Mehreren Senioren an einem Tisch im Pflegeheim
Die Preise steigen - auch für Bewohner von Pflegeheimen in Thüringen. Bildrechte: MDR/Alexander Reißland

Stationäre Pflege Pflegeheim-Kosten in Thüringen steigen auf mehr als 3.000 Euro im Monat

24. Juni 2023, 05:00 Uhr

Bis zum Jahresende wird ein Großteil der Thüringer Altenheimbetreiber die Pflegekosten mit den Pflegekassen neu verhandeln. Tarifsteigerungen bei den Beschäftigten sowie gestiegene Kosten für Unterkunft und Verpflegung werden dann auf die Bewohnerinnen und Bewohner umgelegt. Es drohen Kostensteigerungen von zehn bis 50 Prozent.

Mareike S. (Name von der Redaktion geändert) kann es zunächst nicht glauben. Per Brief bekommt sie von der Caritas mitgeteilt, dass der Eigenanteil ihres Vaters, der in einem Weimarer Altenpflegeheim lebt, zum 1. Juli steigt - und zwar um 50 Prozent.

Statt wie bisher 2.278,08 Euro soll er künftig 3.413,36 Euro im Monat für Pflege, Unterkunft und Essen zahlen. "Da habe ich gedacht, das kann gar nicht wahr sein", berichtet Mareike. "Das war eine Zahl, die war unvorstellbar für uns, für mich und meine Mutter. Das Heim kostet ja jetzt schon mehr als die Rente von meinem Vater. Es wird irgendwann darauf hinauslaufen, dass das Geld alle gemacht wird und er Sozialhilfe beantragt."

Das Heim kostet ja jetzt schon mehr als die Rente von meinem Vater.

Mareike S. Angehörige

Der Caritasverband für das Bistum Erfurt bestätigt im Gespräch mit MDR THÜRINGEN diese Steigerung. Aktuell verhandeln demnach viele Caritas-Einrichtungen die neuen Pflegeentgelte mit den Kassen. Noch seien diese Verhandlungen nicht abgeschlossen, doch man sei gesetzlich verpflichtet, die Bewohner über drohende Steigerungen rechtzeitig zu informieren, so Vorstandsvorsitzende Monika Funk.

Alle Kosten steigen

Den Großteil der Steigerung machen den Angaben zufolge die Personalkosten aus. Neben den Tarifsteigerungen führt die Caritas zum 1. Juli die 39-Stunden-Woche ein. Auch die 3.000 Euro Inflationsausgleichsprämie müsse eingepreist werden sowie das neue Personal aus dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz.

Durch das unter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beschlossene Soforthilfeprogramm konnten Pflegeeinrichtungen seit 2019 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen. Diese wurden vorläufig vom Bund bezahlt. Diese Finanzierung läuft nun aus. Neben den Personalkosten sind auch die Preise für Lebensmittel, Strom und Heizung gestiegen, wie der katholische Wohlfahrtsverband erklärt. Tariferhöhungen habe es zudem bei den Dienstleistern für Gebäude- und Wäschereinigung gegeben.

Eine Pflege-Mitarbeiterin schiebt eine Frau in einem Rollstuhl.
Auch die Personalkosten im Pflegebereich sind gestiegen. Bildrechte: MDR/Alexander Reißland

Spätestens im Januar 2024 steigen die Entgelte in Thüringen

Diese Steigerungen beträfen die gesamte Branche, bestätigt auch die Arbeiterwohlfahrt. Man selbst befinde sich aktuell in laufenden Tarifverhandlungen für die Beschäftigten, erklärt die Geschäftsführerin des Awo-Landesverbandes Thüringen, Katja Glybowskaja. Zum Jahresende werde auch die Awo die Pflegeentgelte neu verhandeln und zum Januar 2024 anheben.

Beim Paritätischen Wohlfahrtsverband gab es schon in den vergangenen Monaten Steigerungen des Eigenanteils von 20 Prozent bei einigen Einrichtungen, wie der Verband mitteilte. Im dritten Quartal werde man selbst für seine Mitglieder die Entgelte neu verhandeln. Eine mindestens zehnprozentige Steigerung wird erwartet.

Staatliche Zuschläge zum Eigenanteil steigen

Um die Eigenanteile der Pflegekosten für Pflegeheimbewohnende zu reduzieren, hat der Gesetzgeber bereits nachgebessert. Zum Jahresbeginn 2022 wurden Leistungszuschläge eingeführt, die nach Aufenthaltsdauer gestaffelt sind. Je länger ein Bewohner im Pflegeheim wohnt, desto höher sind die staatlichen Zuschüsse.

Fünf Prozent bekommen Pflegeheimbewohner im ersten Jahr, 25 im zweiten, 45 im dritten, danach übernimmt der Bund 70 Prozent des Eigenanteils. Das reiche bei Weitem nicht aus, um die steigenden Pflegekosten zu decken, kritisieren die sozialen Träger.

Grafik zu Zuschüssen in der Pflege
Der Zuschuss zum Eigenanteil steigt abhängig zur Aufenthaltsdauer im Pflegeheim. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Pflegebedürftige kommen immer später ins Heim

Zumal die Bewohner selten lange im Pflegheim verweilen. "Wir verspüren schon jetzt die Tendenz, dass Pflegebedürftige aufgrund der hohen Kosten erst dann in eine vollstationäre Einrichtung einziehen, wenn der Pflegebedarf so hoch ist, dass die häusliche Pflege gar nicht mehr ausreicht", sagt Pflegereferentin Britta Richter vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Die Verweildauer werde immer kürzer und liege derzeit bei rund einem Jahr. Das bestätigen alle Wohlfahrtsverbände. Ein Umstand, der gerade für die Beschäftigten eine psychische Belastung sei, da die Bewohner schnell versterben.

Wohlfahrtsverbände fordern eine Pflegereform

Das Pflegesystem bedarf nach Einschätzung der Sozialen Träger einer grundlegenden Reform. Die derzeitige "Teilkasko"-Versicherung, bei der die Pflegekasse einen Anteil übernimmt und die Pflegebedürftigen den größeren Teil selbst bezahlen, sei nicht mehr finanzierbar.

Pflegebedürftigkeit ist ein Armutsrisiko.

Katja Glybowskaja Awo Landesverband Thüringen

"Der Pflegekollaps droht nicht, wir sind schon lange mittendrin. Wir machen seit Jahren nur Flickschusterei", kritisiert Britta Richter vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Ihre Kollegin Monika Funk vom Caritasverband für das Bistum Erfurt ergänzt: "Wir brauchen eine grundsätzliche Finanzierungsreform, um den Automatismus 'Pflegeheim gleich Sozialhilfe' zu verhindern." Pflegebedürftigkeit sei ein Armutsrisiko, bestätigt Katja Glybowskaja vom Awo-Landesverband Thüringen. Die Forderung nach einer Reform erheben die Verbände seit Jahren, geschehen ist bislang nichts.

Unterstützung vom Freistaat Thüringen

Eine weitere Stellschraube wäre die Investitionspauschale für Baukosten. Auch die müssen Pflegebedürftige selbst bezahlen. Sie schwankt je nach Pflegeeinrichtung zwischen fünf und 20 Euro pro Tag. So berechnet beispielsweise ein Caritas-Altenpflegeheim in Dingelstädt 450 Euro pro Monat für Investitionskosten. Andere Bundesländer übernehmen diesen Anteil.

Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) sieht dafür keinen Spielraum. "Hier gibt es einige Länder, die diese Investitionskosten übernehmen. Es ist aber auch eine haushälterische Frage und momentan haben wir bei uns im Haushalt nicht die Gelder zur Verfügung, um diesen Aufschlag machen zu können", sagte sie.

Zwei Frauen im Gespräch.
Sozialministerin Heike Werner (r.) im Gespräch mit Mitarbeiterin Silke Wiesenthal. Bildrechte: MDR/Alexander Reißland

Hier gibt es einige Länder, die diese Investitionskosten übernehmen. Es ist aber auch eine haushälterische Frage und momentan haben wir bei uns im Haushalt nicht die Gelder zur Verfügung um diesen Aufschlag machen zu können.

Heike Werner (Die Linke) Thüringer Ministerin für Soziales

Fakt ist, die Pflegekosten werden weiter steigen. Vielen Bewohnern bleibt möglicherweise nichts anders übrig, als ihr Hab und Gut zu verkaufen und Sozialleistungen zu beantragen. Laut dem Thüringer Gesundheitsministerium liegt der Anteil derjenigen, die "Hilfe zur Pflege" vom Sozialamt bekommen, bei etwa 7.000 bis 7.500 Pflegebedürftigen. Dieser Anteil werde weiter steigen, weiß man auch im Ministerium.

Sozialhilfe zu beantragen, ist im Moment der zweite Plan von Mareike S. Als erstes will sie ihren Vater in einem derzeit noch günstigeren Pflegeheim unterbringen.

Wie stehen Sie zur Debatte um die befürchteten Kostensteigerungen für die Unterbringung in Altenpflegeheimen? Kommentieren Sie mit!

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 22. Juni 2023 | 19:00 Uhr

30 Kommentare

ElBuffo vor 46 Wochen

Ich befürchte, hier wird einiges gehörig durcheinander gewürfelt. Wieviele Pflegeheime sind denn privatisiert worden? Die gesetzliche Pflegeversicherung ist 1995 eingeführt worden, um den Steuerzahler zu entlasten.
Pflegeheime schließen jetzt mit ihren Bewohnern ambulante Pflegeverträge ab? Obwohl es dafür weniger Geld als für die stationäre Pflege gibt? Und die stationären Pflegeeinrichtungen können das einfach so machen? Auch wenn sie Fördermittel für die Errichtung einer stationären Pflegeeinrichtung bekommen haben?

Maria A. vor 46 Wochen

Das ist recht platt argumentiert. Gelenkverschleiß haben auch Ausdauersportler. Und nicht jeder Übergewichtige bekommt Diabetes. Ich kenne Kinder, die sie haben und meine "zuckerkranke Nachbarin", umgangssprachlich ausgedrückt, war gertenschlank. Fakt ist, wer für seinen Lebensunterhalt aufkommt, der zahlt auch in die Krankenkasse ein. Der Staat, auch hier ein irreführender Ausdruck, gerät nur da in die Pflicht, wo keinerlei Eigenfinanzierung vorhanden ist. Also für von Geburt an nicht Leistungsfähige oder in jungen Jahren arbeitsuntauglich gewordene Menschen. Auch Jugendliche, die süchtig werden, sowie alle Erwachsene, die ihr Dasein nicht auf die Reihe kriegen, die liegen dem Staat auf der Tasche. Nicht die, die 40 und mehr Jahre eingezahlt haben. Es kann ja nicht jeder tot umfallen, wenn er das Arbeitsleben beendet. In der DDR nannte man ironischerweise das Sterben vor dem Rentenantritt "Sozialistischer Tod". Ihren letzten Sätzen nach muss man diesen Begriff wohl aktualisieren.

Anni22 vor 46 Wochen

@ Reuter Ich verstehe Sie doch, blos wenn die Leute das Geld nicht haben, dann bleibt ja nur das Sozialamt als Leister. Was soll der Pflegebedürftige + Angehörigen denn tun?

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Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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