Kolumne: Das Altpapier am 15. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 15. April 2024 von Christian Bartels Wer weiß denn sowas?

Kolumne: Das Altpapier am 15. April 2024 –Wer weiß denn sowas?

Die alte Frage nach einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender poppt wieder auf. Das Voigt-Höcke-Fernsehduell erregte allerhand Publikums- und noch viel mehr Medien-Interesse.

Mo 15.04.2024 11:40Uhr 05:13 min

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Kolumne: Das Altpapier am 15. April 2024 Wer weiß denn sowas?

15. April 2024, 09:55 Uhr

Die alte Frage nach einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender poppt wieder auf. Das Voigt-Höcke-Fernsehduell erregte allerhand Publikums- und noch viel mehr Medien-Interesse. Für Netflix und Amazon lohnt es sich in Deutschland kaum, deutsche Produktionen im Angebot zu haben. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Neue Nachrichtenkanal-Forderungen

Schon länger herrscht Poly- bzw. Multikrise bzw. multiple Krise. Immer wenn neue Aspekte neuen Informationsbedarf schaffen, kehrt eine absolut berechtigte Forderung wieder (also bei denen, die noch nicht zur Nachrichtenvermeidung neigen).

"Das teuerste Fernsehen der Welt, mit all seinen Sparten-, Spezial- und Nebensendern, schafft es nicht, auch nur einen Kanal für aktuelle Informationen (und Bilder) offenzuhalten. Man muss kein Rechtspopulist sein, um das als Skandal zu empfinden",

twitter-/x-te "FAZ"-Feuilletonist Claudius Seidl. Und "Monitor"-Redaktionsleiter Georg Restle, der gewiss kein Rechtspopulist ist, ergänzte:

"Gut, dass es die BBC gibt, um sich live im TV darüber zu informieren, was in Israel gerade geschieht. #Programmauftrag"

Es wird also mal wieder, und zwar "dringend ...: ein Nachrichtenkanal von ARD und ZDF" gefordert, etwa von Joachim Huber im "Tagesspiegel". Als alter Fuchs kennt der natürlich sämtliche Wendungen dieser Debatte und weiß, dass die vorvorige ARD-Vorsitzende Schlesinger, als sie noch all ihre Ämter bekleidete, die Umwandlung des Verbrauchermagazin-Wiederholungs-Senders Tagesschau24 in einen Rund-um-die-Uhr-Nachrichtenkanal angeleiert hatte (Altpapier aus dem Februar '22). Dazu Huber:

"Es mag ja toll sein, dass Tagesschau24 unablässig berichtet hat, wer jedoch kennt diesen Kanal, wenn er nicht wenigstens mit Laufbändern im ARD-Hauptprogramm darauf hingewiesen wird?"

Natürlich stellen sich immer auch Fragen, ob es in jeder der immer zahlreicheren Krisen-, Kriegs- und Katastrophensituationen sinnvoll wäre, längere Livestrecken zu senden, in denen seriös dann wenig gesagt und/oder gezeigt werden könnte. Im aktuellen Fall der iranischen Angriffe auf Israel erfolgte, zum Glück, die zwischenzeitlich befürchtete Eskalation bislang gar nicht.

Aber klar erscheint es als schwerwiegendere Entscheidung, eine besonders lange Familienunterhaltungs-Sendung wie die stolze 190 Minute starke ARD-Show "Wer weiß denn sowas XXL?" zu unterbrechen (oder das vielleicht kindliche Publikum mit Laufbändern aufzuschrecken), als es wäre, ein sowieso der aktuellen politischen Berichterstattung dienendes Programm für aktuellere Nachrichten als sie samstagsabends normalerweise laufen, zu ändern.

Zur großen und gerade wieder besonders virulenten Frage, was die Öffentlich-Rechtlichen senden sollen und wollen und können, mehr am Ende dieser Kolumne. Zunächst zu einem kleinen privaten Nachrichtensender, der wahrscheinlich (aus aus seiner Sicht auch guten Gründen) gegen die Einführung eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtensenders protestieren würde ...

Viele Meinungen zu Voigt & Höcke auf Welt TV

Der wenn, dann eher als Tageszeitung oder Internetportal des (freilich großen) Springer-Konzerns bekannte Fernsehsender Privatsender Welt TV erzielte am vorigen Donnerstag einen gewaltigen Aufmerksamkeitserfolg. "Im Schnitt haben rund 1,03 Millionen Menschen" die statt geplanter 45 schließlich 71 Minuten lange Diskussion zwischen dem Thüringer CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt und dem AfD-Vertreter Björn Höcke (Altpapier vom Freitag) gesehen, meldet "epd medien". Das bezieht sich auf die reine Fernseh-Einschaltquotenmessung. Nonlinear nach-sehen lässt sich die Sendung auch, allerdings nur mit kostenpflichtigem Abo. Weitere Millionen kommen wohl kaum hinzu.

Noch wesentlich größer als das Publikumsinteresse war das Medieninteresse an der Veranstaltung der Konkurrenz, wie sich schon im Freitags-Altpapier zeigte. Eine bemerkenswerte Menge unterschiedlicher Meinungen ist aufgelaufen. Um ein bisschen Überblick nach dem Muster, selbstgestellte Fragen zu beanworten, bemühte correctiv.org sich in seinem Newsletter. Nach der Frage "Was spricht gegen solche Diskussionen?" folgt da auch "Was spricht dafür?" Die Antwort lautet:

"Vor allem die politische Realität: Die AfD verzeichnet hohe Umfragewerte. In Thüringen etwa, wo am 1. September gewählt wird, führt sie sogar. ... Würden die Medien Parteien, denen so viele Menschen ihr Vertrauen schenken, keinen Platz einräumen, wäre das nicht klug. ...  Dann vielleicht lieber die Chance nutzen, die Parolen von gut vorbereiteten Moderatorinnen und Moderatoren einordnen zu lassen – ihnen also gleich live etwas entgegenzusetzen."

Wobei correctiv.orgs Antwort auf die Folgefrage "Aber ist das hier gelungen?" lautet: "Der überwiegende Teil der Medien-Beobachter kommt zum Schluss: nein". Was freilich vom Blickwinkel abhängt. Correctiv.org zitiert "SZ", "taz" und einen "Spiegel"-Beitrag. Dabei kommentiert der Talkshow-bekannte Markus Feldenkirchen im aktuellen "Spiegel"-Heft (Abo): "Voigt hat das gut und anständig und engagiert gemacht, vielleicht gar bestmöglich", und die Moderatoren hätten das auch gut gemacht, brachten Höcke ja "sogar ins Stottern". 

Generell werden sowohl das Duell an sich als auch seine beiden Teilnehmer erwartungsgemäß vor allem von links kritisiert. Das tut natürlich die Partei Die Linke, die in Thüringen mit Bodo Ramelow ja derzeit den Ministerpräsidenten stellt. "Voigt ist im Thüringer TV-Duell gescheitert", zitiert der RBB die Linken-Politikerin Martina Renner aus einem Interview. Dem CDU-Mann sei es "nur darum gegangen ..., seine Bekanntheit zu steigern". Wobei das Bekanntheit-Steigern durchaus gelungen sein (und Kritik seitens der Bundes-Linken weiter darauf einzahlen) dürfte.

Von einem "demokratischen Offenbarungseid für das Medienhaus Springer" schrieb die "Frankfurter Rundschau", die ebenfalls gern scharf von links kritisiert (und sich neulich nicht mal entblödete, Ahmad Mansour als "nützlichen Gehilfen des rechten Kulturkampfs" zu beschimpfen...) – obwohl die "FR" überregional ja sowohl für üblen Umgang mit ihren Mitarbeitern (Altpapier) als auch für Ippen-Clickbait bekannt ist. "Erfolg für Voigt mit Beigeschmack", heißt's ebd. dann in einer später verfassten, enger an der Sendung orientierten Besprechung. Zumindest scheinen Höcke-Duell-Texte gut zu klicken.

Von Nicht-links kommenierte Jasper von Altenbockum unter der nachgeschärften Online-Überschrift "Die Entzauberung der Nicht-mit-Rechten-Reder" in der "FAZ" (Abo), Voigt habe "ganze Arbeit geleistet, die doch eigentlich Ramelows Aufgabe wäre. Die AfD wird sich sehr gut überlegen, ob sie mit Höcke noch einmal ins offene Messer läuft. Da bleibt sie doch lieber in ihrer Blase". Tatsächlich hatte Höcke für die Wirkung, die ihm immerzu zugeschrieben wird, ziemlich "oft fahrig und nervös" gewirkt, wenn ihm eigene Zitate vorgelegt werden, die er nicht selber mitgebracht hat, wie der "FAZ"-Artikel daneben schildert. Das Ganze für einen "Quantensprung in der deutschen Debattenkultur" hält die "Berliner Zeitung":

"Den einen oder anderen Zuschauer könnte dieses Duell an amerikanische Talk-Formate erinnert haben, etwa die des konservativen Senders Fox News. Immer wieder wurde in Deutschland vor amerikanischen Zuständen gewarnt, in denen Politiker mit fragwürdigen Thesen regelmäßig ein Millionenpublikum erreichen, wo Unwahrheiten und billige Polemik unwidersprochen bleiben. Doch womöglich hat dem Land diesmal eine solche Portion Fox News gutgetan: Zum ersten Mal trafen im Rahmen eines Streitgesprächs Positionen aufeinander, die einander kategorisch ausschließen, aber in der Bevölkerung tagtäglich in Kneipen, Sport- und Schützenvereinen, am Arbeitsplatz diskutiert werden."

Was das Medienecho jedenfalls zeigt: Offenbar besteht großes Interesse an scharfen Diskussionen mit AfD-Vertretern und an der anschließenden Einordnung, wie gut sie gelungen sind. Genau solcher Meinungsstreit, sowohl zur größeren Frage, ob solche Diskussionen überhaupt sinnvoll sind oder kontraproduktiv, als auch zur kleineren, wer denn dann besser performt hat, belebt Demokratien medial. Demokratien, die solche Diskussionen nicht nur aushalten, sondern auch auszuhalten glauben, machen einen stärkeren und sympathischeren Eindruck. (Und der Umkehrschluss dürfte ebenfalls gelten.)

Streamingdienste-ÖRR-Konkurrenz?

Was erst mal völlig anderes (auch wenn Höckes Aussagen, die EU müsse sterben, zu denen zählen, die ihm keine neue Fans beschert haben dürften). Hier geht's zum European Audiovisual Observatory, oder wie es auf deutsch heißt, der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle. Die Webseite ist ein Musterbeispiel für vielsprachige Bürokratie-Anmutung à la EU. Ihre Inhalte und die zahlreichen Zahlen, die sie so ermittelt, verdienen dennoch Aufmerksamkeit.

Torsten Zarges hat sich für dwdl.de in eine neue, das Jahr 2023 betreffende Untersuchung zur "Nutzung von SVoD-Angeboten in der Europäischen Union und die Entwicklung der verfügbaren Streaming-Kataloge", vertieft. Dabei steht "SVoD" für Subscription-Video-on-Demand, also kostenpflichtiges Abonnieren von Streamingdiensten. Heraus kam, dass das deutsches Publikum sich bei Netflix, Amazon Prime usw. vor allem US-amerikanische Produktionen anschaut und solche aus dem eigenen Land, also deutsche, besonders wenig:

"65 Prozent der gesamten SVoD-Nutzungszeit hierzulande entfallen demnach auf amerikanische Serien und Filme, obwohl diese lediglich 41 Prozent des verfügbaren Angebots ausmachen. ... Umgekehrt sind die eigenen nationalen Programme nirgendwo so unbeliebt wie in Deutschland: Ganze acht Prozent der Viewtime stehen hier 18 Prozent Kataloganteil gegenüber. Im europäischen Durchschnitt sind Nutzung und Angebot ausgeglichen – bei jeweils zwölf Prozent."

Schon im Nachbarland Polen verhalte sich das bemerkenswert anders. Dort seien zwar weniger polnische Produktionen zu sehen, nur sieben Prozent des dort insgesamt verfügbaren Angebots, die aber umso mehr gesehen werden, nämlich 14 Prozent der Nutzungszeit polnischer Kunden ausmachen. Das bedeutet, dass es sich für US-amerikanische Konzerne lohnt, in polnische Produktionen zu investieren. Hierzulande dürfte es noch öfter zu Entscheidungen kommen, wie Sky und erst recht Paramount sie schon trafen: keine fiktionalen deutschen Serien bzw. überhaupt keine deutschen Eigenproduktionen mehr zu beauftragen, weil sich das nicht rechnet und die Chancen, zahlendes deutsches Publikum zu gewinnen (oder wenigstens zu halten) nicht verringert.

Eine Anschlussfrage könnte lauten, ob das besonders geringe Interesse deutschen Publikums an deutschen Streamingsdienst-Serien womöglich damit zusammenhängt, dass die deutschen Öffentlich-Rechtlichen aus zwei sehr großen Fernsehsender-Programmfamilien bestehen, die beide selber die volle Palette Eigenproduktionen sämtlicher Genres herstellen und natürlich längst auch zum Streaming anbieten.

Um zur eingangs gestellten Nachrichtensender-Frage zurückzukehren: Klar ist das unvorstellbar, schon angesichts all der Landtage, Kommissionen und Gremien, die zustimmen müssten und sich selbst bei viel marginaleren Fragen nicht einig werden. Aber wie wäre es, wenn die beiden bundesweiten öffentlich-rechtlichen Senderfamilien unterschiedliche Schwerpunkte bekämen? Ein Hauptprogramm für Unterhaltung aller Art, Spielfilme und Serien inklusive, und eins für aktuelle Informationen – in dem bei drohenden Kriegs- oder Katastrophensituationen die entsprechenden Korrespondenten gleich ohne weiteres auf Sendung gehen könnten? Außerdem müssten (und könnten) beitragsfinanzierte und privatwirtschaftliche Anbieter sich dann echten Wettbewerb um vielleicht insgesamt etwas weniger, dafür aber bessere und mehr gesehene Fiktions-Programme liefern.


Altpapierkorb (MDR-Einsparungen, "Claudia Roths Amtsversagen", Fernseh-Akademie vs. Manifest, Telefon-Helpline für Journalisten)

+++ "Wir haben die vergangenen zehn Jahre viel zu viel gemacht", zitiert flurfunk-dresden.de den noch neuen MDR-Intendant Ralf Ludwig, der von 2025 bis 2028 insgesamt 160 Millionen Euro einzusparen ankündigte. Das solle nicht nach "Rasenmäherprinzip" geschehen. "Hauptleidtragender im Programm wird die Unterhaltungssparte sein", aber auch etwa bei der Radio-"Verbreitung über UKW und DVB-T2" soll gespart werden. +++

+++ "Claudia Roths Amtsversagen" heißt der Leitartikel heute vorne auf der "FAZ". Online ist er "Eine Aktivistin im Porzellanladen der Kulturpolitik" (Abo) beschrieben, und eine Menge kulturpolitischer Argumente führt Andreas Kilb darin auch an. Was gar nicht vorkommt: dass Roths Titel "Beaufttragte der Bundesregierung für Kultur und Medien" lautet. Was zur Frage führt, ob die Medien nun Pech haben, wenn sie auf der Agenda der Ministerin gar nicht vorkommen, oder eher Glück, dass Roth und ihre Beamtenschaft sie mit ihren Bemühungen verschonen. +++ Übrigens hat faz.net seinen Internetauftritt gerade relauncht. +++

+++ Die Deutsche Akademie für Fernsehen möchte "klarstellen, dass die DAfF die Inhalte und Zielsetzungen anderer Verbände und Gruppierungen, die sich unserer Idee eines Medienkonventes angeschlossen haben, weder teilt noch sich zu eigen macht. Das gilt insbesondere für die Initiative 'medienvielfalt jetzt', derem 'Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland' wir in wesentlichen Punkten entschieden widersprechen." Um dieses Manifest ging es in den meisten der jüngsten Altpapiere. +++ "Das Manifest zur Rundfunkreform schadet sich selbst", kommentiert Steffen Grimberg im KNA-Mediendienst (Abo): "Eine wirkliche Wortmeldung aus dem Maschinenraum der Anstalten ist es nicht. Unter den Unterzeichnenden finden sich nur wenige aktive Journalisten aus den Redaktionen von ARD, ZDF und Deutschlandradio."

+++ Ausführlich mit der ersten "anonymen und kostenlosen Telefonberatung für mental belastete Journalist:innen", die das Netzwerk Recherche anbietet, beschäftigt sich die "taz". Viele Probleme hätten "mit dem steigenden Workload, fehlender Wertschätzung aus der Gesellschaft und Sorge vor künstlicher Intelligenz" zu tun. U.a. montagabends zwischen 18.00 und 20.00 Uhr ließe sich dort anrufen. +++

Das nächste Altpapier folgt am Dienstag.

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