Gericht ordnet Sperrung an Warum Russlands Behörden den Messenger "Telegram" fürchten

13. April 2018, 17:56 Uhr

Ein russisches Gericht hat die Sperrung des Messenger-Dienstes Telegram angeordnet. Hintergrund ist ein jahrelanger Streit mit dem Inlandsgeheimdienst FSB. Der will Zugang zu den Nutzerdaten des Dienstes.

Ein russisches Gericht hat heute die Sperrung des beliebten Messenger-Dienstes Telegram angeordnet. Geklagt hatte die russsische Internetaufsichtbehörde Roskomnadzor, weil sich Telegram geweigert hatte, dem Inlandsgeheimdienst FSB Zugang zu den verschlüsselten Nachrichten und Profilen der circa 200 Millionen Telegram-Nutzer zu gewähren. Der zugrundeliegende Streit zieht sich seit fast einem Jahr. Aber bereits zuvor waren der Geheimdienst und der Telegram-Chef Pawel Durow mehrfach aneinandergeraten.

Lange Fehde zwischen Telegram und FSB

57 Wörter lang war der Schachtelsatz, mit dem der russische Inlandsgeheimdienstes FSB im Juni 2017 die bis dato finale Runde im Kampf gegen "Telegram" einleitete. Zusammengefasst besagte dieser Satz: Die Drahtzieher des Bombenanschlags auf die Metro von Sankt Petersburg im April 2017 hätten sich über den Messenger koordiniert. "Terroristen nutzen Telegram", titelten kurz darauf fast wortgleich diverse Medien rund um den Globus.

Langjähriger Clinch zwischen Behörden und IT-Unternehmer

Mit der knackig zusammengestutzten Geheimdiensteinschätzung verbreiteten sich auch die Forderungen der russischen Behörden. Denn die wollten schon lange Zugang zur Verschlüsselungssoftware von "Telegram", dazu die Kundendaten und die Speicherung aller Nachrichten, die über die App ausgetauscht werden – aus Sicherheitsgründen. Vor der Terror-Meldung hatten sie sich damit aber die Zähne am "Telegram"-Gründer Pawel Durow ausgebissen – nicht zum ersten Mal.

Telegram-Gründer Pawel Durow am 28.10.2013 beim TechCrunch Disrupt in Berlin.
Der "Mark Zuckberg" Russlands: Pawel Durow gründete die populären Dienste "VKontakte" und "Telegram". Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland. | Dan Taylor

Durow ist der vielleicht bekannteste IT-Unternehmer Russlands. 2006 gründete der heute 33-Jährige die Plattform "VKontakte" (VK), das russische Facebook. Als 2011 russlandweit Hunderttausende junge Menschen gegen die, in ihren Augen, manipulierte Parlamentswahl demonstrierten, geriet Durow erstmals mit dem FSB aneinander. Der forderte den Unternehmer auf, die Protestgruppen auf VK zu schließen. Durow jedoch weigerte sich.

Auch "Telegram" im Visier der Staatsmacht

Zwei Jahre später gründete Durow "Telegram", um dem Marktführer "WhatsApp" Konkurrenz zu machen. Im Gegensatz zu diesem setzte "Telegram" auf anonymen Zugang und eine "Ende-zu-Ende-Verschlüsselung". Durch diese können Geheimdienste private Konversationen nicht mitlesen. 2014 versprach Durow ein Preisgeld von 300.000 US-Dollar, sollte jemand die Verschlüsselung knacken. Nach mehreren Monaten wurde der Wettbewerb ohne Sieger eingestellt.

Die Behörden wiederum begannen bereits vor der Terrormitteilung damit, "Telegram" unter Druck zu setzen. Im Mai 2017 wurde der Dienst von der staatlichen russischen Internetaufsicht "Roskomnadzor" aufgefordert, sich in ein Zentralregister für "Informationsverteiler" einzutragen. Damit hätte sich "Telegram" den strengen russischen Online-Regeln unterwerfen müssen.

Gesichtswahrender Deal für beide Seiten

Zu denen gehört, dass der Dienst seine Daten auf russischen Servern für Monate speichern und den Ermittlungsbehörden zugänglich machen müsste. Auch anonyme Accounts wären so nicht mehr möglich. Sollte sich "Telegram" der Aufforderung widersetzen, würde der Dienst in Russland gesperrt, drohte der "Roskomnadzor"-Chef Alexander Zharow in einem offenen Brief an Durow.

Roskomnadzor-Chef Alexander Zharov bei einer Rede in Moskau.
"Roskomnadzor"-Chef Alexander Zharow setzte "Telegram" vergangenen Sommer unter Druck. Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland. | Anton Novoderezhkin

"Ein solcher offener Brief eines Behördenleiters ist eine große Seltenheit", sagt Dmitrij Kononenko, Digitalexperte der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer (AHK) in Moskau. Zwei Tage nach der Terror-Meldung am 28. Juni 2017 stellte "Telegram" den Behörden zumindest die Unternehmensdaten für das Register zur Verfügung. Mit dem teilweisen Zugeständnis nahm sich "Telegram" vorerst aus der Schussbahn.

Finale Auseinandersetzung nach Wahlsieg Putins

Seit März ist es mit diesem stillen Einvernehmen dahin. Nur einen Tag nach der Wiederwahl Wladimir Putins zum russischen Präsidenten forderte die russische Internetaufsicht Roskomnadzor Telegram erneut auf, seinen Verschlüsselungs-Code herauszugeben. 15 Tage setzte die Behörde Telegram dafür als Ultimatum. Nach dem Ablaufen dieser Frist reichte Roskomnadzor vergangene Woche Klage ein und verlangte die Sperrung. Nach nur einem Verhandlungstag gab Richterin Julia Smolina dem Antrag heute statt.

Telegram-Chef Pawel Durow erklärte daraufhin, das Programm könne die Sperre schon durch eingebaute Mechanismen zumindest teilweise umgehen. Mit Hilfe geschützter Verbindungen könne dies praktisch ganz geschehen. Telegram-Anwalt Pawel Tschikow bezeichnete den Fall als Warnung an alle internationalen Tech-Konzerne, die in Russland Geschäfte machen wollten. Es zeige sich immer wieder, "dass die Gerichte den Interessen der Behörden dienen".

"Telegrams"-Kanäle leaken Daten aus dem Kreml

Wieviel Zugriff die Geheimdienste bereits vorab auf die Nutzerdaten hatten, ist umstritten. Jedoch dürfte er sich in Grenzen gehalten haben, sonst würden Kanäle wie "Metoditschka" wohl nicht existieren. Denn "Telegram" erlaubt es, neben den normalen Chats auch anonym Kanäle zu gründen, die Nutzer abonnieren können. Und diese Kanäle haben mittlerweile einen wachsenden realen Einfluss auf die russische Politik.

Metoditschka etwa leakt fast täglich Informationen aus höchsten politischen Kreisen: aus Behörden, dem Parlament und dem Kreml selbst. 40.000 Menschen folgen dem anonymen Kanal. Noch erfolgreicher ist "Niesygar", der seine 90.000 Follower mit politischen Analysen und vermeintlichen Enthüllungen versorgt, die es immer wieder auch in die Schlagzeilen klassischer Medien schaffen.

Der Kreml liest mit

Wahrheitsgemäß sind diese Nachrichten nicht immer. Etwa die, dass die FIFA Russland die WM 2018 entziehen würde. Auch die Quellen der Kanäle bleiben oft genauso im Dunkeln, wie die Identitäten der Betreiber. Dennoch werden die Kanäle sehr genau beobachtet. Politiker und Journalisten sollen zu den fleißigsten Abonnenten der anonymen Newskanäle zählen.

Ein Sprecher des Präsidenten Putin räumte im September ein, dass auch der Kreml die Veröffentlichungen von "Niesygar" und Co. genau verfolgt, als Abonnent. Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste machen das sowieso. Und das Außenministerium und die Generalstaatsanwaltschaft betreiben gleich eigene offizielle Kanäle auf "Telegram".

Der russische Präsidialamtssprecher erklärte kurz nach dem Urteil den Wechsel zu einem anderen Dienst an.

"Telegram" über Russlands Grenzen hinaus erfolgreich

Pawel Durow, der Gründer des Messengers, folgt dem nur noch aus der Ferne. Bereits vor drei Jahren hat er Russland verlassen und beabsichtigt nach eigenen Aussagen nicht mehr, in seine Heimat zurückzukehren. Auch "Telegram" selbst hat sich mittlerweile weit über die Grenzen Russlands hinaus verbreitet und zählt mittlerweile etwa 200 Millionen Nutzer.

Besonders beliebt ist er in Ländern, in denen Onlinekommunikation streng reglementiert ist. Die dortigen Behörden reagieren: So wurde "Telegram" bereits im Juli 2015 in China komplett gesperrt, nachdem über den Dienst Kritik an der Kommunistischen Partei verbreitet worden war. Eine weitere Blockade hat Anfang dieses Jahres erst der Iran erlassen, als dort Hunderttausende Menschen gegen das Mullah-Regime auf die Straßen gingen. Organisiert hatten sich viele der Aktivisten im Internet - anonym und verschlüsselt über "Telegram".

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im: Radio | 18.08.2017 | 13:45 Uhr