Kolumne: Das Altpapier am 16. April 2024 Showdown. Streik. Schweinefütterung?
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16. April 2024, 10:01 Uhr
Die Rundfunkbeitrags-Erhöhungs-Debatte läuft auf einen Western-artigen Shootout zu. Vom RBB gibt's neue Zahlen, während ältere weiter auf sich warten lassen. Bei den Zeitungsverlagen herrscht erst recht Krise. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Neues zum Rundfunkbeitrag
Meist geht's ja ums Geld, zumal in den Medien. Zum Beispiel auch beim Rundfunkbeitrag ...
Bevor Sie alarmiert ob drohender Langeweile wegwischen oder -klicken: Es folgt Spannung wie in alten Western! Zumindest greift Dieter Dörr, der bekannte Medienrechtler, der mit der komplizierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf vertrautestem Fuße steht, mitten in seiner Zusammenfassung des Stands der Dinge nicht nur zu Donald Trump aus, sondern auch in die US-amerikanische Geschichte zurück:
"Soll es wirklich so weit kommen wie in den USA nicht lange nach dem Beginn der Verfassungsgerichtsbarkeit, als der siebte Präsident der USA Andrew Jackson (1829-1837), eine missliebige Entscheidung des US-Supreme Court zu den Landrechten der Native Americans und deren Status als Nationen aus der Feder des legendären Chief Justice John Marshall im Jahr 1832 mit den Worten kommentiert haben soll: 'Nun Marshall hat seine Entscheidung getroffen. Dann soll er sehen, wie er sie durchsetzt.' Damals sah der US-Supreme Court keine Möglichkeit, seiner Entscheidung Geltung zu verschaffen, mit schrecklichen Folgen ... ... getreu dem Motto dieses Präsidenten 'Dem Sieger die Beute'. Dies prägte die für die Native Americans schreckliche nachfolgende Rechtsprechung des Gerichts für Jahrzehnte ..."
Zugegeben, Dörr schmiedet sehr lange Sätze mit nicht immer idealer Interpunktion. Insgesamt ist sein Text mit über 40.000 Zeichen noch seehr viel länger als dieses Altpapier. Es handelt sich um einen Vortrag, den er vor einer Woche in Mainz hielt und der nun schon auf medienpolitik.net steht (und übrigens auch eine scharfe Spitze gegen "den Chefredakteur von medienpolitik.net", Helmut Hartung, enthält). Doch wie die Rechtslage rund um den Rundfunkbeitrag aussieht, bringt Dörr auf den Punkt.
Ihm zufolge "besteht kein Zweifel daran, dass die Länder verpflichtet sind, den Vorschlag der KEF, den Beitrag um 0,58 € zu erhöhen", eben weil die deutsche Verfassungsgerichtsbarkeit, die ja längst zum wichtigsten Akteur der deutschen Medienpolitik geworden ist, das so festgeschrieben hat. Andererseits geht er "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus", dass die Bundesländer das komplizierte Procedere für solch eine Beitragserhöhung in der vorgeschriebenen Frist, nämlich innerhalb dieses Jahres, nicht mehr in Gang setzen werden. Allerhand Länder kündigten das ja ausdrücklich an. Außerdem sieht das Procedere bekanntlich vor, dass alle Landtage abstimmen und zustimmen müssen, eigentlich ohne dabei irgendeinen Spielraum zu besitzen. Dass in drei ostdeutschen Bundesländern in diesem Jahr noch gewählt wird, zuvor also Wahlkampf herrscht und sich hinterher günstigenfalls noch buntere Koalitionen mit noch kleineren gemeinsamen Nennern zusammenraufen müssen, kommt hinzu. Das läuft also auf einen Shootout-Showdown zu.
Zwar äußerten Medienpolitiker mal die Hoffnung (oder Warnung), dass die Anstalten im Fall einer zumindest verzögerten Beitragserhöhung nicht das Verfassungsgericht anrufen, da sie dort bloß einen "Pyrrhussieg" erreichen würden (Altpapier). Doch diese Hoffnung oder Warnung verfängt offenbar nicht. "Sollte die Beitragserhöhung nicht kommen, werde man die Planung nicht anpassen, sondern nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht ziehen", zitiert zumindest der gestern hier im Altpapierkorb verlinkte flurfunk-dresden.de-Artikel über MDR-Einsparungen den Intendanten Ralf Ludwig.
Neues vom RBB
Leicht anders äußert sich die zwei Monate amtsältere RBB-Intendantin, Ulrike Demmer, nämlich so, dass die Anstalten "im Leben nicht damit rechnen können", für das Haushaltsjahr 2025 eine Beitrags-Erhöhung zu bekommen. Was natürlich noch nichts darüber aussagt, ob der RBB beim Gang nach Karlsruhe nicht auch dabei wäre. Zu hören ist das im jüngsten RBB-"Medienmagazin", ganz am Anfang (ab Min. 2.45) des inklusive Bonusmaterial fast viereinhalbstündigen Audios. Beim RBB sei der Finanzhaushalt "sehr angespannt". Ohnehin kündigt die Gewerkschaft Verdi angesichts "schlaffer Tarifangebote" in den gerade laufenden Verhandlungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kurzfristig "Protestaktionen und Streiks" an (mmm.verdi.de).
Beim RBB tagten vorige Woche ebenfalls die Aufsichtsgremien. Dort klang auch an, dass die Aufklärung der Ära Schlesinger "so schnell nicht abgeschlossen" sein werde, wie "Medienmagazin"-Moderator Jörg Wagner sagt. Unter anderem geht es um die Anwaltskanzlei Lutz Abel, auf deren Arbeit 2022/23 allerhand Hoffnungen gesetzt wurden (Altpapier). Inzwischen überwiegt wohl Ärger und hätten die Kosten, die die Kanzlei in Rechnung stellt, die Zwei-Millionen-Euro-Grenze überschritten. Der Vorsitzende des RBB-Verwaltungsrats, Benjamin Ehlers, ärgert sich, zwar einen USB-Stick und zwei Festplatten mit mehr als 25.000, jedoch unsortierten und teilweise verschlüsselten Dokumenten und noch längst nicht alles Material erhalten zu haben. Und noch was dauert beim RBB noch länger als sowieso schon: Die Jahresabschlüsse des RBB für 2022 und sogar 2021. Sie seien nun im Herbst dieses Jahres zu erwarten, berichtete Volker Nünning bei "epd medien":
"Vorgesehen sei, den Aufsichtsgremien beide Jahresabschlüsse zusammen vorzulegen, da diese sich 'inhaltlich gegenseitig bedingen'. Die Prüfung des Jahresabschlusses 2022 habe sich verzögert und sei erst im März zum Abschluss gekommen, erklärte der Sender. Grund dafür sei unter anderem, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein 'deutlich umfangreicheres Auskunftsinteresse als gewöhnlich' gehabt habe. So hätten die Prüfer 'wiederholt Nachlieferungen angefordert'. Den Namen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die die Buchführung des RBB für die Jahre 2021 und 2022 untersucht hat, wollte die Rundfunkanstalt nicht nennen"
Vermutlich wird die ungenannte Prüfungsgesellschaft, deren überdurchschnittliches Auskunftsinteresse offenkundig ja auch mehr hochwertige oder zumindest -preisige Arbeitszeit verschlingt als gewöhnlich, ebenfalls höhere Rechnungen stellen. Hier könnte dann noch mal wieder erwähnt werden, dass zum RBB-Finanzchef Claus Kerkhoff, der schon in der Ära Schlesinger im Amt war, auch noch Fragen ungeklärt sind (vgl. "Business Insider" aus dem März) ...
Wenn es schon Zahlen hagelt, verdienen ein paar hübsch positive vielleicht auch Erwähnung. Erstens enthält die RBB-Pressemitteilung zur hier bereits vermeldeten Personalie der neuen Programmdirektorin Katrin Günther am Ende die Passage: "Nach den in im vergangenen Jahr verabschiedeten Vergütungsregeln ... soll das Jahresgehalt der Programmdirektorin 185.000 Euro betragen, Ruhegeldregelungen gibt es nicht." Das zeugt doch mal von Transparenz und Aus-Fehlern-Lernen. Zweitens ließ die ARD gerade ihren "ökonomischen Fußabdruck" fürs Jahr 2022 berechnen (wohl ohne die noch fehlenden Zahlen des RBB ...), und ihren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt. Dank eines "Wertschöpfungsmultiplikators von 1,88" leiste sie "pro Euro direkten Beitrag ... einen Gesamtbeitrag von 2,88 Euro zur deutschen Volkswirtschaft", schreibt "Media Perspektiven". Fragen Sie den Volkswirt Ihres Vertrauens nach dem genauen Wert dieser Zahlen.
Neues zur deutschen Zeitungs-Krise
Die Anstalten müssen also sparen. Sich über dieses Sparen-Müssen zu beklagen, wirkt andererseits außerhalb der Anstalten schon deshalb schnell schal, weil viele Wettbewerber es erheblich schwerer haben. Deren Kunden können ihre Abos einfach kündigen. Und tun das auch, weniger bei Netflix, Disney oder DAZN als bei deutschen Verlagen.
"Wir sind noch nicht am Ende des Tunnels angekommen", sagt der Kölner Medienwirtschafts-Professor Christian Zabel im Deutschlandfunk zur Entwicklung, nämlich Krise des deutschen Zeitungsmarkts. Es lohnt, den Neunminüter zu hören, weil Zabel vieles im Blick hat und deutliche Worte findet. Z.B., "dass, wenn es kostenlose Alternative gibt, ... viele Nutzer überhaupt nichts bezahlen" wollen, und dass Digital-Abonnenten generell viel weniger zahlen als Print-Abonnenten, weshalb Verlage von ersteren sehr viel benötigen. Obwohl in Deutschland "eine der aggressivsten E-Paper-Strategien" laufe, wie sich an der Fülle der Paywalls zeigt, böten die durch Online-Abos erzielten Einnahmen "keinen Ersatz" für die, die im Papier-Zeitungs-Geschäft wegfallen.
Ein Anlass des Gesprächs ist die "Mopo" aus Hamburg, die einst der früher großen Volkspartei SPD gehörte und später, als sie dann dem sehr ehemaligen Großverlag Gruner+Jahr gehörte, den noch immer bekannten Medienmanager Mathias Döpfner zum Chefredakteur hatte. Jetzt will die traditionsreiche Tageszeitung sich, jenseits ihres boulevardigen Portals, zur gedruckten Wochenzeitung wandeln (Altpapierkorb). Auf diesen "Mopo"-Move schaute gerade auch die "Süddeutsche" (Abo).
Auf die "Süddeutsche" hatte gerade auch medieninsider.com geschaut, weil dort "knapp 30 Vollzeitstellen" wegfallen sollen (Altpapier). Kürzlich von der "Süddeutschen" zu medieninsider.com gewechselt ist die Medienjournalistin Anna Ernst, die für ihren neuen Arbeitgeber nun auf die Funke-Zeitungen schaut. Ernst bewertet Funkes Austritt aus dem Zeitungsverlegerverband BDZV neu (vgl. etwa dieses Altpapier). Lange war der Schritt als Protest gegen Springer-Chef Mathias Döpfner gesehen worden, der lange überdies als BDZV-Präsident wirkte und seinerzeit noch den damals schon umstrittenen damaligen "Bild"-Chef Julian Reichelt protegierte. Doch, schreibt medieninsider.com nun:
"Mit dem Austritt von Funke aus dem BDZV erlosch die Tarifbindung. Nun sind Verwirrung und Sorge bei den Mitarbeitenden groß. ... In den meisten Fällen, so schätzt der NRW-Betriebsrat, werden langjährige Redakteure von den nächsten Tarifrunden nicht mehr mitprofitieren."
Die Funkes könnten also auch einfach weitere Einsparungen beim journalistischen Personal im Hinterkopf gehabt haben, zumal sie weiter "einer der größten Arbeitgeber der Presselandschaft" sind. Dass immer mehr Lokalzeitungen, die großenteils unter schwindenden Einnahmen und steigenden Kosten leiden, sich ganz oder teilweise von großen Verlagen wie Madsack/RND (das zu knapp einem Viertel noch immer der SPD gehört) oder eben Funke übernehmen lassen oder zumindest deren Mantelteile übernehmen, gehört außerdem zum Krisen-Panorama. Wie Friedrich Küpperbusch es in der "taz" formulierte, gestern noch ohne Funke-Bezug:
"Die Süddeutsche baut 30 Stellen ab, die Hamburger Morgenpost erscheint nur noch wöchentlich: Hier zerreiben Anzeigenschwund und Gratiskonkurrenz unterschiedslos Qualitätsmedium wie Boulevard. Morgens Rechner oder Smartphone hochfahren, und man ist nach fünf Minuten übersättigt mit Nachrichtenradau und Klick-dich-arm-Annoncen. Ein Tumormarker ist der Abbau von 13 Stellen beim Kölner Stadt-Anzeiger: Das durchaus beliebte Ressort 'Ratgeber, Magazin, Freizeit' wird künftig mit Rohtextmasse aus dpa und RND befüllt, Korrektur und Bildbearbeitung erledigt eine KI. Da nähert sich Journalismus der Schweinefütterung – nährstoffarmer Schlamm automatisiert ins Publikum gepumpt ..."
Okay, dass der allergrößte Teil der Werbeeinahmen und zunehmend auch Abo-Einnahmen, von denen Zeitungen jahrzehntelang lebten, inzwischen an meist US-amerikanische Plattformkonzern gehen, hätte Küppersbusch auch noch anklingen lassen können (zumal er selber ja auch für Googles Youtube anschafft)."
Andererseits hängt so viel mit so viel zusammen, dass niemand immer alles erwähnen kann.
Altpapierkorb (Fußball-Bundesliga, Bayern 2, Julian Reichelt, Louisa Specht-Riemenschneider)
+++ Jetzt ganz große Zahlen: Bei der letzten Versteigerung der Fußball-Bundesliga-Medienrechte vor vier Jahren "wurden Vereinbarungen in Höhe von geschätzten 4,4 Millarden Euro abgeschlossen. Sky soll, wie niemals bestätigt, aber mehrfach zu hören war, etwa 2,4 Milliarden Euro für vier Jahre zugesagt haben, DAZN in etwa die Hälfte", schreibt dwdl.de zum Beginn der neuen Bundesligarechte-Versteigerung. Manuel Weis schildert die "ausgeklügelte Systematik" ausführlich. +++ Ähnlich, bloß knapper, tut's "epd medien" – und glaubt, anders als dwdl.de, dass auch Amazon ins Wettbieten eingreifen möchte, schon weil dieser Datenkrake mit seinem Cloud-Dienst AWS sowieso schon für die Bundesliga arbeitet. +++ Genau das, also dass die Angst, von unbekannten Rivalen überboten zu werden, alle Mitbieter zu noch höheren Angeboten antreibt, gehört jedenfalls zur Systematik. +++
+++ Aufmacher der "FAZ"-Medienseite ist ein großes Loblied aufs für seine Programmreform (zuletzt dieses Altpapier) oft kritisierte Bayern 2. "Die Kulturwelle Bayern 2 geht nicht unter, sie stellt sich neu auf und nimmt jüngeres Publikum mit. Das ist kein Verlust, sondern Gewinn", schreibt Ellen Trapp, die als "Leiterin des Programmbereichs Kultur beim Bayerischen Rundfunk" da freilich befangen ist. +++
+++ Jeweils schon erwähnt: Julian Reichelt und das Bundesverfassungsgericht. Ersterer hat mit einer Beschwerde vor letzterem einen Erfolg erzielt, und zwar gegen das Bundesentwicklungshilfeministerium, meldet faz.net aktuell. +++
+++ Die Ampelkoalitions-Parteien haben sich offenbar schon wieder auf was geeinigt, und zwar auf Louisa Specht-Riemenschneider als neue Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), meldet der "Tagesspiegel". "Auf die Nachfolgerin von Ulrich Kelber kommen schwierige Zeiten zu", ergänzt heise.de und hat da etwa die überarbeitungsbedürftige Datenschutzgrundverordnung im Blick. +++
Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.