-Post des Filmemachers RP Kahl. Suchsland listet allerhand Stimmen auf, und "zwei weitere Berlinale-Vorfälle", die auf Antisemitismus deuten. "Beschämend" nennt er, dass "niemand aufstand oder buhte oder anders einschritt", als bei der Abschluss-Gala "abstoßende Parolen fielen und eitle Europäer mit frisch gebügelten Palästinensertüchern und Flugblättern auf der Bühne posierten".

"Das Schmerzlichste an jenem Abend war der Jubel eines Publikums, das zu opportunistisch ist, als dass sich jemand getraut hätte, buh zu rufen. Oder eben den Saal zu verlassen",

formulierte es Claudius Seidl in der Feuilleton-Glosse der "FAZ" (Abo). "Weshalb blieb das schwarz-grüne Politikerduo brav sitzen, anstatt unter Protest die Gala zu verlassen?", legt heute ein weiterer "FAZ"-Kommentar nach, der sich auf Berlins Bürgermeister und die Bundes-Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, bezieht, bevor er Aussagen des Bundesjustizministers von der FDP kritisiert. Von regierungsbehördlichen Social-Media-Redakteuren nachgereichte Posts, die erläutern, wem oder was Applaus galt und was oder wem demzufolge nicht, sind eher keine Lösung. "Die Leitung, die Moderation, Jurymitglieder, andere Preisträger hätten die Möglichkeit gehabt", einzugreifen oder was zu erwidern, zitiert der "Tagesspiegel" die Bundestags-Kulturausschuss-Vorsitzende Katrin Budde. Wobei die SPD-Politikerin am Samstagabend selbst im Publikum gesessen hatte – und hätte buhen oder gehen können. Politiker werden ja, mit wenigen Ausnahmen, sehr gerne eingeladen, auch weil sie über viele Geldströme entscheiden.

Elastizität, Akzeptanz, Spitzengehälter (ÖRR)

"Elastizität" täte vielleicht auch gut? Jedenfalls lautet so ein neuer Schlüsselbegriff der Öffentlich-Rechtlichen-Debatte bzw. der Rundfunkbeitrags-Erhöhungs-Debatte. Gesetzt hat ihn die relativ wichtigste deutsche Medienpolitikerin, die rheinland-pfälzische Sozialdemokratin Heike Raab, im "FAZ"-Interview (Abo), um das es gestern kurz im Korb ging.

"Die Intendanten haben bei dem Gespräch mit der Rundfunkkommission deutlich gemacht, dass sie den ernsthaften Reformwillen der Länder anerkennen. Damit besteht auch für eine politische Entscheidung eine zeitliche Elastizität, die die Anstalten nach unserer Meinung verkraften können",

sagte sie, die dieser Rundfunkkommission auch vorsitzt, da. Soll heißen: Zwar hatte Raabs Ministerpräsidentin Malu Dreyer Ende voriger Woche den KEF-Bericht empfangen (noch bevor sie die Rose des Rotary Clubs Stromberg-Naheland empfing ... Dreyer bekommt echt viel überreicht), und zwar empfiehlt die KEF darin, wie lange vorab vermeldet, die Erhöhung des Beitrags um 58 Cent pro Monat und Haushalt (Altpapier). Trotzdem soll es nun in dem Sinne elastisch weitergehen, dass die Bundesländer erst "im Herbst" über den für eine eine Erhöhung notwendigen neuen Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag zu entscheiden beginnen. Schon weil auch solche RFinStVs durch alle Landtage müssen, würde das bedeuten, dass jedenfalls zum Januar '25 keine Erhöhung erfolgt. Und dass eventuelle Landtags-Beschlüsse dazu nicht in die ab Sommer heißlaufenden Wahlkämpfe in drei ostdeutschen Bundesländern fallen. Bloß dürften die Rundfunkanstalten allerdings nicht vors Bundesverfassungsgericht ziehen, wovon Raab mit Bezug auf "Akzeptanz" und sogar Liebe (gekleidet in ein indirektes BBC-Zitat) abrät. Das war mal ein recht spektakuläres Raab-Interview.

Die andere schon genannte Kommission, die KEF, dürfte von diesen Ideen nicht begeistert sein. Dafür sprechen Aussagen wie

"Die Kritik am verfassungsrechtlich vorgegebenen Verfahren zur funktionsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland setzt ... erneut an der falschen Stelle und deshalb auch zu spät ein ..."

und

"Aus Sicht der Kommission leiden die aktuellen Abläufe primär an der fehlenden rechtzeitigen Willensbildung im Kreis der politisch Verantwortlichen für eine zielkonforme Auftragserteilung an die Rundfunkanstalten. Das ist jedoch kein Mangel des Verfahrens."

Beide Ausschnitte sind Teil derselben langen Antwort im erst recht langen, in seinem hochbürokratischen Sound aber eindrücklichen dwdl.de-Interview mit dem KEF-Vorsitzenden Martin Detzel. (Wobei Detzel zuzuhören, entsprechenden Eindruck auch bereitet ...). Was die Zustimmung für eine elastisch verzögerte Erhöhung des Rundfunkbeitrags wiederum erhöhen dürfte, ist eine gerade veröffentlichte Studie der Zeppelin-Universität aus Friedrichshafen, die etwa die "SZ"-Medienseite (Abo) und "epd medien" gerne aufgreifen:

"Im Vergleich mit öffentlichen Unternehmen auf kommunaler Ebene rangiert die Vergütung der Sendermanager hinter der von Sparkassen-Führungskräften auf dem zweiten Platz ... Im Jahr 2022 belief sich demnach bei den Führungskräften der öffentlich-rechtlichen Sender die Gesamtdirektvergütung pro Kopf auf '250.000 Euro im Median'".

"Wenn es um die Gehälter des Spitzenpersonals im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht, werden Beitragszahler schnell emotional", schreibt Claudia Tieschky in der "SZ". Vielleicht passt an dieser Stelle der Hinweis, dass Gehälter, Pensionen und bald darauf Abgeordnetendiäten der sehr zahlreichen Politiker, die bei optimistischster Betrachtung derzeit höchstens mittelgute Politik machen (aber ja sehr viel Raum im öffentlich-rechtlichen Rundfunk füllen), nun auch steigen.

Überdies Erwähnung verdient die Meldung über Kai Gniffkes Nachfolger, also in der Position des ARD-Vorsitzenden. Ab Januar 2025 übernimmt die der Hessische Rundfunk-Intendant Florian Hager ("epd medien"). Den hatte Peer Schader in seiner dwdl.de-Kolumne "Nieder mit dem ARD-Vorsitz!" kürzlich als "unintendantig" gelobt, und  Annika Schneider hier im Altpapier für seinen Umgang mit Sparmaßnahmen, unter anderem an seinem eigenen Gehalt.

Wie der EU-DMA wirkt

Die EU-Gesetze zum Digitalen sind zeitweise ziemlich umstritten, aber doch auch ziemlich unbekannt – schon wegen ihres langwierigen In-Kraft-Tretens, zu dem dann auch nationale Regeln gehören, die sich in Deutschland inzwischen oft verspäten. Ab dem 6. März tritt der Digital Markets Act (DMA), also das Digitale-Märkte-Gesetz, in eine heißere Phase. Daran erinnerte gerade das "FAZ"-Wirtschaftsressort (Abo):

"Namentlich adressiert sind Alphabet, Amazon, Apple, Bytedance, Meta und Microsoft. Sie müssen sich dann an die neuen, strengeren Regeln der EU halten – mit gravierenden Folgen: Führenden Plattformen wird untersagt, ihre eigenen Produkte bevorzugt gegenüber denen der Konkurrenz anzuzeigen. Sie dürften auch nicht mehr ungefragt personenbezogene Daten ihrer einzelnen Dienste kombinieren, so etwa bei Facebook und Whatsapp ... Auch dürfen Nutzer nicht daran gehindert werden, Software von Drittanbietern zu installieren."

Dann schildert Leon Werner, wie eine Bonner Universitäts-Abteilung mit dem halblustigen Akronym  CASTLE ("Center for Advanced Studies in Law and Economics") unter Leitung des Juristen Daniel Zimmer den DMA begleitet. Zimmer hatte als Vorsitzender der Monopolkommission mal Aufsehen erregt, indem er zurücktrat (als 2016 der damalige Bundeswirtschaftsminister Gabriel gegen den Rat dieser Kommission die Sondergenehmigung zu einer Supermarkt-Ketten-Fusion erteilt hatte). Es ließen sich bereits Konsequenzen des DMA beobachten:

"'Das herkömmliche Kartellrecht ist zu langsam für die Entwicklungen in der digitalen Wirtschaft', sagt Zimmer. 'Mit dem DMA gibt es jetzt eine Ex-ante-Regulierung, also eine, die von vornherein greift.' Klassischerweise muss im Kartellrecht zunächst eine marktbeherrschende Stellung festgestellt werden. Allein das kann unter Umständen Jahre dauern, wie beim Kartellverfahren der Europäischen Kommission gegen Google Shopping",

das in der Hauptsache von 2010 bis 2017 dauerte, ohne allerdings schon höchstgerichtlich abgeschlossen zu sein. Jetzt könnte es schneller gehen. Sowohl die zu "Gatekeepern" ernannten überwachungskapitalistischen Konzerne (was natürlich kein Begriff ist, den die "FAZ" oder Zimmer verwendet) seien bereits aktiv, um DMA-Regeln so zu interpretieren, dass sie weiter ungestört Abermilliarden-Geschäfte aus EU-Europa holen können. Aber auch kleinere Konkurrenten wie etwa Spotify beschweren sich bereits, etwa über Apples veränderte App-Store-Regeln. Insofern dürfte spannend werden, wie sich der DMA auswirkt. Vielleicht ist der EU ja mal was gelungen.


Altpapierkorb (Influencer-Urteile, Correctiv, Chatkontrolle, Zigarettenschachteln, Ballweber)

+++ Ein Medien-Trend geht zu immer mehr Prozessen. Die "FAZ"-Medienseite (Abo) berichtet heute von einem, ähm, Influencer, der mit Youtube-Videos wie "SKANDAL: Weltstar verklagt Freidenker!! Das unfassbare Urteil!" Zustimmung einsammelt, obwohl es solch ein Urteil wohl gar nicht gab. Und über einen Gerichtserfolg der Kabarettistin Monika Gruber, die Influencerin weiterhin als "selbsternannte" titulieren darf. +++

+++ "Ein Teilnehmer des Potsdamer Treffens, auf dem rechte Kräfte Pläne für eine 'Remigration' von Menschen nichtdeutscher Herkunft diskutiert haben, hat vor Gericht einen Teilerfolg ­gegen die Rechercheplattform Correctiv erreicht", meldet die "taz". Ausführlicher schildert die "Welt" (Abo) den angelaufenen "Kampf um die Deutungshoheit". +++

+++ Doch noch nicht ad acta gelegt sind EU-Pläne zur Einführung einer Chatkontrolle (deren Befürworter freilich schönere Begriffe verwenden), weiß netzpolitik.org und veröffentlicht neue Papiere. +++

+++ Die Journalistengewerkschaft DJV "fordert die Medien dazu auf, ihre Berichterstattung über die sogenannte Alternative für Deutschland neu zu justieren", mit so was wie einem "unübersehbaren Warnhinweis wie auf Zigarettenschachteln". +++ "Der übereifrige DJV-Vorstoß birgt ... vor allem die Gefahr, dass die Lügenpresse-Rufe lauter werden", kommentiert Kurt Sagatz im "Tagesspiegel". +++

+++ Und Jana Ballweber, die zuletzt im Altpapier vorkam, als die "Frankfurter Rundschau" einige junge Redaktionsmitglieder abrupt entließ, hat einen neuen Job und zu den Umständen ausführlich gepostet. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag Ralf Heimann.

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