Polen/Belarus Endstation Brest

23. Februar 2017, 17:59 Uhr

An der Grenze zwischen Belarus und Polen sitzen über Tausend Flüchtlinge aus Tschetschenien fest. Zuhause droht ihnen Folter und Tod. Doch die EU lässt sie nicht rein. Aus Angst vor Islamisten und russischen Agenten.

Tausende Flüchtlinge hängen fest

Das Programm ist jeden Tag das gleiche: Um acht Uhr morgens besteigen hunderte Tschetschenen im belarussischen Brest den Zug zum nahegelegenen Grenzübergang zu Polen. Neunzehn Minuten dauert die Fahrt. Nach Stunden in der Warteschlage werden sie dort von polnischen Grenzern abgewiesen und fahren am Nachmittag zurück. Dort übernachten ganze Familien in der überfüllten Bahnhofshalle.

Andere haben zu horrenden Summen kleine Wohnungen in den Außenbezirken der Stadt gemietet. Das tägliche Schauspiel steht für ein neues Flüchtlingsproblem an der EU-Außengrenze. Eines, für das sich niemand zuständig fühlt. Europa will die Tschetschenen nicht in den Schengen-Raum lassen, Belarus will sie nicht im Land haben und in ihrer Heimat droht vielen Verfolgung, Folter und Tod. Und so ist die Bahnhofshalle in Brest zur Endstation für über Tausend Tschetschenen geworden.

Flucht vor Moskaus Henker

Tschetschenien ist eine autonome Republik im Nordkaukasus, die Teil der russischen Föderation ist. In den 1990er-Jahren tobte dort ein blutiger Unabhängigkeitskrieg zwischen islamistischen Separatisten und der russischen Armee. Bis zu 160.000 Menschen kamen ums Leben, das Land wurde verwüstet. Seit 2007 herrscht dort Ramzan Kadyrow als Präsident von Putins Gnaden.

Kadyrow und sein Sicherheitsaparat, die "Kadyrowzy" sind berüchtigt. Oppositionelle und vermeintlich wahabitische Islamisten werden von Geheimdienstlern verschleppt, gefoltert und getötet. Wer Familienmitglieder im Staatsapparat hat, lebt relativ unbehelligt. Dem Rest bleiben nur Angst oder Flucht. Kadyrow soll persönlich hunderte Morde in Auftrag gegeben haben, auch an russischen Oppositionellen.

So führten im Fall Anna Politkowskaja viele Spuren zu tschetschenischen Sicherheitskräften. Die Journalistin hatte immer wieder über die Missstände im Land berichtet hat. 2006 wurde Politowskaja in ihrem Wohnhaus in Moskau erschossen. Zwar gab es mehrere Verurteilungen in dem Fall, die Hintermänner sind jedoch bis heute nicht gefasst.

Fluchtwelle gen Westen

2013 gab es schon einmal eine Fluchtwelle von Tschetschenen gen Europa. Einen Großteil verschlug es nach Deutschland, auch damals über die Route Brest-Warschau-Berlin. 15.473 Tschetschenen meldeten sich innerhalb eines Jahres bei deutschen Ämtern und beantragten Asyl. In sozialen Netzwerken waren damals massenhaft Gerüchte aufgetaucht, Deutschland empfange Tschetschenen mit offenen Armen. Wer dahinter steckte, ist bis heute nicht geklärt.

2016 stieg die Zahl erneut sprunghaft an. Zwischen 80 und 90 Prozent der Flüchtlinge aus der russischen Föderation gaben an, aus Tschetschenien zu stammen. Die Anerkennungsquote liegt jedoch bei gerade einmal  5,9 Prozent. Und so schickt Deutschland die abgelehnten Asylbewerber nach dem Dublin-Verfahren in das Land zurück, in dem sie zum ersten Mal in die EU eingereist sind. Meist ist das Polen.

Angst vor den Schläfern

Da die nationalkonservative Regierung in Warschau aber einen rigorosen Anti-Flüchtlingskurs fährt, schloss sie die Grenzen de facto für Tschetschenen. Aktuell dürfen maximal zwei Familien pro Tag einreisen. Über jenen Grenzübergang, zu dem täglich Hunderte Tschetschenen aus Brest pilgern. Deutschland übt daran im Gegensatz zur allgemeinen Flüchtlingspolitik Polens kaum Kritik.

Denn seit 2013 kursieren Vermutungen, ein Teil der Flüchtlinge sei den tschetschenischen und russischen Sicherheitsbehörden verbunden und reise mit "Aufträgen" ein. Andererseits ist das mehrheitlich muslimische Tschetschenien auch ein Rekrutierungsgebiet des so genannten Islamischen Staates. Deutsche Sicherheitsbehörden befürchten daher auch Terroristen unter den Einreisenden aus der Kaukasusrepublik.

EU wälzt Probleme auf Belarus ab

Und so ist auch in Berlin und Brüssel der politische Wille gering, den Tschetschenen von Brest zu helfen. Aktuell plant die EU ein Abkommen mit Belarus. Bis 2020 sollen sieben Millionen Euro nach Minsk fließen. Dafür soll die Regierung Ausreiselager bauen und die "Rückführungen" vornehmen.

Europa und Belarus wären das Problem dann los, die Menschen wieder sich selbst überlassen. So berichtet das Onlineportal "Meduza" über tschetschenische Geheimdienstler, die in Brest unterwegs seien und den Flüchtenden zuraunten: "Wenn du zurück kommst, bringen wir dich um."