Kolumne: Das Altpapier am 16. Mai 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann. 3 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Der MDR muss sparen. Aber ausgerechnet im Investigativen? Gegen die Pläne regt sich Protest. Der Eindruck ist: Es fehlt nicht nur Geld, sondern auch Verständnis.

Do 16.05.2024 12:25Uhr 03:02 min

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Kolumne: Das Altpapier am 16. Mai 2024 Einschnitte beim Dialog?

16. Mai 2024, 12:12 Uhr

Der MDR will sparen. Aber ausgerechnet im Investigativen? Gegen die Pläne regt sich Protest. Der Eindruck ist: Es fehlt nicht nur Geld, sondern auch Verständnis. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier Autoren Ralf Heimann
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Das Problem mit dem Austausch

Die frühere Altpapierautorin Annika Schneider hat sich in einem Beitrag für "Übermedien" mit Altpapierhost MDR, dessen Sparplänen beim Investigativen und dem Verständnis des Senders von einem "Dialog" beschäftigt (Altpapier). Ihr Kritikpunkt lautet: Wenn der Sender tatsächlich einen Dialog mit dem Publikum möchte, wie er es in seinem Strategieplan mehrfach beschreibt, dann braucht es dazu auch Investigativjournalismus. Überhaupt braucht es erst mal einen Dialog. Aber der geht auch im Austausch zwischen Sender und Kritikern gerade ziemlich schief.

Falls Sie gerade erst in die Debatte einsteigen, ein kurzer Rückblick: Der MDR muss sparen, zwischen 2025 und 2028 im Jahr 40 Millionen Euro, auf allen möglichen Gebieten, unter anderem im Programm. Vom regionalen Nachrichtenmagazin "Exakt" etwa sollen ab 2025 nicht mehr 44 Ausgaben im Jahr produziert werden, sondern nur noch exakt 21 und weniger Reportagen. Die MDR-Investigativredaktion und knapp 500 Menschen, die das Anliegen unterstützen, haben die Sparpläne des Senders am Montag in einem offenen Brief kritisiert – mit Anrede und allem Drum und Dran. 

Der Sender hat das noch am selben Tag in einem sechs Absätze langen Statement ohne Anrede und Höflichkeitsschnickschnack kommentiert. Das Schreiben beginnt mit dem Satz: "Diesen offenen Brief haben wir heute Morgen erhalten und nehmen ihn zur Kenntnis."

Das ist die Tonlage, in der die Auseinandersetzung nun stattfindet, und man kennt das aus anderen Zusammenhängen. Wenn man so etwas wie einen Dialog führen möchte, dann geht es nicht nur darum, Informationen auszutauschen. Wichtig ist auch die Art und Weise, in der das geschieht. Und wenn man sich in einem höflichen und respektvollen Rahmen an eine übergeordnete Instanz wendet und dann kommt so etwas zurück, dann gerät der Dialog gleich etwas ins Stolpern.

Der MDR weist den Vorwurf zurück. Man habe die Sparpläne schon entschärft. Bislang sei das Magazin "Exakt" wöchentlich erschienen, das junge digitale Investigativ-Format "Exactly" alle zwei Wochen. Das werde man jetzt einfach umdrehen. Investigative Inhalte könnten dazu auch in den tagesaktuellen Formaten ausgestrahlt werden. Kein Problem also. Ende der Durchsage.

Ist es eine Salami-Taktik?

Nur, ist das Problem damit tatsächlich gelöst? Annika Schneider schreibt:

"Auch Mitarbeitende der betroffenen Redaktion bestätigen, dass die Sparpläne bereits entschärft worden seien. Ihnen geht es allerdings um viel Grundsätzlicheres. Im Offenen Brief heißt es: 'Wir fürchten um die publizistische Schlagkraft des MDR.'"

Was war das noch gleich? Unter der publizistischen Schlagkraft kann man die Fähigkeit des Senders verstehen, die nötigen Ressourcen zu haben, um Dingen auch dann auf den Grund gehen zu können, wenn es dazu viel Zeit, Aufwand und Fachwissen braucht.

Und wenn es darum geht, kann es zu wenig sein, etwas anderes, das auch unter dem Label "Investigatives" läuft, einfach umzuschichten, damit das Sparen doch eher nach Umräumen aussieht. Aber passiert das hier?

Annika Schneider schreibt:

"Für die 'Exakt'-Redaktion heißt die Anpassung, dass die Kürzungen sehr viel weniger drastisch ausfallen als befürchtet. Statt einer hohen sechsstelligen Summe würde nur noch irgendwas zwischen 250.000 und 300.000 Euro pro Jahr eingespart, schätzen Mitarbeitende – der MDR äußert sich zu diesen Zahlen auf Nachfrage nicht."

Nicht ganz unwichtig ist: Die Regelung mit den zusätzlichen "Exactly"-Folgen gelten vorerst für ein Jahr. Es kann also auch einfach eine Salami-Taktik sein. In diesem Jahr sagt man: Für die wegfallenden "Exakt"-Sendungen bekommt ihr doch die "Exactly"-Folgen. Also kein Grund zur Sorge. Im nächsten könnte es heißen: "Wir halten uns an die Vereinbarungen. Versprochen war das nur für ein Jahr." Dann hätte man die Sparrunde durchgesetzt, mit einem kleinen Zugeständnis und lediglich um ein paar Monate verzögert.

Vielleicht liegt in der Vermutung, dass es so laufen könnte, schon ein Teil des Problems. Im offenen Brief steht, man fürchte "nicht zuletzt um das Vertrauen unseres Publikums". Meint man damit eventuell auch das eigene Vertrauen in den Sender?

Wer spricht mit wem?

Annika Schneider zitiert ein anonymes Redaktionsmitglied mit dem Satz:

"Unser Eindruck ist, dass es in der Geschäftsleitung keine klare Vorstellung davon gibt, wie investigative Arbeit im journalistischen Alltag aussieht und welche Ressourcen es dafür braucht."

Investigative Arbeit bedeutet in der Regel: viel Aufwand, wenig Output – im Vergleich zu anderen Ressorts. Aber der Nutzen zeigt sich an anderen Stellen, die im Programm nicht immer zu sehen sind.

"Von der Expertise der Redaktion zu Rechtsextremismus, Femiziden oder der AfD würden auch andere Teile des Senders profitieren, auch Leuchtturmprojekte anderer Funkhäuser",

schreibt Annika Schneider. Freie suchten sich schon jetzt andere Auftraggeber und Arbeitnehmer. Hier kommt also die Sorge zum Ausdruck, dass schon die Signale ein Problem sein könnten. Und die andere Seite?

Annika Schneider schreibt:

"Die MDR-Spitze bügelt diese Kritik rundherum ab. Die geplante Reform werde 'nicht zu Abstrichen für investigative Inhalte'führen, heißt es in der Stellungnahme. Keine Abstriche – auf die Idee, dass man gerade jetzt auch in Recherche investieren könnte, scheint die Geschäftsleitung gar nicht gekommen zu sein."

Inhaltlich ist das Ganze schwer zu beurteilen. Auf der einen Seite steht die große Sorge, dass hier ein Sparprogramm kleingeredet werden soll. Auf der anderen die anscheinend feste Überzeugung, dass hier Menschen für ihre Interessen kämpfen – der Normalfall also, wenn irgendwo etwas gestrichen wird –, dabei aber nur auf ihre kleine Scholle schauen, nicht auf das große Ganze.

Dass dem Eindruck der Senderspitze nach schon der gewählte Ausschnitt der Betrachtung, also die Isolierung des Investigativen, das Problem sein könnte, wird im zweiten Satz der Antwort deutlich.

Er lautet:

"Der Brief verengt die Perspektive auf das Mengengerüst des linearen Fernsehens mit Fokus auf die Programmdirektion Leipzig."

Die wichtige Frage hier ist gar nicht, was das bedeutet, sondern: Wer spricht hier eigentlich mit wem? Und vor allem: wie?

Warum gelingt die Vermittlung nicht?

Hier passt eine Passage aus einem Text ganz gut, den Alexander Teske, selbst 15 Jahre lang MDR-Redakteur, für die taz geschrieben hat. Zu Beginn seiner Analyse geht es um den MDR-Intendanten. Teske schreibt:

"Ralf Ludwig ist gelernter Instandhaltsmechaniker, sein Studium schloss er als Diplom-Kaufmann ab, arbeitete für eine Wirtschaftsberatung. Heute ist Ludwig Intendant des MDR. Und 'hält den Laden instand', wie auf den Fluren gewitzelt wird."

Also wer spricht hier mit wem? Es wirkt, als wendeten sich Menschen mit einem zwar konkreten, aber auch sehr emotionalen Anliegen an die Unternehmensleitung. Und die Antwort klingt so technisch wie eine Bedienungsanleitung.

Das kann man als Nebensächlichkeit abtun, denn eigentlich geht es hier ja um etwas sehr Handfestes. Nur dann muss man fragen: Wenn die MDR-Spitze wirklich so sehr überzeugt davon ist, dass die Investigation durch die Sparpläne gar nicht geschwächt wird, warum gelingt es ihr dann nicht, das zu vermitteln?

Annika Schneider schreibt:

"Was die Senderspitze dabei nicht verstanden zu haben scheint: Auch investigative Recherche ist ein Dialog mit dem Publikum. Nicht jede MDR-Zuschauerin setzt sich in Talkshows oder ruft bei einer Mitmach-Sendung an. Ein politisches Magazin wie 'Exakt' nimmt sich den Anliegen von Menschen direkt vor Ort an, geht ihren Fragen nach, zeigt Probleme auf."

Und was man ebenfalls anfügen kann: Auch ein Dialog mit dem eigenen Personal ist ein Dialog mit dem Publikum, denn das alles findet ja öffentlich statt. Es können alle zusehen. Und das kennt man aus Restaurants. Wenn man wissen möchte, was der Chef für ein Typ ist, dann ist der Umgang mit den Gästen nur wenig aufschlussreich. Viel interessanter ist, wie er mit den Kellnern spricht.

Das ist in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtig, denn zurück bleibt oft einfach ein Eindruck. Und wenn hier der Eindruck zurückbleibt, der Sender bügelt Kritik einfach ab, und eine Sprecherin antwortet mit "Allgemeinplätzen", wie Annika Schneider schreibt, dann vermittelt er so nur wenig glaubhaft, dass sein Interesse der Dialog ist.

Man muss natürlich auch andere Dinge sehen. Der Dialog, der Austausch und die Debatten finden beim MDR nicht nur über die Pressestelle und öffentliche Mitteilungen statt, sondern auch in journalistischer Form, zum Beispiel in dieser Kolumne, in der in acht Jahren noch nie jemand vom Sender auch nur den Versuch unternommen hat, auf die Inhalte Einfluss zu nehmen. Kritik in dieser Form am eigenen Haus wäre bei keinem privaten Medium in Deutschland möglich.

Die Kritik ist: Der MDR-Führung gelingt nicht, glaubhaft zu machen, dass sie das Investigative auch in Zukunft für herausragend wichtig hält.

Sie muss also nicht nur Fakten vermitteln, sondern gleichzeitig ein Gefühl. Und das gelingt schwer in emotionsarmen Statements. Es gelingt vermutlich nur in einem Dialog.


Altpapierkorb (ESC, Fake-News-Anfälligkeit, Kollapsjournalismus, Volksverpetzer, Medien und AfD, Korrekturhinweis)

+++ Alex Rühle beschreibt auf der SZ-Medienseite die Folgen des vergeblichen Versuchs der "Eurovision Song Contests"-Veranstalter, nicht politisch zu sein (Altpapier). Flaggen der Europäischen Union bei der Veranstaltung verboten, während die ebenfalls nicht ganz unpolitische Regenbogenflagge erlaubt war. Dazu die Frage, die sich viele gestellt hätten, so Rühle, wie es sein könne, dass Russland und Belarus nach dem Angriff auf die Ukraine vom Wettbewerb ausgeschlossen seien, Israel aber teilnehmen dürfe – in einem Wettbewerb, der sich als "unpolitische Musikveranstaltung" versteht. Rühle: "Die EBU hat viel zu besprechen. Aber sie könnte das ja als Chance begreifen, mal viel grundsätzlicher über die Rahmenbedingungen nachzudenken, schließlich geht das Problem ja viel weiter. Warum werden diverse Songtexte zensiert, wenn dann aber die Ukrainerin Jamala 2016, zwei Jahre nach der Besetzung der Krim durch russische Truppen, mit einem Song gewinnen konnte, in dem die Vertreibung der Krimtataren durch Stalin 1944 angeprangert wurde?"

+++ Psychisch labile junge Menschen sind laut dem Medienwissenschaftler Johannes Gemkow besonders anfällig für rechtspopulistische Inhalte in sozialen Medien, berichtet "epd Medien".

+++ Lorenz Matzat kritisiert den deutschen Journalismus in einem Blogbeitrag dafür, dass er nach seinem Eindruck nicht angemessen auf die Klimakrise reagiere und entwirft für das, was ihm fehlt, das Wort "Kollapsjournalismus". Matzat: "Im Idealfall wäre der heutige Journalismus längst ein transformativer Journalismus. Doch die Idee, dass die journalistische Zunft sich zum Motor des Wandels hin zu einer Anti-Erderhitzungssgesellschaft mausert, bleibt eine akademische Denkübung. Die selbsternannten 'Mitte' und ihr Journalismus können aus Egoismus und Scham heraus den Klimawandel und seine Ursachen nur verdrängen: Die maßlose koloniale Lebensweise unserer Konsumgesellschaften auf Kosten anderer."

+++ Darüber, dass dem Blog "Volksverpetzer" die Gemeinnützigkeit entzogen worden ist (Altpapier), berichtet Michael Borgers für das Deutschlandfunk-Medienmagazin „@mediasres“.

+++ Mandy Mülling und Nils Altland beschäftigen sich in einem 36 Minuten langen Beitrag für das NDR-Medienmagazin "Zapp" mit der Frage, ob Medien an der AfD scheitern. Im Beitrag kommen auch zwei Szenen vor, die zeigen, was funktioniert. Thilo Jung widerlegt im Interview mit dem AfD-Euro-Spitzenkandidaten Maximilian Krah eine falsche Aussage im Gespräch. "Correctiv"-Reporter kontert gut informiert einen Angriff auf einem Podium. Die Partei kann solche Auftritte meist trotzdem nutzen, in dem sie günstige Passagen zuschneidet und in sozialen Medien verbreitet. Ergebnis also wieder mal: Ein Patentrezept gibt es nicht.

+++ Sachsen-Anhalts Medienminister Rainer Robra argumentiert in einem Gastbeitrag auf der FAZ-Medienseite gegen den Vorwurf des Medienrechtlers Dieter Dörr (Altpapier), die Bundesländer kämen ihren Pflichten bei der Festsetzung des Rundfunkbeitrags nicht nach. Robra kritisiert das aktuelle Verfahren zur Rundfunkfinanzierung, vor allem die dritte Stufe, bei der die Ministerpräsidentenkonferenz über den Beitragsvorschlag entscheidet. Diese Stufe sei dysfunktional und sollte laut Robra vom Bundesverfassungsgericht reformiert werden. Ein möglicher Ansatz wäre: Die KEF-Empfehlungen werden verbindlich, wenn die Ministerpräsidentenkonferenz keine verfassungsrechtlichen Gründe für Abweichungen findet. Dann müssten die Parlamente nur in Ausnahmefällen zustimmen.

+++ Zum Schluss noch ein Hinweis auf eine Korrektur in meiner Kolumne vom 26. April. Dort schrieb ich im Altpapierkorb über die gesetzlichen Schlichtungsstellen von Verlagen und Sendern: "Eigentlich sollten hier Meinungsverschiedenheiten über Angebote der Sender im Netz geklärt werden, aber seit 2018 ist das kein einziges Mal passiert". Das klingt, als wäre es gar nicht probiert worden. So ist es allerdings nicht. Richtig ist: Man hat zwar gesprochen, aber keine Einigung gefunden.

Das Altpapier am Freitag schreibt Klaus Raab.

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