Pfarrer der DDR-Friedensbewegung Eine ganz persönliche Ehrung: Friedrich Schorlemmer wird 80 Jahre alt
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16. Mai 2024, 09:09 Uhr
Eine Wohnung voll bis zur Decke mit Büchern, ein Gesprächspartner, der sich in druckreifen Sätzen ereifern kann – MDR-Reporter André Damm blickt auf seine Jahrzehnte mit Friedrich Schorlemmer zurück. Zum 80. Geburtstag des Theologen und Bürgerrechtlers wünscht er ihm vor allem Ruhe und Kraft. Wegen schwerer Krankheit hat sich Schorlemmer vor einigen Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
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Interviews mit Friedrich Schorlemmer waren und bleiben legendär. Er hatte es meist eilig, wirkte selten entspannt, immer auf dem Sprung, wie einer, der gleich zur Sache kommen will: ein Getriebener unterwegs zum nächsten Ziel. Doch im Gespräch vergaß er die Zeit, versprühte geistreiche Wortkaskaden und konnte sich wunderbar in druckreifen Sätzen ereifern. Ich mochte seinen Blick voller Stolz und kindlicher Überraschung, wenn ihm ein besonderes Bonmot gelungen war. Er lachte dann kurz auf und fragte mich, ob man das denn so sagen könne. Natürlich! Und er lachte wieder.
Friedrich Schorlemmer hat viel gesagt und viel geschrieben. Wie viele Bücher? "Ach, das weiß ich nicht genau", entgegnete er. Ich glaube, das stimmte. Ihm ging es nicht um Quantität, sondern um seine Botschaft: Eine Botschaft, die zum Nachdenken anregen soll, aber nicht anklagend ist; eine Botschaft, die vermittelt, aber nicht verletzt. Wir Menschen, so sein Credo, haben selbst alles in der Hand, unser Leben friedlich und gerecht zu führen – was wir auch tun sollten. Nichts hasste er so sehr wie Krieg.
Hauptfigur der DDR-Friedensbewegung
Der Theologe und die christlichen Werte – dafür stand der in Wittenberge geborene Wittenberger schon zu DDR-Zeiten ein. Bespitzelt von der Stasi lebte er in ständiger Gefahr, verhaftet oder in den Westen abgeschoben zu werden. Ein Bürgerrechtler, der dank seiner rhetorischen Wortgewalt auch zu einer Hauptfigur der DDR-Friedensbewegung aufstieg.
Friedrich Schorlemmers Lebenslauf
Friedrich Schorlemmer wurde 1944 in Wittenberge geboren, aufgewachsen ist er in Werben in der Altmark. Zu DDR-Zeiten studierte er Theologie in Halle. Das Abitur hatte er an der Volkshochschule nachholen müssen. Als Sohn eines Pfarrers war ihm der Zugang zur Erweiterten Oberschule verwehrt worden. In den 1970er Jahren war er Studentenpfarrer in Merseburg, ab 1978 Dozent am Predigerseminar und Prediger an der Schlosskirche in Wittenberg.
Die Aktion "Schwerter zu Pflugscharen" ist maßgeblich von Schorlemmer initiiert worden. Sie wurde zum Symbol der kirchlichen Friedensarbeit in der DDR und in ganz Deutschland. Noch heute steht eine Skulptur davon vor dem Hauptquartier der UNO in New York. Im Jahr 2009 erhielt er das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. 2014 wurde er für seinen "langjährigen zivilen Mut" mit der Goldenen Medaille der Humboldt-Gesellschaft in Weimar ausgezeichnet.
Wittenberg wollte ihn als Bürgermeister
Nach der friedlichen Revolution wurde er berühmt und auch ein bisschen eitel. Als Gesprächspartner machte er sich in seiner Heimatstadt rar. Dafür saß er in TV-Talkshows, verkehrte mit den Mächtigen der Bundesrepublik und verhalf Wittenberg zu einem SPD-Bürgermeister. Viele setzten Anfang der 1990er Jahre ihre Hoffnungen auf das SPD-Mitglied Schorlemmer und gaben ihm ihre Stimme. Doch Schorlemmer als Bürgermeister? Stadtratssitzungen, Gremienarbeit, Verwaltungsabläufe – diesen Job konnte der Freigeist nicht annehmen. Wittenberg wählte dann einen Rathauschef, den damals kaum jemand kannte, niemand wollte und der seine Arbeit als Oberbürgermeister überraschend gut machte. Und das 25 Jahre lang.
Ein Denker, der gern lange schlief und zwei Wohnungen in der Wittenberger Lutherstraße benutzte.
Friedrich Schorlemmer dagegen war nicht gemacht für Chefposten. Der Denker, der gern lange schlief und zwei Wohnungen in der Wittenberger Lutherstraße benutzte. In der einen wohnte er, in der anderen befanden sich seine Bücher.
Als ich ihn dort das erste Mal besuchte, staunte ich über die Altbauwohnung, deren Wände vom Fußboden bis zur Decke aus Büchern bestanden. Jeder Raum sah so aus, dazwischen ein Stehpult, auf dem er seine Texte schrieb. Die Bücher, die er häufig nur mit einer kleinen Leiter erreichen konnte, waren fast alle mit kleinen Notizzetteln versehen. Das war gelesene Literatur.
Humanistische Grundeinstellung
Daraus schöpfte er auch die Kraft, andere Ideen zuzulassen, die Literatur beflügelte seinen Geist. Hinzu kam seine humanistische Grundeinstellung.
Ich erinnere mich an den Abend der DDR-Grenzöffnung, als ich ihn in der Wittenberger Stadthalle erlebte.
Ich erinnere mich an den Abend der DDR-Grenzöffnung, als ich ihn in der Wittenberger Stadthalle erlebte. Im Podium saßen einige Staatsvertreter der DDR und wollten mit Schorlemmer und anderen Regimekritikern über mehr Demokratie reden, wurden aber von der aufgebrachte Menge niedergebrüllt. Es fehlte nicht viel und die Wittenberger Bürger wären über die ehemaligen Mächtigen hergefallen.
Da stand Schorlemmer auf und sagte, dass Gewalt keine Lösung sei und dass die meisten hier in der Stadthalle jahrelang nichts für eine bessere DDR getan, sondern einfach mitgemacht hätten. Mit diesen Sätzen sorgte er dafür, dass es an diesem Abend in Wittenberg friedlich blieb, während ich spätnachts mit dem Zug zum ersten Mal in den Westen fuhr.
Auch im Ausland geschätzt
Es gibt viele Geschichten, die ich mit Friedrich Schorlemmer verbinde. Vielleicht nur noch eine: Der Theologe ist häufig als Querulant, als Störenfried abgestempelt worden, weil er nicht müde wurde, mahnend seine Stimme gegen Unrecht zu erheben. Eine Stimme, die auch außerhalb Deutschlands gehört wurde. Bei einem Urlaub in der Schweiz sagte ich meiner Vermieterin, dass ich aus Wittenberg komme und erwartete den Spruch, dass sie die Stadt wegen Martin Luther kenne. Sie aber sagte, dass Wittenberg doch die Stadt sei, wo Friedrich Schorlemmer lebe. Das ist mir übrigens mehrmals passiert.
Schwere Erkrankung
Friedrich Schorlemmer hat sich vor einigen Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, nachdem sich erste Anzeichen seiner schweren Erkrankung bemerkbar machten.
Am 16. Mai begeht er seinen 80.Geburtstag. Ich wünsche dir, lieber Friedrich, dass du Ruhe und Kraft bei Freunden und Familie findest, dass du spürst, dass du nicht allein bist und dass du dich am Ende geborgen fühlen kannst.
MDR (André Damm, Luise Kotulla)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 16. Mai 2024 | 08:30 Uhr
DER Beobachter vor 24 Wochen
Es wäre tatsächlich interessant, wie er sich zu den Problemen und Entwicklungen genau der letzten Jahre geäußert hätte... Ich befürchte, dass unsere übliche Kommentatorenschaft ihn hier dann sehr wohl zerrissen hätte...
DER Beobachter vor 24 Wochen
Hierin bin ich mit Ihnen tatsächlich völlig d´accord, Britta. Es wäre tatsächlich interessant, wie er sich zu den Problemen und Entwicklungen genau der letzten Jahre geäußert hätte...
ste-ker vor 24 Wochen
@harzer;..dito..es ist wie es eben ist...gestern noch auf der richtigen seite, auszeichnungen und ehrungen ohne ende...und heut...gerade heut, da es in umgekehrter richtung wieder zu beginnen scheint...stille!..kein aufschrei der gerechten!...ist es wieder da...das "schweigen der lämmer"???...so toll seine aktionen waren...sie müssten gerade jetzt und heut neu zum leben erweckt werden....und lauter als je zuvor !!!