Gewalt in russischen Familien eskaliert

29. November 2016, 08:12 Uhr

Alle 40 Minuten stirbt in Russland eine Frau an den Folgen häuslicher Gewalt, 26.000 Kinder werden jedes Jahr misshandelt. Wer ist Duma-Abgeordnete, die mit einem umstrittenen Gesetzesprojekt die Strafen bei häuslicher Gewalt mildern will?

Bis zu 14.000 Frauen sterben in Russland jährlich an den Folgen häuslicher Gewalt. Das prangert die russische Menschenrechtsorganisation ANNA an, die sich für Gewaltprävention einsetzt. Dennoch ist Gewalt in der Familie in Russland ein Tabuthema: Nur ein Bruchteil der Fälle landet vor Gericht. Die Duma billigte Ende Januar einen Gesetzesverstoß der Abgeordneten Jelena Misulina, wonach häusliche Gewalt nicht länger als Straftat geahndet werden soll, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeit. Zuvor waren die Strafen für körperliche Gewalt in Russland bereits durch eine Reihe von Gesetzen entschärft worden – allerdings nicht für Gewalt in den eigenen vier Wänden. künftig weniger geahndet werden soll.

Kinder besonders häufig Opfer häuslicher Gewalt

Bekannt wurde Misulina - die derzeitige Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Familien-, Frauen- und Kinderangelegenheiten - 2013 als Autorin des Gesetzes gegen "Schwulenpropaganda". Mit ihm wurden die Rechte von Homosexuellen in der Öffentlichkeit beschnitten. Jetzt hatte sie ein neues Thema entdeckt: Die familiäre Gewalt. Die mögliche Höchststrafe von zwei Jahren Haft für Gewalt in der Familie beschreibt Misulina als "anti-familiären Zustand" – immerhin sei die Strafe höher als bei Gewalt auf der Straße. Die 61-jährige Politikerin erklärt, Schläge seien ein probates Mittel der Erziehung. Dabei erscheinen Kinder laut Statistiken besonders häufig Opfer von Gewalt zu sein: Laut russischem Innenministerium sterben jährlich 2.000 Kinder an den Folgen häuslicher Gewalt, weitere 2.000 begehen Selbstmord. Zwischen 2006 und 2010 war die Selbstmordrate bei Jugendlichen unter 15 Jahren in Russland im Durchschnitt höher als in irgendeinem anderen Land in Europa. Letzteres geht aus Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hervor.

Misulinas Vorschläge meist kontrovers

Misulina ist Abgeordnete der Sozialdemokraten von "Gerechtes Russland". Die Oppositionspartei steht in einem wechselhaften Verhältnis zur Partei "Einiges Russland": Mal betreibt "Gerechtes Russland" Wahlkampf gegen die Regierung, mal werden deren Gesetzesentwürfe unterstützt. Das Gesetz gegen "Schwulenpropaganda" steht auf der Seite ihrer Erfolge, aber noch im Oktober 2016 wurde ihr Gesetz gegen die Ausbreitung von sogenannten "Ego-Shootern" abgelehnt. Eine Diskussion, die nach dem Selbstmord zweier russischer Teenager wieder in der russischen Öffentlichkeit virulent ist. Auch über den Vorschlag zur Entkriminalisierung häuslicher Gewalt wird kontrovers diskutiert. Zwar wird die häufig unwirsch auftretende Misulina im Netz mit Häme überschüttet, in konservativen Kreisen wird ihre Haltung zu Gewalt in der Familie jedoch geteilt. Manchen gar geht ihr Entwurf nicht weit genug. In den letzten zehn Jahren ist in Russland allerdings jedes Gesetz zur strengeren Bestrafung von häuslicher Gewalt gescheitert.