Das Altpapier am 25. Januar 2019 Journalismus als Schoko-Döner

Das Produkt Journalismus verkauft sich schlecht, und das liegt eventuell gar nicht am Internet, son-dern an seiner Qualität - eine These mit vier aktuellen Beweisen. Außerdem: Mark Zuckerberg findet Facebook sympathisch, Patricia Schlesinger den RBB wundervoll und Sascha Hehn einen würdigen Nachfolger. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Vor einigen Jahren eröffnete in meinem Kiez an der Schönhauser Allee ein Fachgeschäft für Schoko-Döner. Das dürfen Sie sich genau so vorstellen, wie es klingt: Schokolade abschab-bereit an einem Spieß; statt Fladenbrot gab es Waffeln, statt Salat Smarties und Fruchtsauce, und so gut man die einzelnen Komponenten finden konnte - in der Kombination war es einfach nur zu süß, zu viel, zu künstlich, in anderen Worten: widerlich, und damit etwas, das sich in Bio-Low-Carb-Prenzlauer-Berg auf keinen Fall verkaufen ließ. Der Laden schloss demnach bald wieder.

Nun stelle ich mir ernsthaft die Frage, wie viel Schoko-Döner im deutschen Journalismus steckt? Sind an unserem bröselnden Erlöskonzept etwa gar nicht das Internet im Allgemeinen und Facebook im Speziellen schuld, sondern wir Journalisten, weil unser Produkt halt leider scheiße ist?

Laufen Sie nicht weg, ich habe Beweise.

Wir arbeiten nicht sorgfältig genug

Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hat es versprochen, der Spiegel liefert: Die Aufarbeitung des Falls Claas Relotius (Altpapier) geht weiter, auch öffentlich. Aktuell bei Spiegel Online in Form eines Faktenchecks von 28 Geschichten, die Relotius zwischen 2011 bis 2018 für das Magazin geschrieben hat.

“Mindestens willkürlich ist die Behauptung, ein bestimmter Tag der Reportage spiele am '2601. Tag im Krieg’. Weil sich der Beginn des Bürgerkriegs nicht auf ein Datum genau fest lägen lässt, kann es auch keinen 2601. Tag geben. (…)

Bwasir kam laut Pentagon-Akte Anfang Mai 2002 in Guantanamo an, laut Relotius aber bereits im Februar. Das ist auch deshalb wichtig für die Geschichte des Reporters, weil es entscheidet, ob Bwasir überhaupt im Camp X-Ray, in den berüchtigten Käfigen, eingesperrt war. Camp X-Ray wurde nämlich Ende April 2002 geschlossen. (…)

So decken sich die Altersangaben einzelner Häftlinge nicht mit der Darstellung in einem Artikel der 'New York Times’, die in ähnlicher Weise 2012 über das Programm berichtet hat“.

So liest sich das und es stellt sich die Frage: Was zur Hölle hat die sagenumwobene Dokumentation eigentlich gemacht, sobald Texte von Relotius auf ihrem Tisch landeten? Fußnägel gefeilt? Hier wurden offenbar nicht einmal die wichtigsten Protagonisten und Fakten nachgegoogelt - eine Hardcore-Fact-Checking-Methode, die auch beim WDR-“Doku“-Magazin “Menschen hautnah“ bislang nicht üblich war, wie WDR-Fernsehchefin Ellen Ehni im Interview mit Thomas Borgböhmer bei Meedia in Bezug auf den Auftritt des omnipräsenten Reality-Showstars ein einem Teil der Serie (Altpapier) indirekt einräumt, wenn sie sagt:

“Um so etwas für die Zukunft auszuschließen, wird es eine systematische Gegenrecherche bei solchen Personen geben. Damit wollen wir prüfen, ob sie eventuell schon in anderen Zusammenhängen als Darsteller aufgetreten sind. Damit wären sie dann für 'Menschen hautnah’ ein No-Go.“

Systematische Gegenrecherche, my ass. Einfach mal googeln hätte in diesem Fall völlig gereicht. Doch solche simple, rasch und kostengünstig zu habende Überprüfungen sind nicht üblich - übrigens nicht nur in Deutschland, wie nun auch der Fall Peter Blasic aus den Niederlanden beweist, der seine Geschichten einfach aus anderen Medien abgeschrieben hat (u.a. The Guardian, Meedia).

Wer ein erfolgreiches Gastro-Business aufziehen möchte, sollte regelmäßig die Küche putzen, und Journalisten im Lehrbuch nochmal unter “Vier-Augen-Prinzip“ nachlesen.

Wir machen aus der komplizierten Wahrheit zu einfache Geschichten

Um noch kurz bei Ellen Ehni zu bleiben. Bei Meedia berichtet sie zudem, wie “Menschen hautnah“ an seine Themen kommt:

“Der Regelfall ist, dass ein Autor mit einem menschlichen Schicksal bzw. einem Thema auf die Redaktion zukommt (…). Es gibt Themen wie 'Magersüchtige Männer’, da weiß man, bei welchen Institutionen, Therapeuten, Selbsthilfegruppen und Kliniken man nach solchen Protagonisten suchen kann. Das ist der zweite Rechercheweg. Und es gibt einen kleinen Ausschnitt an Themen bei 'Menschen hautnah’ wie Vernunftehe, bei der es keine Institutionen oder Ähnliches gibt, bei denen man nachfragen kann. In diesem Fall ist ein Aufruf in Foren wie Facebook & Co. erfolgt, was auch in Ordnung ist. Aber komparse.de ist für solche Themen bei 'Menschen hautnah’ nicht akzeptabel.“

In anderen Worten: Da entstehen Themenideen am Schreibtisch. Prinzipiell finde ich das gar nicht verwerflich. Doch aus meinem Freien-Journalistinnen-Nähkästchen kann ich erzählen, wie solche Aufträge bei Autoren ankommen. Nämlich gerne mit fertiger Storyline, klarer Protagonisten-Ansage und Überschrift.“

“'Die Kinder von der Rummelsburger Bucht’ soll es heißen. Beschreib doch mal, in welcher Parallelwelt die Kids von den reichen Eigentumswohnungsbesitzern aufwachsen. Die lernen doch alle im Kindergarten schon Chinesisch und sind vor lauter Helikopter-Bemutterung total Ich-fixiert“ -

doch, das war tatsächlich ein Magazin-Beitragswunsch an mich, und nicht der einzige in einer so konkreten Art.

Ich habe das nicht gemacht (offenbar wusste die Redaktion nicht mal um den besonderen Schutz von Kindern laut Presserecht, sonst hätte sie mir wohl nicht empfohlen, ihnen am Sandkasten aufzulauern), kann aber jeden verstehen, der nach solchen Auftragswünschen Texte zu klöppeln versucht - einfach, weil Magazine in Deutschland die einzigen Text-Abnehmer sind, die noch halbwegs okay bezahlen.

Wer das weiterdreht, landet auf Plattformen wie komparse.de und ist sogar bereit, seine Protagonisten für ihre Auftritte zu bezahlen, wie Kathrin Hollmer auf der SZ-Medienseite beschreibt:

“Für eine MDR-Reportage wird ein Mieter mit hoher Radonbelastung gesucht, 100 Euro für einen halben Drehtag, für den WDR Protagonisten mit Schilddrüsenüberfunktion und ein ,Büromensch mit Schulterschmerz, der in Physiotherapie ist’, Aufwandsentschädigung je ,nach Absprache’. Auch Gesuche für Reportagen von NDR und ZDF, etwa die Dokureihe 37 Grad - ,gute Gage VB’ -, finden sich im Archiv. (…)

Rechtlich mag eine Bezahlung von Protagonisten erlaubt sein, medienethisch ist sie fragwürdig. Das sieht man auch bei den kontaktierten ARD-Anstalten und dem ZDF so.“

Problematisch ist auch, dass bezahlten Hauptpersonen eventuell eher bereit sind, ihre Geschichten den Wünschen der Redaktionen anzupassen. So geht verloren, dass die Realität eben keine auf Linie gebürstete Storyline ist, die am Schreibtisch Erdachten folgt. Sie ist kompliziert und voller Widersprüche, was dem Zuschauer, Leser oder Nutzer durchaus zu verarbeiten zugetraut werden kann.

Aktuell beweist das ein Stück aus dem Magazin New Yorker über Florian Henckel von Donnersmarck und seinen nun für den Oscar nominierten Film “Werk ohne Autor“, kolumniert Matthias Dell im Deutschlandfunk bei “@mediasres“:

“Das Portrait aus dem New Yorker hat Aufmerksamkeit bekommen, weil darin harsche Worte des Malers Gerhard Richters zitiert werden. Donnersmarcks Film versteht sich als Künstlergeschichte, die auf der Biografie des weltberühmten Malers fußt. (…) Interessanter ist der New Yorker-Text aber als Beispiel für das, was guter Journalismus vermag. (…) Dana Goodyear geht es um die Sache: um die Darlegung von verschiedenen Sichtweisen, um die Abbildung eines Schaffensprozesses zwischen zwei schwierigen Personen.“

Einfach mal beide Seiten hören, aufschreiben und dem Leser Widersprüche zumuten: das geht! Falls dieser das vergangene Weihnachten in der Familie verbracht hat, ist ihm das Konzept völlig konträrer Sichtweisen auf gleiche Dinge sogar schon vertraut.

Wir setzen Gefühle vor Fakten

Nachdem wir Geschichten schön in eine Richtung gebürstet haben, garnieren wir sie noch mit viel Gefühl, um den Leser auch emotional einzulullen. Bei Claas Relotius hatten die Protagonisten daher immer ein Liedchen auf den Lippen (oder im Hintergrund laufen), und auch bei sogenannten Dokumentationen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird Emotionalisierung ganz groß geschrieben, wie Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner Kolumne bei evangelisch.de beklagt:

“Ich selbst neige bei Dokus im öffentlich-rechtlichen Fernsehen längst dazu, Beiträge weniger ernst zu nehmen, sobald die Untermalungsmusik anschwillt. Wahrscheinlich, weil ich besonders von dokumentarischen Filmen erwarte, dass sie durch ihre Bilder, Aussagen und Themen interessieren bis überzeugen. Klar passt an vielen Stellen Musik gut dazu, aber besser, wenn sie nicht pausenlos eingesetzt wird. (…) Für andere, leisere dokumentarische Formen, die nicht von Anfang an überwältigen wollen, gibt es in der nominell großen Landschaft des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens dennoch keine festen Sendeplätze.“

Der Komponist sich steigernder Streich-Quartette muss zurück in Pandoras Box bzw. ans Set der nächsten Folge “Der Bergdoktor“ verfrachtet werden. Denn wer sagen will, was ist, muss anerkennen, dass abseits von Fahrstühlen im Hintergrund der Realität seltenst Soundtrack läuft.

Wir sind nicht transparent genug

Zu guter Letzt müssen wir in unserer Arbeit und unseren persönlichen Motiven transparenter werden. Wie das aussehen könnte, war gestern hier schon Thema; ergänzt sei dazu noch Folgendes:

“Unzählige Faktoren beeinflussen die Konstruktion eines Textes. Aus dem prinzipiell aussichtslosen Bemühen um Neutralität wurde bald eine bestimmte Form von Schiedsrichter-Besserwisserei, die sich nicht nur über die immer so hoffnungslos ungenügenden Politiker, Wirtschaftlenker oder Sportler erhob, sondern implizit auch über die Leser und Zuschauer. Man sagte ihnen, was sie zu denken hätten, ohne die eigene Parteilichkeit offenzulegen.“

Das schreibt Susanne Gaschke in der NZZ zum Thema Relotius, und noch glaubwürdiger wäre dieses Statement, wenn irgendwo erwähnt würde, dass sie sich selbst einst als Opfer nicht ausreichend neutraler und fairer Berichterstattung sah, als sie ihrem Job als Oberbürgermeisterin von Kiel aufgab. Sie hatte einem Steuersünder Teile seiner Schuld erlassen und war darüber in die Kritik geraten.

Um dennoch positiv ins Wochenende zu gehen: Wir können aus unserem Schoko-Döner noch ein Produkt machen, das sich verkauft, indem wir ihn durch ein Stück Marmorkuchen ersetzen: Solide, gelingt immer und schmeckt zum Kindergeburtstag ebenso wie beim Bridge.

Handwerk vor Creme-Exzess. Einen Versuch wäre es wert.

Transparenz-Disclaimer:

Ich arbeite seit beinahe zehn Jahren als freie Journalistin und habe mit Redaktionen und ihren sehr konkreten Vorstellungen nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Es aber auch schon genau umgekehrt erlebt (“Schauen Sie einfach, was Sie rausfinden.“ Yeah, so einfach ist das.)

Der MDR ist mein Auftraggeber, jetzt, gerade, hier (siehe Internetadresse).

Das Altpapier ist ein Format, das in meinem Fall am Abend und am frühen Morgen unter Zuhilfenahme von sehr viel Kaffee auf leeren Magen entsteht.

In meinem Erbgut gibt es eine Disposition für Diabetes, was mich Zucker lieben, aber auch mit Vorsicht genießen lässt.

Danke der Nachfrage. Mein Weihnachten war ganz schön.

Altpapierkorb (Reden mit Rechten, RBB 2019, “Traumschiff“-Klischees)

+++ Facebook ist ein sehr sympathischer Laden, der Dich mit Deinen Freunden verbindet und Deine Daten schützt. Schreibt Mark Zuckerberg himself bei Zeit Online.

+++ “Der MDR kann in diesem Jahr vieles richtig machen - oder alles falsch“, meint Ulrike Simon bei Spiegel+ über die Berichterstattung im ostdeutschen Superwahljahr. Wie man in jedem Fall nicht über Menschen mit rechter Gesinnung berichten sollte, hat WDR5 bei einem launigen Plausch mit dem rechten Theologen David Berger bewiesen, so Peter Weissenburger in der taz.

+++ Wenn in einem Springer-Medium ein Artikel über das EU-Leistungsschutzrecht erscheint, dann hat das meist eine Tendenz. So auch das Interview, das Christian Meier für die Welt mit der Grünen-EU-Parlamentarierin Helga Trüpel geführt hat, die etwa zu Google News meint: “Ich glaube nicht an die Einstellung dieses Angebots. (…) Falls das News-Angebot trotzdem abgeschaltet würde, würden doch neue und lizenzierte Angebote entstehen. Auch Plattformen wie MySpace und StudiVZ sind verschwunden, war das so schlimm?“

+++ Der RBB verstand es bei seiner Jahrespressekonferenz gestern sogar stagnierende Einschaltquoten als Erfolg zu verkaufen, berichtet Peer Schader bei DWDL und urteilt: “Bei kaum einem anderen Dritten Programm der ARD klafft die Lücke zwischen Selbstwahrnehmung und Programmrealität derzeit so weit auseinander wie beim RBB.“ Für den Tagesspiegel berichtet Kurt Sagatz über die Pläne für dieses Sendejahr.

+++ Aus der Reihe “Klingt nach einem Mario-Barth-Witz, ist aber wahr: Florian Silbereisen wird “Traumschiff“-Kapitän (Bild-Zeitung, , DWDL).

+++ Buzzfeed entlässt Leute, und der britische Guardian fragt sich, ob die Online-Medienblase nun platzt.

+++ Was sind Funktion und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, und wie müssten diese so langsam mal angepasst werden? In der aktuellen Ausgabe epd medien gibt es einen Loooongread dazu von Sabine Hadamik, einst Direktorin der Landesmedienanstalt NRW (derzeit nicht online). tldr: Wenn die Nutzer mobil und online sind, sollte die öffentlich-rechtlichen Angebote es auch sein.

+++ Zu den vielen Unternehmen, die sich für den Brexit-Fall nach Dependencen im Ausland umsehen, gehört auch die BBC, schreibt der Guardian. “The BBC will need EU-based licences for its international channels – which include BBC World, BBC Entertainment, BBC First, and BBC Earth – if it wishes to have them broadcast across the rest of Europe either after 29 March“. Brüssel wäre eine Option.

+++ In der Serie “Der Pass“ auf Sky1 suchen ab heute Julia Jentsch und Nicholas Ofczarek als deutsch-österreichisches Ermittlerpaar einen Serienmörder, und Ursula Scheer ist auf der Medienseite der FAZ () schon mal begeistert.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag. Schönes Wochenende!