Interview Wie gut sind Thüringens Kulturgüter bei Katastrophen geschützt?
Hauptinhalt
18. Januar 2024, 13:26 Uhr
Um sich besser gegen Katastrophen wie den Brand in der Anna Amalia Bibliothek zu rüsten, hat das Land Thüringen vor fünf Jahren als erstes Bundesland einen Notfallverbund für Kulturgutschutz gegründet. Maßgeblich beteiligt ist der Kulturrat des Freistaats. Dessen Geschäftsführerin Judith Drühe berichtet im Interview mit MDR KULTUR über die Arbeit der Initiative, welche Rolle die Feuerwehren dabei spielen und wie Ausrüstung aus Thüringen sogar schon in der Ukraine zum Einsatz kam.
MDR KULTUR: Judith Drühe, Sie sind das Thema Kulturgutschutz im Verbund angegangen, mit dem Kulturrat Thüringen, dem Freistaat, der Staatskanzlei und dem Innenministerium, den Landesarchiven und anderen Partnern. Ihr gemeinsames Konzept zum Kulturgutschutz nennen Sie stolz den "Thüringer Weg". Was macht ihn denn aus?
Judith Drühe: Einfach, dass wir ein überregionales Konzept erarbeitet haben. Das heißt, es gibt bundesweit Notverbünde, das ist nicht einzigartig. Es gibt aber bundesweit insgesamt circa 60 Notfallverbünde und allein zehn davon sind bei uns in Thüringen beheimatet. Und dazu hat in jedem Fall beigetragen, dass sich mit dem Kulturrat eine Organisation dafür engagiert hat, übergreifend Fortbildungsangebote für Notfallverbündete zu machen. Damit sie eine Solidargemeinschaft bilden können und sich im Notfall gegenseitig helfen.
Diese Fortbildung, die Sie anbieten, das ist eine von drei Säulen. Welche anderen beiden Säulen gibt es noch?
Genau. Das ist eine sehr, sehr wichtige Säule, die Netzwerkarbeit. Die zweite wichtige Säule ist die Zusammenarbeit mit den Feuerwehren, die natürlich im Notfall auch immer vor Ort sind. Und die dritte Säule ist, dass wir in Thüringen an fünf Standorten sogenannte "Ausrüstungssätze Kulturgutschutz" gelagert haben, die in Feuerwehren stationiert sind und im Bedarfsfall angefordert werden können, genauso wie unser "Gerätewagen Kulturgutschutz".
Der Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek ist schon 20 Jahre her. Es sieht schon so aus, als würden die Mühlen beim Kulturgutschutzrecht langsam mahlen – jedenfalls langsamer als die Zeitenläufe und die Katastrophenereignisse uns wünschen ließen.
Jetzt malen Sie da ja ein sehr negatives Bild. Ich würde versuchen, das positiver zu malen. Natürlich, der Brand ist lange her, aber es ist auch nicht so, dass seitdem nichts passiert ist. Und Sie haben es eigentlich auch schon eingangs erwähnt: Das Nachdenken über den Kulturgutschutz hat vorher begonnen, nämlich 2002 mit dem Jahrhunderthochwasser.
In Weimar, wo die ganze Initiative gestartet ist, hat sich der erste Notfallverbund schon 2007 gegründet. Dass das Land Thüringen sich auch mit engagiert – da haben 2017/18 die ersten Gespräche stattgefunden. Von daher ist zuvor etwas passiert, aber es war sehr auf einzelne Engagements fokussiert. Und es war noch keine flächendeckende Struktur.
Inwieweit mussten denn die Notfallverbünde schon agieren, die sich seit dieser Zeit gegründet haben? Gibt es schon eine Bilanz?
Ich glaube nicht, dass wir darüber eine Statistik führen. Ich kenne aber verschiedene Situationen, in denen die Notfallverbünde und auch unsere Ausrüstungssätze in Aktion waren. Denn wir versuchen natürlich nicht nur eine Solidargemeinschaft für Thüringen zu sein, sondern auch international und bundesweit. Das heißt, unser "Gerätewagen Kulturgutschutz" ist auch in die Ukraine gereist, um dort vor Ort zu helfen. Unsere Ausrüstungssätze sind nach Ahrweiler gefahren, um dort vor Ort zu helfen.
Und dann sind es häufiger gar nicht die Großkatastrophen, sondern auch kleine Dinge, die passieren, wie ein Wasserrohrbruch, wo dann schon ein Ausrüstungssatz angefordert werden muss. Aber eine genaue Statistik kann ich nicht nennen. Ich kann Ihnen aber sagen: Es passiert immer wieder. Eigentlich ist nicht die Frage, ob ein Notfall passiert, sondern nur die Frage, wann der nächste Notfall passiert.
Welche Richtung wollen Sie gerne noch einschlagen mit dem Notfallverbund? Ich weiß, dass Sie 16 Verbünde anstreben in Thüringen statt den momentan zehn. Dringen Sie mit dieser Idee zu den einzelnen kleinen Häusern durch, sich lokal besser zu vernetzen in Sachen Kulturgutschutz?
Im Prinzip dringen wir durch. Sie sprechen da auf jeden Fall ein ganz wichtiges Problem an. Weil, wenn wir Notfallverbünde bilden, dann geht es erst einmal um Netzwerke und um eine gemeinsame Fortbildung. Darum, wie man Meldelisten führt, wer wann was macht, wofür die Feuerwehr zuständig ist und vor allen Dingen auch nicht zuständig ist. Das heißt, der akute Notfall wird in den Fortbildungen besprochen. Es gibt immer wahnsinnig viele Hausaufgaben, die die Kultureinrichtungen selber noch machen müssen. Die konkrete Notfallplanung im Haus können wir nicht leisten.
Das heißt, es müssen Risikobewertungen gemacht werden. Da müssen Prioritätenlisten gemacht werden usw. Und dafür fehlt es den kleinen Einrichtungen häufig tatsächlich an personellen Kapazitäten. Und hier würde ich sagen muss man strukturell noch mal rangehen und schauen, wie man die kleineren Kultureinrichtungen entlasten kann und wie man eine zentrale Stelle schaffen kann, die in dieser Richtung auch behilflich ist.
Das Interview führte Ellen Schweda für MDR KULTUR. Redaktionelle Bearbeitung: lig
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 17. Januar 2024 | 07:10 Uhr