Bauarbeiten auf einer Baustelle
Das in Sachsen seit 2013 gültige Vergabegesetz gilt vielen Kritikern als veraltet. Hauptvorwurf: Es befördere Preisdumping. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Britta Pedersen

Öffentliche Ausschreibungen Warum das Vergabegesetz Sachsens Wirtschaft spaltet

23. Oktober 2023, 11:27 Uhr

Das Vergabegesetz muss erneuert werden. Durch die Verankerung zusätzlicher Vergabekriterien soll bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr automatisch der billigste Anbieter den Zuschlag erhalten. CDU und Wirtschaftsverbände halten das geplante Gesetz vor allem für eine Bedrohung für sächsische Unternehmen. Doch längst nicht alle Unternehmer sehen das auch so.

Aktuelles sächsisches Vergabegesetz fördert Lohndumping

Die sächsischen Regierungsparteien hatten 2019 im Koalitionsvertrag festgehalten, das Vergabegesetz zu reformieren. Das soll noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt und die seit 2013 in Sachsen geltende Regelung damit abgelöst werden. Sie gilt vielen Kritikern als veraltet. Weil verbindliche Vorgaben zu Sozial- und Umweltstandards bei Auftragsvergaben der öffentlichen Hand praktisch keine Rolle spielen, entscheidet in aller Regel der Preis darüber, welcher Anbieter den Zuschlag erhält. Dies wird häufig zum Nachteil der Unternehmen, die sich nicht am Preisdumping beteiligen wollen oder können.

"Das sächsische Vergabegesetz setzt derzeit auf Billigangebote und benachteiligt die Unternehmen, die nach Tarif zahlen und ihre Beschäftigten ordentlich behandeln. So eine 'Geiz-ist-geil-Mentalität' ist nicht zeitgemäß und im Sinne der Fachkräftegewinnung kontraproduktiv", sagt Markus Schlimbach, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Sachsen.

So eine 'Geiz-ist-geil-Mentalität' ist nicht zeitgemäß und im Sinne der Fachkräftegewinnung kontraproduktiv.

Markus Schlimbach, Deutscher Gewerkschaftsbund Sachsen

Während der Corona-Krise forderten vor allem sächsische Hersteller von Corona-Schutzkleidung die Verankerung zusätzlicher Vergabekriterien. Ihre Produkte konnten bei öffentlichen Aufträgen nicht mit den Billigartikeln der Konkurrenz in Asien mithalten – und das obwohl Deutschland die inländische Produktion sogar finanziell gefördert hatte.

Besonders bei Bauaufträgen kann sich in Sachsen bislang immer wieder der billigste Anbieter durchsetzen. Geht es nach dem Deutschen Gewerkschaftsbund, muss das in Zukunft aufhören. Dazu Markus Schlimbach: "Verlierer sind nicht nur die Beschäftigten, mit denen Lohndumping betrieben wird oder die Unternehmen, die bei Ausschreibungen den Kürzeren ziehen. Es geht auch um gesamtgesellschaftliche Folgen, wenn Sozialversicherungen weniger einnehmen und in den öffentlichen Kassen die Einkommenssteuer niedriger ausfällt."

CDU und Arbeitgeberverbände lehnen bisherige Pläne zum Vergabegesetz ab

Um die Umsetzung eines neuen Vergabegesetzes in Sachsen wird heftig gerungen. Beim Streit der Akteure aus den sächsischen Regierungsparteien, verschiedenen Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften geht es vor allem um Lohnuntergrenzen und Fragen des bürokratischen Aufwands. So soll nach den ursprünglichen Plänen der SPD das neue Vergabegesetz branchenabhängig verbindliche Lohnuntergrenzen vorschreiben, die sich an bestehenden Tarifverträgen orientieren – eine sogenannte Tariftreueregelung.

Der Leiter des Ressorts Baurecht beim Bauindustrieverband Ost Hubertus Nelleßen lehnt die Aufnahme einer verpflichtenden Tariftreueregelung oder eines Vergabemindestentgeltes als verpflichtendes politisch-strategisches Ziel im Vergaberecht ab. "Es existiert bereits mit dem gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro eine Lohnuntergrenze, die regelmäßig angepasst wird und an welche alle Arbeitgeber gesetzlich gebunden sind", sagt Arbeitgebervertreter Nelleßen.

Es existiert bereits mit dem gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro eine Lohnuntergrenze, die regelmäßig angepasst wird und an welche alle Arbeitgeber gesetzlich gebunden sind.

Hubertus Nelleßen, Bauindustrieverband Ost

Auch der CDU-Landtagsabgeordnete und Vorsitzende der Dresdner Mittelstands- und Wirtschaftsunion Ingo Flemming äußerte sich gegenüber dem MDR zuletzt skeptisch zu Themen wie Tarifbindung oder Lohnuntergrenzen. Er fürchtet, dass eine gesamte Branche für einige schwarze Schafe in Sippenhaft genommen werden könnte. Die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft und die Industrie- und Handelskammern in Sachsen hatten sich ebenso gegen den Gesetzesentwurf ausgesprochen. Auf eine neuerliche Anfrage der MDR-Wirtschaftsredaktion haben Flemming sowie die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft bislang nicht geantwortet.

Vergabegesetz benachteiligt tarifgebundene Unternehmen

Während verschiedene Wirtschaftsverbände Tarifbindung als Vergabekriterium bei öffentlichen Ausschreibungen ablehnen, sehen dies längst nicht alle Unternehmen in Sachsen so. "Große Probleme haben wir als tarifgebundenes Unternehmen mit den öffentlichen Aufträgen. Unser Konzern ist bei öffentlichen Ausschreibungen immer auf den Plätzen zwei, drei, vier oder fünf, da der billigste Anbieter immer einen sehr hohen Abstand zu den weiteren Plätzen hat", sagt Roland Müller, der in einem Betrieb des Baukonzerns Strabag im sächsischen Weißwasser arbeitet. Er ist im Betriebsrat und Vorsitzender des Bezirksverbands Ostsachsen der IG Bau. Er erklärt, man müsste darauf achten, dass der billigste Anbieter nicht seine Bauleistung mit mehr als drei Subunternehmen abarbeitet, da die Subunternehmen ihren Mitarbeitern weniger Arbeitslohn zahlten als die tarifgebundenen Unternehmen. Mit einem soliden Vergabegesetz könnten alle Unternehmen etwas vom großen Kuchen öffentlicher Aufträge, für die Steuergelder verwendet werden, abbekommen.

Sascha Wollert ist Regionalleiter der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) für Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen. Er sieht den Wunsch vieler tarifgebundener Unternehmen nach einem fairen Wettbewerb bei Ausschreibungen: "Es ist unverständlich, warum der Bauindustrie-Verband Ost als Vertreter tarifgebundener Unternehmen nicht für eine faire Auftragsvergabe eintritt, die tarifgebundene Verbandsmitglieder nicht systematisch benachteiligt. Ich frage mich, ob der Zwiespalt, gleichzeitig diejenigen Mitglieder mit Tarifbindung und diejenigen ohne Tarifbindung zu vertreten, es den Verbänden im Baugewerbe schwer macht, sich für eine Tariftreueregelung im Vergabegesetz einzusetzen."

Teil der sächsischen Unternehmen für Tariftreueregelung bei Ausschreibungen

Der Dresdner Dachdeckermeister Uwe Meschwitz befürwortet die Verankerung einer Tariftreueregelung im neuen sächsischen Vergabegesetz. Von einem solchen Vergabekriterium verspricht er sich nicht nur unternehmerische, sondern auch gesamtgesellschaftliche Vorteile. Seine Meinung sieht er von den sächsischen Wirtschaftsverbänden aktuell nicht vertreten. "Bei verschiedenen Verbandsmitgliedern, also zum Beispiel bei verschiedenen Betrieben in der Dachdeckerinnung, bestehen gegensätzliche Interessen. Es gibt Betriebe, die Tariftreue als Kriterium im Vergabegesetz ablehnen", erklärt Meschwitz. Denn höhere Stundenlöhne seien für solche Unternehmen eine Bedrohung für das eigene Geschäftsmodell. Dies bestehe unter anderem darin, dass man beim Erbringen einer Leistung für die öffentliche Hand preiswertere Subunternehmen hinzuziehe, um so an den Lohnkosten zu sparen. Solche Unternehmen würden künftig weniger Gewinn machen oder hätten keine Chance mehr, eine Ausschreibung zu gewinnen.

Unternehmen wie das von Uwe Meschwitz hingegen, die schon jetzt ihre Lohnkosten nach Tarifvertrag kalkulieren, könnten sich in Zukunft bessere Chancen ausrechnen, bei einer öffentlichen Ausschreibung zum Zug zu kommen. Gleichzeitig geht es Uwe Meschwitz aber auch darum, mit seiner Arbeit dem Sozialstaat etwas zurückzugeben. "Im Vergabegesetz müsste nicht nur ein bestimmter Stundenlohn, sondern auch die Verpflichtung, in die Sozialkassen und in die Berufsgenossenschaft einzuzahlen, knallhart verankert werden", sagt der Unternehmer und führt ein Negativbeispiel aus der Praxis an. Sein Betrieb habe vor kurzem bei einer Ausschreibung verloren, weil ein Konkurrent die Abdeckung einer Friedhofsmauer viel günstiger anbieten konnte, denn für den Auftrag hätten sich vier Ein-Mann-Unternehmen in einem System von Subunternehmern zusammengetan. Die Erklärung, so Uwe Meschwitz, ist, dass Ein-Mann-Unternehmen nicht in die Sozialkassen oder Berufsgenossenschaft einzahlen müssen, also nichts für Renten, Arbeitslosenversicherung oder Ausbildung beisteuern. Diese Beiträge orientierten sich an der Lohnsumme der Mitarbeiter. Gebe es keine Mitarbeiterlöhne, fielen auch keine Beträge an.

Im Vergabegesetz müsste nicht nur ein bestimmter Stundenlohn, sondern auch die Verpflichtung, in die Sozialkassen und in die Berufsgenossenschaft einzuzahlen, knallhart verankert werden.

Uwe Meschwitz, Unternehmer

Insider zweifelt Umsetzbarkeit neuer Vergaberegel an

Eine Lohnuntergrenze für Aufträge der öffentlichen Hand in Sachsen, die sich an Tarifverträgen orientiert, würde die Zuschlagschancen derjenigen Unternehmen verbessern, die bereits an einen Tarifvertrag gebunden sind. Die Verankerung von einer Tariftreueregelung im Vergabegesetz würde in der Praxis allerdings einen hohen bürokratischen Aufwand bedeuten, sagt ein Insider, der vor dem Hintergrund der laufenden Verhandlungen nicht namentlich genannt werden möchte. Diesem zufolge ist es schwer, für alle Branchen stets zu jedem Tarifvertrag in der aktuell gültigen Fassung informiert zu sein. Dazu käme, dass dann fortlaufend die Rechtsverordnung angepasst werden müsste. Daher sei ein Vergabemindestlohn das eigentlich interessante Instrument. Dieser müsste dann über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen und fortlaufend angepasst werden.

Sascha Wollert von der Industriegewerkschaft BAU weist darauf hin, dass ein vorgeschriebener Vergabemindestlohn hoch genug sein muss, um in der Praxis relevant zu sein. "Ein sächsischer Vergabemindestlohn darf nicht so niedrig sein, dass er gerade einmal knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Jeder Arbeitnehmer sollte im Sinne der gesellschaftlichen Teilhabe so viel verdienen, dass er ein würdiges Leben führen und nach 45 Arbeitsjahren gut versorgt in Rente gehen kann", sagt der Gewerkschaftler.

Laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung von 2019 sind in Sachsen nur 39 Prozent aller Beschäftigten durch einen Tarifvertrag geschützt. Damit ist der Freistaat Schlusslicht in Deutschland.

Öffentliche Hand kauft jährlich für 500 Milliarden Euro ein (für mehr Informationen bitte aufklappen)

Deutschlandweit beträgt das jährliche Auftragsvolumen beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen durch öffentliche Stellen rund 500 Milliarden Euro. Mit dieser Marktmacht ließen sich, so die Meinung vieler Kritiker, wichtige politische Ziele verfolgen. Durch eine Beschaffung nach sozial- und umweltgerechten Kriterien könnte sich die öffentliche Hand als Vorbild für nachhaltiges und volkswirtschaftlich sinnvolles Wirtschaften erweisen.

Dem jüngsten Vergabebericht des sächsischen Wirtschaftsministeriums zufolge hat der Freistaat Sachsen in den Jahren 2021 und 2022 etwa 224.000 Aufträge für rund 1,4 MilliardenEuro vergeben. Davon seien knapp die Hälfte der Aufträge und nahezu 790 Millionen Euro an Unternehmen mit Sitz in Sachsen gegangen. Im gleichen Zeitraum wurden in Sachsen rund 36.000 Bauaufträge mit einem Volumen von etwa 520 Millionen Euro vergeben – fast 90 Prozent davon an sächsische Unternehmen. Von diesen Bauaufträgen wurden rund 1.600 Aufträge im Rahmen von öffentlichen Ausschreibungen vergeben. Dabei betrug das Auftragsvolumen 260 Millionen Euro.

Landesvergabegesetz erleichtert die Arbeit in Vergabestellen (für mehr Informationen bitte aufklappen)

Andere Bundesländer haben in ihren Vergabegesetzen die Einhaltung sozialer oder ökologischer Standards bereits zur Pflicht gemacht, bei einigen handelt es sich um eine Kann-Bestimmung. Außer in Sachsen fehlen nur in Bayern entsprechende Regelungen. Soziale oder ökologische Kriterien können prinzipiell auch auf Grundlage von EU-Richtlinien beziehungsweise Bundesgesetzen angewendet werden, erläutert Thorsten Schulten, Experte für Lohn- und Tarifpolitik bei der arbeitnehmernahen Hans-Böckler-Stiftung. Er hat sich damit beschäftigt, wie Bund, Länder und Gemeinden eine moderne Vergabepolitik für politische Zielstellungen nutzen können. "Will man eine flächendeckende Anwendung zusätzlicher Kriterien, braucht man ein möglichst klar formuliertes Landesvergabegesetz", sagt der Wissenschaftler.

Häufig haben Kommunen nicht die finanziellen Mittel. Doch nicht selten ist es für öffentliche Vergabestellen bequem, nur nach dem Preis zu fragen. Fehlendes Wissen, Unerfahrenheit oder Personalnot verhindern, dass Ausschreibungskriterien kreativer genutzt werden. Einfacher zu handhaben sind deshalb verbindliche Vorgaben im landesspezifischen Vergabegesetz.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 22. August 2023 | 06:09 Uhr

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