Radiomikrofon im Studio
Einfach auf die Lieder "draufquatschen"? Das hat seine Gründe. Bildrechte: imago images/Imaginechina-Tuchong

Der Redakteur | 12.06.2023 Warum wird die Musik im Radio nicht immer ausgespielt?

13. Juni 2023, 12:19 Uhr

MDR THÜRINGEN-Hörer Fritz Bringezu aus Greiz fragt: Warum werden im Radio die Musiktitel selten ausgespielt? Auch auf die Titel wird fast immer drauf gesprochen. Warum ist das so?

Ein Musiktitel hat einen Anfang und ein Ende. Auch wenn das Ende mitunter ausgeblendet ist. Warum nutzen Moderatoren heute jede Gelegenheit, auf die Titel "draufzuquatschen"? Diese Unsitte gehört verboten, so wie einst dieses "Yeah, yeah, yeah …"?

Zumindest sind die Forderungen mitunter recht forsch formuliert, die den Hörerservice von MDR THÜRINGEN erreichen. Für Liebhaber der jeweils "verunstalteten" Titel mag das ein durchaus verständliches Ärgernis sein, aber das Nutzen der - fachsprachlich - "Intros" und "Outros" der Titel ist Teil des modernen Radiozeitgeistes. Radio hat sich über die Jahrzehnte entwickelt von einem Einschalt-Medium zu einem Nebenbei-Medium.

In den Anfangsjahren des Radios versammelte man sich im Verwandten- und Freundeskreis, um die wenigen Empfangsgeräte, um den Ansagen und Darbietungen zu lauschen. Vieles passierte live, auch die Musik. Das Streichquartett saß mit im Studio. Es gab oft längere Schaltpausen nebst dazugehörigen Pausenzeichen und bis AFN, Radio Luxemburg und später Leute wie Thomas Gottschalk die Moderationen entstaubten, klang es noch ziemlich staatstragend, wenn ein "Ansager" eine Ansage machte.

Wir wissen, dass es eine ganze Reihe von Hörern gibt, die sagen: Ich möchte diese Betulichkeit von damals nicht mehr haben.

Jens Christof, Hörfunkchef MDR THÜRINGEN

Sätze wie "Sie hörten…", "meine sehr verehrten Hörerinnen und Hörer an den Empfangsgeräten …" gibt es heute nicht mehr. So wie Klamotten modischen Einflüssen unterliegen, wie sich Autos oder das Fernsehen weiterentwickeln, geht auch das Radio mit der Zeit. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Wer plant eigentlich die Musik?

Radioprogramme wie MDR THÜRINGEN für die reifere oder MDR JUMP für die jüngere Generation sind immer eine Kompromisslösung. Aus den klaren Forderungen Einzelner - wir zitieren aus den regelmäßigen Hörerwünschen: Spielt bitte nur deutsche Musik, nur Country, nur 80er, nur 70er, nur Rock, nur Ostrock, nur Top-Titel - lassen die Musikredakteure ein durchhörbares Programm entstehen, das zwar computergestützt geplant wird, aber erst perfekt ist, wenn am Ende noch jemand draufschaut.

Momentaufnahme aus der Probe: Mann mit schwarzer Kleidung und schwarzen, etwas längeren Haaren steht vor dem Orchester (im Hintergrund, unscharf) und erklärt gestikulierend. 6 min
Bildrechte: MDR KLASSIK

Zum Beispiel, ob die Tonarten zweier aufeinanderfolgender Titel zueinander passen. Damit räumen wir auch gleich noch mit dem Irrglauben auf, dass ein bestimmter Moderator "besonders tolle Musik" spielen würde. Der spielt schlicht das, was im Plan steht. Das Planungsprogramm des Computers liefert dem Musikredakteur eine Vorauswahl für jede Sendestunde nach vorgegebenen Kriterien, die dafür sorgen, dass nach den Nachrichten etwas flottere Titel laufen, Weihnachtssongs im Sommer gesperrt sind, Einschlafhilfen im Abend landen und Titel und Interpreten ein paar Stunden oder gar Tage pausieren, wenn sie einmal gelaufen sind.

Warum sprechen nun die Moderatoren auf die Musik?

Wenn Sie bei MDR Klassik eine Spezialsendung einschalten, die bestimmte Oper-Aarien thematisiert, werden Sie kaum einen Moderator finden, der sich über die Geigen legt. Aber das ist auch ein Sonderfall des heutigen Radios. Die Sender, die den Massenmarkt bedienen, sind eben keine "Einschaltprogramme" mehr, sondern Tagesbegleitprogramme. Sie sind der Soundteppich für den Alltag, der vereinzelt Impulse setzt und bei dem es negativ auffallen würde, wenn plötzlich Stille herrscht. Das bestätigen auch Befragungen der Zielgruppe.

Es gehört dazu, dass wir einen Soundteppich haben, der auch nicht abreißt.

Jens Christof, Hörfunkchef MDR THÜRINGEN

Auf diesem Soundteppich liegen für jeden Hörer ganz unterschiedliche "Hallo-Wach-Effekte". Man kann es auch Muster nennen. Für den einen ist das der Polizeibericht, der andere wird beim Wetter aufmerksamer, einer bei den Beatles, andere bei Verbraucherthemen. Gezielt etwa vor den Nachrichten gesetzte Jingle oder "Opener", also die Erkennnungsmelodie mit Text für eine Sendung oder den gesamten Sender, geben Orientierung. Das ist die sogenannte "Positionierung", die früher noch ein piepsiges Pausenzeichen war. Alle sollen wissen, wo die Musik gespielt wird.

Wenn ich den Sender MDR THÜRINGEN einschalte, muss ich wissen, wo ich bin. Ich muss immer einen Wiedererkennungswert haben, dass ich sage: Das ist mein Sender hier in Thüringen und kein anderer.

Jens Christof, Hörfunkchef MDR THÜRINGEN

Es ist durchaus allen Beteiligten klar, dass Radio nicht den ganzen Tag mit höchster Aufmerksamkeit gehört werden kann. Aber wir haben das Programm so ausgerichtet, dass es zu einem üblichen Tagesrhythmus passt, bei dem ein Mensch morgens aufsteht, frühstückt, dann seiner Beschäftigung nachgeht. Entsprechend werden Informationen platziert: Morgens die Uhrzeit, das Wetter und knappe Informationen, den Tag betreffend usw. und alles immer schön im Fluss.

"Draufquatschen" - Das ist die ganz hohe Schule

Nun mag es Zeiten gegeben haben, da waren wir froh darüber, dass sich die Moderatoren von HR, NDR oder RIAS2 zurückgehalten haben. Es gab sogar extra Mitschnittsendungen für DDR-Bürger, die dann die englischen Titel und Gruppen so aufgeschrieben haben, wie sie im Ohr ankamen, yäh. In dieser Zeit ist auch Fritz Egner zum Musikguru gereift, dessen Plattensammlung schon Statiker auf den Plan gerufen haben, wie er bei seinem Besuch bei Ramm am Nachmittag erzählt hat.

Seine Fachkenntnisse über die Musik selbst und sein Hintergrundwissen über Musiker ist so groß, dass er völlig unvorbereitet mit dem ersten Ton eines Titels eine passende Geschichte erzählen kann. Und die ist auf den Punkt auserzählt, wenn das "Intro" des Titels endet und der Gesang beginnt. Das ist etwas, das Moderatoren lernen müssen. Denn: Auf dem Gesang weiterzureden, ist schlicht blamabel. Das ist eine Panne, ein Schritt ins Blumenbeet. Weil aber nicht alle Kollegen solche Musikgurus sind wie Fritz Egner, gibt es auf den Bildschirmen der Studiotechnik heute optische Hilfen. Also man sieht an einem Fortschrittsbalken, wie lang das Intro noch ist und nach wie vielen Sekunden der Sänger erstmals die Stimme erhebt.

Radio lebt

Weil das Radio eben mit der Zeit gehen muss, könnte der Trend mit dem "Draufquatschen" durchaus auch wieder etwas abflachen. Denn immer mehr Musiker produzieren aktuell ihre Musik für Streamingdienste wie Deezer oder Spotify. Dort gibt es erst eine Ausschüttung, wenn ein Titel mindestens 30 Sekunden ausgespielt wurde.

Mischpult
Mehr als nur "quatschen" - Eine große Bandbreite an Technik gehört zum Moderationsjob. Bildrechte: PantherMedia/Einar Muoni

Das bedeutet: Der Musiker, der sich mit seiner Musik einschleicht und dann eine seichte Strophe folgen lässt und erst nach einer Minute vielleicht zum großen Refrain ausholt, der hat schon einen großen Teil seiner ungeduldigen Hörer verloren. Die haben dann einfach auf "Überspringen" geklickt. Deshalb gehen viele neue Titel heute sofort richtig los, das Beste kommt quasi gleich zum Einstieg. Die Folge: Das Intro fehlt und schon hat sich die Gesamtanmutung des Radioprogramms, das diese Titel spielt, wieder etwas verändert. 

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 12. Juni 2023 | 16:40 Uhr

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