Zwischen Wirtschaftsrealismus und Krieg: Osteuropas Beziehungen zu Russland

15. März 2018, 16:42 Uhr

Ungarn flirtet mit Russland, will aber die EU-Vorteile behalten. Für die Ukraine hat sich durch den Krieg im Donbass das einstige Brudervolk zum Feind gewandelt. Und Tschechien ist hin- und hergerissen. Teil eins unseres Einblicks in komplizierte Beziehungsgeflechte.

UNGARN - Auf Kuschelkurs mit Moskau

Innerhalb der EU ist Ungarn das Land, das Russland zurzeit am nächsten steht. Ministerpräsident Viktor Orbán - früher glühender Anti-Kommunist mit Aversionen gegen russisches Expansionsgebaren - hat sein Land enger an Russland gebunden als jede andere ungarische Regierung seit der Wende.

Historische Ängste, die in Ungarn vor allem aus der sowjetischen Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 resultieren, werden zurückgestellt - in dem Versuch, mit und durch Russland Geld zu verdienen und soviele Vorteile aus der Verbindung zu ziehen, wie es nur geht, ohne den endgültigen Bruch mit Brüssel oder den USA zu provozieren.

So hat Orbán nach 2010 die sogenannte Politik der "Ostöffnung" eingeleitet, um den ungarischen Export nach China, in die Türkei und eben vor allem auch in die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zu unterstützen. Mit mäßigem Erfolg: Nur 1,6 Prozent der ungarischen Exporte gingen zum Beispiel 2016 nach Russland, fast 80 Prozent hingegen in die EU.

Wesentlich relevanter sind da die ungarisch-russischen Energie-Beziehungen. Gas und Erdöl bezieht EU-Mitglied Ungarn zu 80% aus Putins Riesenreich. Hinzu kommt der umstrittene Atom-Deal, den Orbán 2014 mit Putin unter Dach und Fach gebracht hat, wonach Ungarns einziges AKW Paks vom russischen Staatskonzern Rosatom um zwei Reaktorblöcke erweitert wird - finanziert mit einem Milliardenkredit aus Moskau. Es sei schlicht der preiswerteste Variante, betont die ungarische Regierung.

Orbáns "Ostöffnung" beschränkt sich längst nicht mehr nur auf die Wirtschaft. Auch politisch wendet Orban sich vom westlichen Liberalismus ab. Hinsichtlich seiner Regierungspraktiken, die systematisch die Demokratie in Ungarn aushöhlen, scheint Orbán zunehmend Putin zu folgen. In den Medien werden die beiden Staatsmänner gerne als Freunde dargestellt und Ungarn als "trojanisches Pferd der Russen" in der EU und in der NATO.

Tatsächlich ist ihre "Gegnerschaft zur EU und zur Dominanz des Westens" wohl die Gemeinsamkeit, aus der Orbán und Putin das größte politische Kapital für sich schlagen: Für Orbán ist Russland ein hervorragendes Mittel, um Druck auf Brüssel auszuüben. Und Putin kann mit Ungarn seine Macht auf Europa ausdehnen, indem er EU und NATO schwächt.

Umfrage: Mit wem sollte Ungarn Beziehungen haben?
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Und was hält die ungarische Bevölkerung vom Kuschelkurs ihrer Regierung mit Moskau? Laut einer Umfrage der regierungsnahen Stiftung "Szazadveg" sind 75 Prozent der Ungarn für eine pragmatische, ausgewogene Zusammenarbeit mit Russland, wenn sie beiden Ländern Vorteile bringt. Allerdings - und das haben verschiedene Umfragen immer wieder bestätigt - eine politische Anbindung an Putins Russland will die Mehrheit nicht. Zwei Drittel der Ungarn meinen, dass die Interessen ihres Landes am besten vertreten sind, wenn sie enge Verbindungen zur EU halten.

TSCHECHIEN - Gespalten im Verhältnis zu Russland

Viele Tschechen können den sowjetischen Einmarsch gegen den Prager Frühling 1968 nicht vergessen. Deshalb hat Russland traditionell einen schweren Stand in Tschechien. Die EU allerdings auch: In Tschechien ist die EU-Skepsis europaweit am größten. Diese wiederum führt zu einer Annäherung an Russland. Viele sehen in Putin einen guten Verbündeten gegen die EU. Andere könnten sich zwar eine Zusammenarbeit mit Russland vorstellen, trauen Putin aber nicht über den Weg. Und wieder andere haben Angst vor zu großem russischen Einfluss.

Der tschechische Geheimdienst etwa. Der warnt vor der "russischen Unterwanderung". Seit 2017 gibt es eine Behörde gegen hybride Gefahren. Der Verdacht: pro-russische Medien betreiben Propaganda gegen die EU  und nehmen so Einfluss auf die tschechische Politik. Die tschechische Staatsführung steht klar hinter EU und NATO. Mit einer Ausnahme: Präsident Milos Zeman. Westliche Medien kritisieren ihn immer wieder für seine Nähe zu Putin und dem Kreml und dafür, dass er mit seinem Agieren pro-russische Sichtweisen unterstütze.

Der Präsident hat lange die Krim-Annexion ignoriert, sprach sich wiederholt gegen Sanktionen aus und ist von Geschäftsleuten umgeben, die Verbindungen zur russischen Wirtschaft haben. Wie Orbán für Ungarn will Zeman für Tschechien vor allem die wirtschaftliche Kooperation mit Russland vorantreiben und spricht sich für den Dialog mit Moskau und eine pragmatische Beziehung zueinander aus.

UKRAINE - aus Freund wurde Feind

Die Annexion der Krim und der Krieg im Donbass haben das ukrainische Verhältnis zu Russland fundamental verändert. Einst waren die Ukraine und Russland "Brudervölker", heute sind sie verfeindete Nachbarn. Kiew propagiert patriotisch die Abkehr von Russland, um die nationale Souveränität des ukrainischen Staates klar zu machen.

Beide Völker haben ihren Ursprung in der Kiewer Rus des Mittelalters, doch die Geschichte lief nicht nur – wie oft behauptet wird – auf Russland hinaus. Im Laufe eines Jahrtausends gingen sie, nachdem die Rus zerbrochen war, über weite Strecken getrennte Wege. Das führte zu sprachlichen und kulturellen Eigenheiten, zu unterschiedlichen Formen der Staatswerdung und der Nationsbildung.

Umfrage: Haltung der Ukrainer zu Russland.
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Der  Aufstieg Moskaus zu einer europäischen Macht im 18. Jahrhundert, das  Ende des Russischen Reiches in der Revolution von 1917 und die Gründung der Sowjetunion  bedeuteten für die Ukraine eine Phase, die ganz wesentlich durch Unterordnung und Eingliederung in Moskaus Imperium geprägt war. Die Zeit der Sowjet-Ukraine war gekennzeichnet von einem Auf und Ab von Integration, Repression und Laissez-faire. Kulturelle sowie sprachliche Eigenheiten blieben so nicht aus, trotz der lange geteilten, gemeinsamen Erfahrungen als "sowjetische Brudervölker".

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 geriet die Ukraine zunehmend zwischen die Fronten der Einflusssphären von Ost und West. Das ohnehin finanziell gebeutelte Land wurde zum Spielball des einstigen Bruderlandes Russland und des Westens. Es folgten die Orange Revolution und 2013/2014 die blutigen Proteste auf dem Maidan sowie die Annexion der Krim. Am  Krieg in der Ostukraine, der  inzwischen über 10.000 Menschen das Leben gekostet hat gibt Kiew wesentlich Russland die Verantwortung - mit nationalistischem Nachdruck und patriotischer Propaganda.

Die Ukraine ist voll gepflastert mit ukrainischen Flaggen und Gedenktafeln für die gefallenen Soldaten der ukrainischen Armee. "Hier ist nicht Russland" wird überall betont. Laut einer Umfrage können nur noch 18 Prozent der Ukrainer den einst guten Beziehungen zu Russland etwas abgewinnen. Die Hälfte kehrt sich ab von Russland. Eine menschliche Katastrophe, denn die Front verläuft allzu oft durch Familien und Freundschaften sowie durch langjährigen kulturelle Verbindungen.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: HEUTE IM OSTEN: Reportage | 10.03.2018 | 18:00 Uhr