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MDR SACHSEN-ANHALT Di 23.04.2024 07:50Uhr 05:02 min

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Luftkurort Chemikalie soll Arendsee von Blaualgen befreien

24. April 2024, 05:10 Uhr

Der Arendsee soll von Blaualgen befreit werden – mit Hilfe von Chemie. Die radikale Maßnahme könnte Anfang 2025 erfolgen und würde mehr als acht Millionen Euro kosten. Doch gegen die Pläne regt sich Widerstand.

Sachsen-Anhalts größter Binnensee, der Arendsee, hat ein Problem: Das Aufkommen giftiger Blaualgen ist derart gestiegen, dass die "Blaue Perle" aus dem ökologischen Gleichgewicht geraten ist. Von allein, sagt Dörthe Bethge-Steffens von der Arbeitsgemeinschaft "Der Arendsee", erhole sich das Gewässer nicht mehr. Deshalb soll eine Chemikalie helfen.

5.500 Tonnen Poly-Aluminium-Sulfat würden benötigt, um die Blaualgen im Arendsee zurückzudrängen. Das haben mehrere Gutachten ergeben. Würde man den Stoff auf Lkw laden und die Fahrzeuge aneinanderreihen, stünden die Trucks auf ganzer Strecke von Arendsee bis Salzwedel. Das hat Claudia Lembke vom Umweltamt des Altmarkkreises Salzwedel ausgerechnet und jüngst der Arbeitsgemeinschaft "Der Arendsee" berichtet.

Arendsee: Blaualgen in vielerlei Hinsicht gefährlich

Deren Vorsitzende, die Wasserbau-Ingenieurin Dörthe Bethge-Steffens, ist Befürworterin der Pläne, mittels Chemie den See zu gesunden. Das Wasser sei schließlich auch giftig, sagte sie MDR SACHSEN-ANHALT.

Nicht nur für Menschen, sondern auch wenn ein Hund daraus trinkt, der kann daran direkt sterben." Aber es sei auch für alle anderen Tiere und Pflanzen, die dadurch zurückgedrängt würden, gefährlich.

Dörthe Bethge-Steffens, Ingenieurin für Wasserbau

In den vergangenen Sommern war von zu großem Blaualgenbefall im Arendsee nichts zu spüren. Das läge daran, sagt Dörthe Bethge-Steffens, dass diese Alge zu hohe Temperaturen nicht mag. Die letzten Sommer seien fast alle sehr heiß gewesen. Bekämen wir "normale" Sommer mit Lufttemperaturen von etwa 25 Grad plus, würde sich die Blaualge sofort wieder sprunghaft vermehren. Anderen Pflanzen, Tieren, Organismen würde sie damit quasi die Luft nehmen.

Untersuchungen hätten gezeigt, so Dörthe Bethge-Steffens, dass es bereits am Grund des Arendsees eine nahezu sauerstofflose Schicht gibt. Diese könnte wachsen, würden noch mehr Blaualgen im See wachsen, sterben und auf den Grund absinken.

Auch Barleber See kämpft mit Blaualgen

Ähnliche Bedenken und Erkenntnisse hatte es bereits für den Barleber See bei Magdeburg gegeben. Im Sommer 2019 waren dort etwa 1.000 Tonnen Aluminium-Salze ins Wasser gebracht worden. Mit Erfolg: Das Blaualgenwachstum ist spürbar eingedämmt worden.

Die Dimensionen des Arendsees sind andere, betont Dörthe Bethge-Steffens. Die "Blaue Perle" ist knapp 50 Meter tief und hat eine Fläche von etwa 500 Hektar. Er hat zwanzig Mal so viel Wasser wie der Barleber See.

Blick auf den Arendsee im Altmarkkreis Salzwedel, im Vordergrund sind eine Wiese und ein Strand zu sehen.
Bis zu 50 Meter tief: der Arendsee im Altmarkkreis Salzwedel Bildrechte: MDR/Michael Rosebrock

Das Wasser im Arendsee Das Wasser ist so nährstoffreich, weil es zu viel Phosphor enthält. Der Stoff stammt aus so genannten Haushaltsabwässern, also Schmutzwasser der Einwohner der Region. Zu DDR-Zeiten war dieses Schmutzwasser nahe des Arendsees, bei Thielbeer, regelmäßig auf den Feldern verrieselt worden, gelangte so durch den Boden ins Grundwasser und mit diesem in den Arendsee. Der hat keinen Zulauf, speist sich ausschließlich von Grundwasser und Regen. Die Konzentration von Phosphor im See-Wasser ist also die Folge jahrzehntelangen Handelns.

Fische verlieren durch Chemikalie Nahrungsgrundlage

Einer, der die chemische Behandlung des Arendsees ablehnt, ist Wilfried Kagel. Er ist 84 Jahre alt und fischt seit etwa 50 Jahren vor allem die weithin bekannten Maränen aus dem See. Die Fische würden ihre Nahrungsgrundlage verlieren, wenn das Poly-Aluminium-Sulfat die Blaualgen vernichtet. Es gäbe dann kleinere und vor allem weniger Maränen im Arendsee.

Wilfried Kagel, Inhaber der Fischerei Kagel auf dem Arendsee in Zießau (Sachsen-Anhalt), mit geräucherten Fischen
Lehnt Chemie im Arendsee ab: Fischer Wilfried Kagel. Bildrechte: picture alliance / ZB | Jens Wolf

Deshalb empfiehlt Fischer Kagel mit ernstem Blick, die Finger von den Plänen zu lassen. Er vertraut auf die Selbstheilungskräfte des Sees und rät, einfach abzuwarten. Der See saniere sich ganz alleine.

Im Prinzip muss man erstmal die Ursache bekämpfen. Es braucht vielleicht noch eine längere Zeit, aber dieses Geld, das sollte man für was anderes nehmen.

Wilfried Kagel, Fischer am Arendsee

Dass den Maränen im Falle der chemischen Bekämpfung der Blaualgen bedeutend weniger Nahrung zur Verfügung steht, bestätigt auch Wasserbau-Ingenieurin Bethge-Steffens. Allerdings hätten die Maränen ihre jetzige Größe nur erreicht, weil es so viele Nährstoffe im See gebe: "Die Maräne profitiert von dem Zustand, der jetzt vorherrscht. Aber der Zustand, der jetzt vorherrscht, ist ökologisch nicht in Ordnung. Das Gleichgewicht des Sees ist einfach nicht vorhanden.

Streit um die Zukunft des Arendsees

Es gibt etliche Arendseer, die ähnlicher Auffassung sind wie Fischer Kagel, dass der Arendsee sich also doch noch selbst heilen könnte. Die Diskussion in der Bürgerschaft ist entbrannt. Auch in sozialen Medien äußern sich Gegner der Maßnahme. Unter anderem die Biologin Renate Baltruschat. Sie und ihr Mann betreiben in Ziemendorf bei Arendsee einen Reiterhof. Baltruschat sieht in den Plänen, Poly-Aluminium-Sulfat in den See zu leiten, eine Gefahr für das Gewässer. Bis vor wenigen Tagen war sie noch Mitglied der Arbeitsgemeinschaft "Der Arendsee"; nachdem das Gremium aber die Pläne deutlich befürwortet hatte, trat die Biologin aus.

Fakt ist: Wenn zu viele Blaualgen im Arendsee wachsen und – wie bereits mehrfach geschehen – im Abschnitt des Strandbades auftauchen, leidet die Tourismuswirtschaft. Denn in solchen Fällen dürfen Badegäste nicht mehr ins Wasser; das Risiko einer Erkrankung durch die Algen wäre zu groß. So gibt es auch etliche Unternehmer, Lokalpolitiker und Bürger, die sich um das touristische Image des Luftkurorts sorgen und darum, dass im Falle vermehrter Blaualgen die Einnahmen aus dem Tourismus-Geschäft zurückgehen würden.

Umweltamt wartet auf Gutachten

Diese Überlegungen, sagt Dörthe Bethge Steffens, würden natürlich eine Rolle spielen bei der Abwägung, ob man tausende Tonnen Chemie in den See einbringt. Vor allem aber gehe es um Umweltaspekte. Die Europäische Union hätte eine Richtlinie verabschiedet, nach der das ökologische Gleichgewicht aller Gewässer wieder hergestellt werden müsse. Eigentlich bis 2025. Das sei, sagt Bethge-Steffens, in Arendsee kaum zu schaffen. Noch sei es möglich, mit der Maßnahme im Winter 2025 zu beginnen. Doch Claudia Lembke vom Umweltamt des Altmarkkreises wartet noch auf ein letztes Gutachten. Die Behörde will ganz sicher gehen, dass es – aus Sicht der Wissenschaft – keine Alternative gibt, der Blaualgen Herr zu werden. Erst wenn das entsprechende Gutachten auch zu diesem Schluss kommt, würde der Altmarkkreis die endgültige Zustimmung geben.

Die Kosten der chemischen Behandlung sind vor einigen Jahren auf etwa acht Millionen Euro geschätzt worden. Damit, sagt Dörthe Bethge-Steffens, käme man dann wohl nicht mehr hin.

Mehr zum Thema: Arendsee

MDR (Katharina Häckl, Alisa Sonntag, Anne Gehn-Zeller)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. April 2024 | 07:50 Uhr

1 Kommentar

goffman vor 1 Wochen

Ob Chemie notwendig ist oder ob es bessere Alternativen gibt, kann ich nicht beurteilen.
Ich hoffe aber, dass sich nicht einfach für die billigste Lösung entschieden wird, sondern für die umweltverträglichste.

Wichtiger scheint mir aber die Frage, was gegen eine erneute und zukünftige Belastung des Gewässers mit Nährstoffen getan wird. Ja, es mag sein, dass die Altlasten der DDR für die aktuelle Situation hauptverantwortlich sind. Das heißt aber nicht, dass die heutige Landwirtschaft, Industrieabwässer oder Haushaltsabwässer nicht zusätzlich zum Problem beitragen.

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