Das Altpapier am 6. Februar 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 5 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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... und über 50 GSEAs in einer bekannten Medien-Arbeitsgemeinschaft. Bei einer bekannten Tageszeitung wird eine "Auszeit" genommen. Hält das "duale Rundfunksystem" bis 2064?

Di 06.02.2024 13:45Uhr 05:00 min

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Kolumne: Das Altpapier am 6. Februar 2024 Landwirte, Kratzer, Superstreamer

06. Februar 2024, 09:50 Uhr

... und über 50 GSEAs in einer bekannten Medien-Arbeitsgemeinschaft. Bei einer bekannten Tageszeitung wird eine "Auszeit" genommen. Hält das "duale Rundfunksystem" bis 2064? Und täte der ARD ein "unintendantiger" Außenminister gut? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Bauern gegen Medien?

Derzeit wird viel demonstriert in Deutschland, und an ungefähr allen Verkehrswegen viel gestreikt. Bei Streiks handelt es sich ja auch um Demonstrationen, die Breitenwirkung wollen. Ob die sehr zahlreichen und sehr großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zu wenig Medienaufmerksamkeit bekommen, wurde an dieser Stelle bereits gefragt. Ob die im Vergleich nicht so großen, bloß von großen Fahrzeugen unterstützten Bauern-Demonstrationen zu viel Aufmerksamkeit bekommen, klingt in Medien immer mal wieder an. Freilich handelt es sich bei den Landwirten um eine nicht nur, aber auch symbolisch wichtige Berufsgruppe. Und die bzw. viele aus ihr demonstrieren bzw. blockieren geduldig weiter. "Jetzt geht es gegen die Medien" und "Jetzt sind die Medien dran", sind heute Zeitungsartikel überschrieben. "Schluss mit Medienblockaden" hatte schon am Wochenende der DJV gefordert. Die Journalistengewerkschaft reagierte

"damit auf Berichte über eine Blockadeaktion in Hamburg, wo am späten Freitagabend rund 70 Menschen für drei Stunden die Zufahrt zu einem Presseverteilzentrum mit mehreren Pkw, Transportern und einem Sattelschlepper versperrten",

und zwar, weil den Demonstranten die Berichterstattung der beiden lokalen Tageszeitungen sowie des "Spiegel" missfallen habe. Unzufriedene Landwirte sollten sich besser an den Deutschen Presserat wenden. Heute nun schreibt die "FAZ" (Abo):

"Rund um den Maschsee erwachten die Bewohner am Montagmorgen in einer ungewohnten Klangkulisse: Ein lautes Hupen und Pfeifen drang vom Seeufer her in die Quartiere. Die Quelle des Lärms war das Landesfunkhaus des Norddeutschen Rundfunks (NDR) am Seeufer",

das sich keineswegs auf dem flachen Land, sondern in der Großstadt Hannover befindet. Dort also blockierten die Bauern den NDR.

"Mit abnehmendem öffentlichen Interesse, Einordnungen und auch Gegenreden werden nun Medienhäuser zum Ziel der Demonstrationen. Dabei sind viele Medien gar nicht so kritisch gegenüber den Protesten, wie manche Landwirte zu glauben scheinen",

meint die "taz" und gibt auch einen Überblick (der auch die Nachricht enthält, dass die Hamburger Blockade "rein symbolisch" gewesen sei). "FAZ"-Korrespondent Reinhard Bingener begab sich in Hannover ins Getümmel und hörte, dass immerhin gute Gespräche geführt wurden:

"Wortführer Günther Winkelmann zeigt sich hernach zufrieden mit der Unter­redung. Ihm sei dargelegt worden, dass es eine durchaus umfangreiche Bericht­erstattung über die Bauernproteste und das Thema Landwirtschaft gegeben habe, und er habe erkannt, dass man nicht pauschal von 'den Medien' sprechen solle."

So wie Medien ja auch nicht zu pauschal berichten sollten. Das ist doch ein gutes Ergebnis. Und dass die Blockaden die sehr hohe Bedeutung, die klassische Medien sich selbst geben, immerhin unterstreichen, obwohl sich darüber ja streiten ließe, sollten diese auch zu schätzen wissen.

Auszeit und "Kratzer am Image" ("SZ")

Huch, gestern formulierte ich hier noch meinen Eindruck, dass die "SZ" da einen nicht ungeheuer großen Aufreger eher ohne Not aufgeblasen hat. Schon ist etwas geplatzt.

"Nach Plagiatsvorwürfen nimmt die stellvertretende Chefredakteurin der 'Süddeutschen Zeitung' (SZ), Alexandra Föderl-Schmid, eine Auszeit. Bis zum Abschluss der Überprüfung werde sie sich aus dem operativen Tagesgeschäft der SZ zurückziehen, erklärte die Zeitung am Montag in einer aktualisierten Stellungnahme ...",

meldet etwa "epd medien", melden aber auch sonst alle. Eine besonders lange, mit Betriebsrats-Aussagen gestreckte dpa-Meldung hat newsroom.de. Als neuer Vorwurf kam hinzu, dass in Föderl-Schmids Salzburger Dissertation von 1996 "Plagiatsfragmente" entdeckt wurden. Dieser Frage gilt die angekündigte Überprüfung. Die "FAZ" betont, dass sie schon im Dezember berichtete und dabei auch Alexandra Föderl-Schmid zu Wort kommen ließ (hier/Abo). Indes freut sich medieninsider.com (Abo) über die zahlreichen Reaktionen. Exemplarisch genannt sei die des schon erwähnten DJV (Außer einem "dicken Kratzer am Image des Blattes" habe die Aktion "nichts gebracht"). Die "Welt", die gerade ja von der "SZ" angegangen wurde (siehe auch AP gestern) fragte noch beim ebenfalls Salzburger Plagiatsgutachter Stefan Weber nach, der die "-fragmente" entdeckte, sich aber auch nicht "näher" äußert ...

Interesse verdient hier noch, welches Thema Föderl-Schmid in den 1990ern beackerte: "Vom Monopol zum Markt: Zehn Jahre duales Rundfunksystem in Deutschland", hieß ihre Diss.

Hält das duale Rundfunksystem bis 2064?

Duales Rundfunksystem, duales Rundf... Das muss längst erklärt werden: Der Begriff wurde geschöpft, als in Deutschland neben die schon seit Jahrzehnten funkenden öffentlich-rechtlichen Sender die privaten traten, während von Bewegtbild-Internet noch keine Rede war. Dieses Thema war 1996 fraglos dankbar. Inzwischen ist das duale Rundfunksystem so überholt wie öffentlich-rechtliche und private Sender gemeinsam von den Plattformkonzernen überrollt wurden und werden. Trotzdem fällt der Begriff just heute in einem beinahe ganzseitigen Interview:

"Wenn wir das duale System in Deutschland aus privaten und öffentlich-rechtlichen Medienanbietern für die nächsten 40 Jahre erhalten wollen, dann muss es neu ausbalanciert werden. Vor allem die Öffentlich-Rechtlichen müssen dabei mitwirken."

Das sagt ProSiebenSat.1-Chef Bert Habets im "FAZ"-Wirtschaftsressort (Abo) (und bezieht sich darauf, dass "wir ... in Deutschland gerade 40 Jahre Privatfernsehen" "feiern". Haben Sie das bemerkt?). Keine Frage, Zeitungsseiten bis Redaktionsschluss mit so viel Text zu füllen, wie reinpasst, ist kein Zuckerschlecken. Dennoch schade, wie viele spannendere Fragen das Interview liegen lässt. Die Überschrift "ARD und ZDF droht Akzeptanzverlust" klingt so gewagt wie die Vorhersage "Ampel-Parteien haben schlechte Chancen, die nächsten Wahlen zu gewinnen". Und Sätze wie: "Ich bin fest davon überzeugt, dass es die Herausforderung für uns als Gesellschaft sein wird, Fake News von faktenbasierten Nachrichten zu unterscheiden. Übrigens nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa" müsste eigentlich jeder Medienmensch mindestens oft genug gesagt haben ...

An Punkten, die interessant wären, etwa wie genau die P7S1-Sender denn "jetzt ... noch mehr gesellschaftliche Relevanz in unser Programm bringen" wollen, fragt Interviewer Henning Peitsmeier leider nicht nach. Und zu Habets' Dauerthema, dem "deutschen Superstreamer" Joyn, scheint es nichts Neues zu geben. "Dieser einst diskutable" und sympathische Vorschlag einer Gemeinschafts-Mediathek konkurrierender nationaler Anbieter ist "längst illusorisch", schrieb ich im Jahresrückblick 2023.

Aktuell instruktiver ist da in Bericht erneut bei medieninsider.com (Abo). Volker Nünning beschreibt, dass das Joyn-Konzept unter demselben Namen (und unter P7S1-Ägide) in Österreich funktioniert, und in den Niederlanden das ähnlich gemeint nlziet.nl. Da sind der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Privatsendergruppen RTL Nederland und Talpa/ de Mol beteiligt. Hm, das hätte Habets als Niederländer, der auch für RTL arbeitete (als das seinen gleichnamigen niederländischen Ableger noch nicht verkauft hatte, was es inzwischen aus kartellrechtlichen Gründen tat), auch erwähnen können ... Jedenfalls, schließ Nünning, dass solche "Supermediatheken" in kleineren europäischen Ländern funktionieren, aber in großen nicht:

"Vor allem nicht in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien, den fünf großen europäischen Fernsehmärkten. Zu unterschiedlich scheinen letztlich die jeweiligen Interessen zu sein, nicht zuletzt da öffentlich-rechtliche Anbieter über Gebühren oder Steuergelder finanziert werden – im Gegensatz zu kommerziellen TV-Unternehmen, die sich mit attraktiven Inhalten über den Markt refinanzieren müssen."

Da grätscht noch ein aktuelles Thema rein, zu dem Habets sicher auch was hätte sagen können. Die werbefinanzierten Fernsehsender bekommen heftige neue Konkurrenz durch die ohnehin dominanten Plattform-Konzerne. Gerade, berichtet der "Tagesspiegel",

"ändert Amazon einfach die Bedingungen des bestehenden, vormals werbefreien Tarifs. Das bedeutet: Wer Prime-Kunde ist und das enthaltene Streaming-Angebot nutzt, bekommt dort nun Werbeunterbrechungen angezeigt. Es sei denn, man zahlt monatlich 2,99 Euro mehr für die 'Ad Free'-Option, also 11,98 statt 8,99 Euro.

Okay, für Amazon-Kunden, die meistens ja deshalb Kunden dort wurden, um vermeintliche Schnäppchen zu bestellen, ist das darstellbar. (Auch wenn der "Tsp." einen Musterbrief der Stiftung Warentest, wie man "Amazon auch zur Unterlassung auffordern" kann, verlinkt). Doch genau die Werbung für konsumfreudiges Publikum, die bei Amazon geschaltet werden wird, dürfte Pro Sieben und Co künftig fehlen. Zwar lassen sich (im Internet, anders als im klassischen Fernsehen) Werbeflächen beliebig bis exponentiell vergrößern. Aber die Zahl der Werbekunden, die dafür bezahlen, ja nicht. Wer als nächstes Habets interviewt, sollte danach fragen.

Medienpolitik im Rückwärtsgang?

In der Medienpolitik geht alles seinen Gang, der wegen des hohen Koordinationsbedarfs lange dauert, aber dann zu neuen Staatsverträgen führen wird, oder? Nee, kommentierte Steffen Grimberg im KNA-Mediendienst/Abo [für den ich auch schreibe]:

"Was die Rundfunkkommission eben dieser Länder auf ihrer Klausurtagung in ihr eigenes 'Eckpunktepapier' gegossen hat, bleibt nach Meinung Eingeweihter in den Fachabteilungen der Staatskanzleien sogar hinter dem dort bereits erarbeiteten Stand zurück ..."

Außer den bekannten Streits gebe es auch welchen "wieder einmal zwischen den A- und B-Ländern", also den SPD- und den CDU-geführten Ländern. Nicht zuletzt teasert Grimberg sein Interview mit Heike Raab, der Rundfunkkommissions-Koordinatorin (und Anführerin der A-, also SPD-Länder), an. Darin geht es natürlich auch um die Frage, ob für die ARD eine zentrale Leitung kommen soll, wie der Zukunftsrat empfiehlt (und sich dabei dachte, dass in der Arbeitsgemeinschaft so Koordinationsbedarf und entsprechende Posten und Kosten wegfallen), oder ob so etwas vor allem neue zusätzlichen Posten und Kosten bedeuten würde, wie aktuelle und ehemalige Entscheidungsträger aus den Anstalten fürchten. Darum ging's unter Schlagworten wie "Zentral-ARD" in diesem Altpapier. Raab sagt dazu:

"Ich finde den Ansatz, das Dach der ARD neu zu zimmern, absolut richtig und wichtig. Die ARD hat heute je nach Zählweise über 50 GSEAs, also gemeinsame Einrichtungen. Das kann nicht die Lösung sein. Deshalb sage ich: Das ist ein spannender Vorschlag des Zukunftsrats, den wir intensiv prüfen ..."

Die über 50 GSEAs, von denen außerhalb der Anstalten bisher kaum die Rede war, dürften die Debatte künftig bereichern. Was auch für noch einen Vorschlag gilt, der am Wochenende von völlig außerhalb kam, aus Peer Schaders "Hauptstadtstudio" bei dwdl.de. Trotz Sympathie fürs unermüdliche Interviewgeben des aktuellen ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke, der bloß leider "wie die allermeisten Führungskräfte im Senderverbund – kein oder nur sehr wenig Gespür dafür hat, wie drastisch sich Selbst- und Außenwahrnehmung der ARD voneinander unterscheiden", ruft Schader: "Nieder mit dem ARD-Vorsitz!"

Statt turnusmäßig wechselnder Vorsitzender, "die sich alle zwei Jahre wieder neu rantasten müssen", womit auch immer Posten und Kosten verbunden sind, benötige die ARD "sowas wie eine Außenministerin bzw. einen Außenminister", meint Schader – und hat dafür auch schon einen Kandidaten im Auge (der allerdings derzeit auch ein Intendantenamt bekleidet). Auch wenn man vielleicht fragen könnte, ob der ARD-Vorsitzende trotz des Titels nicht sowieso eher ein Außenminister ist, der halt mehr Interviews als die anderen Intendanten gibt, und ob für einen bloßen "Außenminister" nicht aufwändig koordiniert werden müsste, wozu er was öffentlich äußern dürfte, ist das ein schön pragmatischer Gedanke. Und das Adjektiv "unintendantig", mit dem Schader für seinen Kandidaten wirbt, verdient auch, in der Diskussion zu bleiben.


Altpapierkorb ("Nius" in der "SZ"-Affäre, Verdi vs. Dumont, Paramount-Rätsel, MDR-Richtigstellung)

+++ Zum oben erwähnten Plagiatsgutachter Weber kommt die spiegel.de-Meldung (Abo) rein, dass dessen Gutachten über Alexandra Föderl-Schmid "von dem rechtspopulistischen Portal 'Nius' bezahlt" worden sei. +++

+++ Zeitungsdruckereien, von denen oben die Rede war, werden häufig dichtgemacht, etwa die von Dumont in Köln, dessen Tageszeitungen inzwischen in Koblenz gedruckt werden (Altpapier). Im Nachgang dieses Falls hat die Gewerkschaft Verdi nun "Anzeige wegen eines Verstoßes gegen das Betriebsverfassungsgesetzes" gestellt (dwdl.de). +++

+++ Bei Paramount+, dem US-amerikanischen Streamingdienst, der auch allerhand deutsche Produktionen beauftragte und die sehr rabiat stoppte (Altpapierkorb gestern), scheint "irgendetwas im Busch zu sein", rätselt die "SZ"-Medienseite (Abo). Nicht nur, dass spektakuläre Neuproduktionen nicht mehr laufen sollen, "plötzlich" sind "auch einige Serien aus der Bibliothek verschwunden, die längst veröffentlicht worden waren". +++

+++ Der MDR strahlte im Dezember "zur besten Sendezeit einen Beitrag über angeblich 'verunreinigte' Impfstoffe aus", schrieb René Martens in diesem Altpapier. Dann stellte der MDR den Beitrag offline, "veröffentlichte eine Richtigstellung" und bat um Verständnis, dass er sich weiter nicht dazu äußern wolle. "Inzwischen hat der Sender es sich anders überlegt", schreibt die "FAZ" (Abo) über eine nun veröffentlichte "erneute Richtigstellung", diese. +++

René Martens schreibt auch das Altpapier am morgigen Mittwoch.

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