Kolumne: Das Altpapier am 4. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens 5 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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In Österreich kursieren gerade Chats, die Aufschluss darüber geben, wie sich die FPÖ den öffentlich-rechtlichen Rundfunk untertan machen möchte.

Do 04.04.2024 14:24Uhr 04:34 min

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Kolumne: Das Altpapier am 4. April 2024 Irgendwo leidet ein Hund

04. April 2024, 14:37 Uhr

In Österreich kursieren gerade Chats, die Aufschluss darüber geben, wie sich die FPÖ den öffentlich-rechtlichen Rundfunk untertan machen möchte. In Deutschland kursiert derweil ein gegenaufklärerisches "Manifest" zur "Reform" des ÖRR. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Mal wieder ein AfD-Skandal

Wenn prominente AfD-Leute einem anderen Mitglied der Partei eine Art Ultimatum stellen, ist das medienkolumnistisch normalerweise nicht relevant. Dass der hochrangige Europawahl-Kandidat Petr Bystron den Parteivorsitzenden "'bis zu diesem Donnerstag, 14 Uhr, eine schriftliche Stellungnahme zu übermitteln'" hat (Zitat aus der "Süddeutschen"), verdient hier aber Erwähnung, weil die Klemme, in der der Mann steckt, mit seinem mutmaßlichen Agieren gegenüber einer Medienplattform zu tun hat.

Es hat sich nämlich der "Verdacht erhärtet", dass Bystron "Geld von 'Voice of Europe' genommen (hat)", also von einer "laut tschechischem Geheimdienst (...) direkt von der Russischen Föderation finanziert(en)" Plattform (Zitate erneut jeweils aus der SZ).

Während in der vergangenen Woche "Spiegel"-Kolumnist Christian Stöcker noch beobachten konnte, dass "Voice of Europe" beim Halligalli um die "RKI-Files" (siehe u.a. Altpapier von Dienstag) freudig mitmischte, war die Website "am Mittwoch in Deutschland nicht mehr abrufbar", wie Ferdinand Knapp für die NZZ aus Berlin berichtet. Die NZZ weiter:

"Am Dienstag veröffentlichte (die tschechische Zeitung) 'Denik N' einen ausführlichen Bericht über Bystron und dessen mutmassliche Verstrickungen in die Affäre um 'Voice of Europe'. Der tschechische Geheimdienst BIS habe an einer unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Kabinettssitzung (…) teilgenommen, so «Denik N». In dieser seien mehrere tschechische Politiker vom BIS informiert worden, dass man über 'dokumentierte Beweise' verfüge, über Tonaufnahmen, die eine Zahlung an Bystron belegen könnten."

Das haben "fünf Mitglieder des tschechischen Kabinetts gegenüber 'Denik N' bestätigt", weiß das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Dass das Ganze, wenn sich denn die Vorwürfe bestätigen sollten, die Wählerinnen und Wähler der AfD aber wenig jucken dürfte, ist wohl keine unzulässige Spekulation. Jedenfalls, wenn man als Maßstab nimmt, was aus anderen "Skandalen" rund um die AfD folgte.

Sendepause für FPÖ-nahen Fitnesstrainer

Österreichische Medien werten seit Ende der vergangenen Woche neu bekannt gewordene Chats der FPÖ aus den Jahren 2018 und 2019 aus, die Aufschluss darüber geben, wie sich die Schwesterpartei der AfD im Fall einer Machtübernahme den ORF untertan machen will. Wolfgang Vichtl fasst die Berichterstattung nun für tagesschau.de zusammen:

"Beschreiben (die Chats), was dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich nach der Parlamentswahl blühen kann? (…) Die 'Datenbank der FPÖ-Medienpolitik', angefüttert (zu einer Zeit), als die FPÖ in Österreich mitregierte und mit aller Macht ein 'Mediensystem wie der Orban’ anstrebte, wirkt befremdlich aktuell: In Österreich wird wahlgekämpft, im September wird ein neues Parlament gewählt. Die FPÖ führt seit langem in den Umfragen (…) Einer ihrer Lieblingsgegner im Wahlkampf: der öffentlich-rechtliche ORF. Mit Attacken wie aus dem Wörterbuch der Whats-App-Datenbank, die inzwischen überall in den Medien Österreichs zitiert werden: 'Ausmisten', 'Wir müssen sie abschießen’, 'müssen endlich auf den Tisch hauen', 'Gebühren weg', hieß es damals über den ORF."

Eine "damalige Idee der FPÖ" ist aus deutscher Perspektive besonders interessant - und zwar genau deshalb, weil nicht (oder zumindest mir nicht) bekannt ist, dass die AfD hier zu Lande schon Ähnliches ausgeheckt hat. Den Chats zufolge sollten sich

"freundlich gesinnte Journalistinnen und Journalisten (…) bei (der FPÖ) melden - zwecks Karriereförderung. Einer, der das offenbar getan hat, war Straches Fitnesstrainer Philipp Jelinek. Die meisten Österreicher kennen ihn aus seiner ORF-Sendung 'Fit mit Philipp' als TV-Vorturner der Nation. Jelinek sollte, dokumentiert das Nachrichtenmagazin 'Profil', 'bald' das ORF-Frühstücksfernsehen moderieren. Überliefert ist sein Chat mit seinem Turnfreund Strache: 'Lieber Heinz, der Kuchen wird jetzt verteilt. Wir müssen ganz dringend die Weichen für mich stellen.’"

Was er dem "lieben Heinz" schrieb, führte nun dazu, dass der ORF seinen "Vorturner" erst einmal "pausieren" lässt (wie "Der Standard" am Dienstag berichtete).

Das Schluchzen der Mundtoten

Wir als Kolumnisten haben ja keine Chronistenpflicht, das stünde im Widerspruch zur journalistischen Form der Kolumne. Wenn aber "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio" ein "Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland" in die mediale Umlaufbahn schießen, schauen wir natürlich hin. Bei Themen aus diesem Bereich gibt es also eine Chrolumnistenpflicht, um mal ein neues Kofferwort zu kreieren.

Was steht drin? Dass die "Grundsätze" der Manifestmacher unter anderem "Förderung von Kultur und Bildung" und "Bürgerbeteiligung" seien. Feine Sache. Aber dann landet man plötzlich in folgendem nach KI klingenden Formulierungsbausteingewitter:

"Stimmen, die einen – medial behaupteten – gesellschaftlichen Konsens hinterfragen, werden wahlweise ignoriert, lächerlich gemacht oder gar ausgegrenzt. Inflationär bedient man sich zu diesem Zwecke verschiedener 'Kampfbegriffe' wie 'Querdenker', 'Schwurbler', 'Klima-Leugner', 'Putin-Versteher', 'Gesinnungspazifist' und anderen, mit denen versucht wird, Minderheiten mit abweichender Meinung zu diffamieren und mundtot zu machen."

Da kommen einem ja fast die Tränen. Dass "Schwurbler" sich "mundtot" gemacht fühlen, wenn man sie kritisiert, ist nicht neu. Abgesehen davon: Es kann einen schon stutzig machen, dass der erste Satz eine Passivkonstruktion ist und als Pronomen im zweiten "man" Verwendung findet. Und: Welcher öffentliche-rechtliche Moderator, welcher politische Kommentator in Hörfunk oder TV verwendet die genannten "Kampfbegriffe" "inflationär"? "Klima-Leugner" und "Putin-Versteher" sind im Übrigen völlig legitime Bezeichnungen in der publizistischen Auseinandersetzung.

Es geht aber noch durchgeknallter:

"Sogenannte Faktenchecks (suggerieren) oft durch ihre Machart, Überschrift und Formulierungen eine vermeintlich absolute Wahrheit, die selten existiert. Der freie gesellschaftliche Diskurs wird dadurch schmerzhaft beschnitten."

Wie bitte: "Faktenchecks" des ÖRR beschneiden den "freien gesellschaftlichen Diskurs"? Und dann auch noch "schmerzhaft"? Ahnen diese Flitzpiepen eigentlich, wie schmerzhaft das für jemanden ist, der das lesen muss (siehe "Chrolumnistenpflicht")?

Beim Blick auf die Erstunterzeichnenden wird schnell deutlich: Das Gruselkabinett der deutschsprachigen Gegenaufklärung ist gut vertreten. Unter anderem Patrik Baab, Ulrike Guérot, Michael Meyen und Jürgen Fliege sind dabei.

Es gibt dann neben dem Manifest auch noch in vier Rubriken unterteilte, überwiegend anonyme "Statements" von Mitarbeitenden des ÖRR, von denen eine mit "Corona-Berichterstattung" überschrieben ist. Um Corona geht es aber auch permanent in den anderen Abschnitten. "Seit 2020 leide ich in meiner Anstalt wie ein Hund!", schreibt hier zum Beispiel eine/ein "Mitarbeiterin/Mitarbeiter ARD-Anstalt". Datiert ist keines der Statements, die meisten wirken, wie das eben zitierte, als wären sie ein paar Jahre alt.

Als V.I.S.D.P. firmiert ein gewisser Ole Skambraks. Wer war das noch mal? "Laut SWR war Skambraks seit Frühsommer 2020 im Sounddesign bei SWR2 befristet arbeitnehmerähnlich beschäftigt", hieß es in der FAZ im März 2022 über ihn, nachdem besagter SWR sich von diesem arbeitnehmerähnlich Beschäftigten wegen befremdlicher öffentlicher Behauptungen zur Corona-Berichterstattung des Senders zunächst getrennt und dann arbeitsgerichtlich verglichen hatte.

Ist das "Manifest" nun die Rache eines gut vernetzten Sounddesigners? Das käme der Sache jedenfalls wesentlich näher als der Eindruck, den der "Weser-Kurier" mit einem schmerzbefreiten Teaser ("Die Debatte um ARD und ZDF nimmt an Fahrt auf: Mitarbeiter fordern einen 'neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk'") zu erwecken versucht.

Wenig verwunderlich: In kompletter Länge findet man das "Manifest" bei der Querdenker-Wohlfühloase "Berliner Zeitung".

Obsessive Berichterstattung über den "Tagesspiegel"

Die Irrationalismus-Influencer aus dem Hause Friedrich machen derzeit auch in anderer Hinsicht auf sich aufmerksam: durch das, sagen wir mal: leidenschaftliche Bashing des "Tagesspiegel", also eines direkten Mitbewerbers. Stefan Niggemeier geht für "Übermedien" auf drei Artikel dieser Art ein, die seit dem Wochenende erschienen sind. In einem geht es um das Ende des gedruckten Sonntags-"Tagesspiegels" (siehe Altpapier von Mittwoch), in der die BLZ-Autoren unter anderen jüngere Auflagenzahlen des Konkurrenten mit denen von "warum nicht, 1946" (Niggemeier) vergleichen.

"(Dieser) Artikel der 'Berliner Zeitung’ gegen den 'Tagesspiegel' ist so überzogen, dass er sich mit einem gesunden Wettbewerb nicht mehr erklären lässt",

meint Niggemeier dazu. Parallel, so der "Übermedien"-Autor weiter, eskalierte es auch noch an einer anderen Front - wegen der sehr berechtigten "Tagesspiegel"-Kritik am Umgang der "Berliner Zeitung" mit einem Roger-Waters-Interview (Altpapier, "Freitag") -, und getoppt wurde das Ganze dann durch einen Artikel am Dienstag. Der Vorspann sagt schon alles:

"Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev hat Redakteure der Berliner Zeitung an den Pranger gestellt. Welche Rolle spielt der Tagesspiegel bei der seltsamen Aktion?"

Schröders Selbstentlarvung

Zu den ausgiebig besprochenen TV-Produktionen gehört derzeit die 60-minütige NDR-Dokumentation "Außer Dienst? Die Gerhard-Schröder-Story", die seit Mittwoch in der ARD-Mediathek abrufbar ist. Die Aufmerksamkeit überrascht wenig. Sie hat mit der (zweifelhaften) Prominenz des Protagonisten und zu einem vermutlich kleineren Teil mit Vorschusslorbeeren für den Autor Lucas Stratmann zu tun. Der lieferte 2021, gemeinsam mit Katharina Schiele, eine "bemerkenswerte, für den deutschen Fernsehdokumentarismus über Politik seltene Arbeit" über Kevin Kühnert ab (siehe Altpapier).

Christian Tevs vom "Spiegel" - der, so schließt sich der Kreis, in der Serie über Kühnert zu sehen war - schreibt nun über den aktuellen Film:

"Die Doku zeigt in knapp 60 Minuten Schröders Sicht, lässt ihm einigen Raum, ohne dabei unterwürfig zu sein (….) Stratmann (…) schafft es, dass Schröder sich selbst entlarvt."

Dirk Peitz stellt bei Zeit Online heraus:

"Lucas Stratmann ist in seinem eigenen Film über Gerhard Schröder viel im Bild zu sehen, als Fragesteller und als Augenzeuge. Diese in Fernseh- und Videoreportagen zunehmend eingesetzte und fast immer marottenhaft wirkende vermeintliche Subjektivierung des Reporterblicks wirkt hier gerade nicht als solche: Stratmann fungiert stattdessen als Stellvertreter einer deutschen Öffentlichkeit, die sich weiterhin mindestens gelegentlich fragen dürfte, was eigentlich so im Kopf von Gerhard Schröder vorgeht."

Am meisten über die Machart des Films erfährt man in der FAZ-Rezension. Michael Hanfeld beschreibt am besten, wie Autor Stratmann arbeitet, warum er bestimmte Dinge tut und andere nicht. Am Montag, anlässlich des 80. Geburtstags des Protagonisten, ist der Film dann auch linear zu sehen, und zwar auf einem für eine Dokumentation ungewöhnlichen Sendeplatz: dem von "Hart aber fair".


Altpapierkorb (60 Jahre WDR3, unzureichende EU-Gesetzkenntnisse, Pál Dardai)

+++ Jünger als Gerhard Schröder ist das Kulturradioprogramm WDR3. Es ist gerade 60 Jahre alt geworden. Dietrich Leder blickt für "epd medien" auf die Feierlichkeiten im Programm und auf eine dort übertragene Jubiläumsveranstaltung aus Bochum - und erinnert daran, dass die heutige Klassikhitwelle WDR3 mal ein im besten Sinne ambitioniertes Wortprogramm war. Zur Jubiläumsveranstaltung schreibt Leder u.a.: "Wie sehr sich die Sprache in diesem Programm geändert hat, bewies WDR3-Chef Matthias Kremin als er auf der Bühne in Bochum Worte wie 'Hammer-Programm’ in den Mund nahm und manche Musikerin oder Musiker als 'Weltklasse' bezeichnete. Als würden diese Übernahmen einer seit Jahrzehnten veralteten Jugendsprache die 'Akzeptanz' des von ihm verantworteten Programms erhöhen!" Größerer Kontext gefällig? Die Lage des öffentlich-rechtlichen Kulturradios war eines der Hauptthemen im Altpapier von Mittwoch.

+++ Sebastian Meineck ärgert sich bei netzpolitik.org darüber, dass "deutsche Nachrichtenmedien EU-Gesetzgebung nicht ausreichend auf dem Schirm haben". Spoiler: Es geht um eine vermeintliche "Forderung" des Bundesjustizministers.

+++ Zwei Fragen eines "kicker"-Redakteurs waren am Mittwoch der Auslöser dafür, dass Pál Dardai, Trainer des Zweitligisten Hertha BSC, nach wenigen Minuten eine Pressekonferenz verließ, und zwar "grußlos", wie der "Tagesspiegel" bemerkt. Vorher hatte Dardai noch zum Ausdruck gebracht, dass ihm die Berichterstattung des Fragestellers nicht gefallen hatte. Ein "peinlicher Abgang" sei das gewesen, schreibt der "kicker" dazu in mittelbar eigener Sache.

Das Altpapier am Freitag schreibt Johanna Bernklau.

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