Das Altpapier am 20. Dezember 2023: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 20. Dezember 2023 Der MDR reagiert schnell

20. Dezember 2023, 11:20 Uhr

Beim WDR kündigt der Chef seinen Abschied an, der NDR macht schreckliche Musik, und der MDR löscht, mindestens "vorübergehend", einen dubiosen TV-Magazinbeitrag. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Vernau? Hassel? Oder jemand von außen?

Vor zweieinhalb Jahren dürfte Dietrich Leder vermutlich der Erste gewesen sein, der öffentlich darüber spekuliert hat, dass Tom Buhrow vor dem Ende seiner Amtszeit als Intendant beim WDR aufhören wird. In der "Medienkorrespondenz" schrieb er (siehe Altpapier):

"Die zweite sechsjährige Amtszeit von (…) Buhrow (würde) im Juni 2025 auslaufen. Doch es mehren sich Gerüchte, dass Buhrow sein Amt womöglich schon früher aufgeben wird, beispielsweise nachdem er seinen 65. Geburtstag im September 2023 gefeiert hat."

Nun lässt sich sagen: Ungefähr zur Hälfte hatte Leder recht. Buhrow hört nicht ganz so früh auf wie prophezeit, sondern ein halbes Jahr vor Vertragsende. Darüber berichten unter anderem "Tagesspiegel" und FAZ. Letztere zitiert NRW-Medienminister Nathanael Liminski mit folgenden gravitätischen Worten:

"Dass (Buhrow) seinen Rückzug 'so frühzeitig und transparent‘ ankündige, zeuge 'von seinem vorausschauenden Verantwortungsbewusstsein und seinem kooperativen Führungsstil. Er ermöglicht dem Sender damit die sorgfältige und geordnete Suche nach einer geeigneten Nachfolge. Amt und Person in den Dienst der Sache zu stellen - das ist der Geist, den wir für den anstehenden Reformprozess brauchen.'"

Und wer wird den "Reformprozess" dann ab Anfang 2025 anführen? dwdl.de dazu:

"Neben externen Kandidaten finden sich auch WDR-intern Personen, denen Ambitionen auf den Job nachgesagt werden. Dazu gehört allen voran Verwaltungsdirektorin Katrin Vernau, die ja als Interims-Intendantin beim RBB eingesprungen war, sich dort allerdings nicht formell um eine zweite Amtszeit beworben hatte - aber trotzdem erklärte, dass sie gerne weiter gemacht hätte. Sie bringt nun jedenfalls bereits Erfahrung von einem Intendantinnen-Posten mit."

Zumindest Erfahrung im Intendanten-Wahlkampf bringt eine weitere "WDR-interne Person" mit: Tina Hassel, die 2021 schon mal beim ZDF ans Ruder wollte (Altpapier). Ihr Vertrag als Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios läuft Ende Mai 2024 aus.

Band Knuth Aid

Dank "Übermedien" wissen wir von der Existenz einer von NDR-Mitarbeitenden aufgenommenen Version des Charity-Gassenhauers "Do they know it's Christmas", in der sich "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Senders die Freude über den wiedergefundenen Spaß an der Arbeit von der Seele singen", wie Stefan Niggemeier es formuliert. Es geht des weiteren um die, nun ja, Aufarbeitung der jüngeren Senderkrisen und die vermeintlich segensreiche Rolle, die Intendant Joachim Knuth dabei spielte. Verwendung findet in der NDR-Version des Band-Aid-Songs auch in Liedtexten sonst eher nicht zu findender Berater-Spackenjargon ("Firmenkultur", pardon: "Firm'kultur") Das hört sich dann zum Beispiel so an:

"Stimmung war schlecht / Seele braucht Re-Paratur/ Vertrauen war weg / Wir brauchen neue Firm'kultur / Dann unser Chef gab uns den Auftrag / ein wichtiges Signal /gründet schnell 'nen Kulturkreis / ist das genial."

Wer meint, dass das gruselig klingt, sollte sich den im "Übermedien"-Text verlinkten Song anhören. Äh, nein, eigentlich sollte man sich den Song unter gar keinen Umständen anhören. Wie auch immer: Stefan Niggemeier beschreibt das alles recht souverän, aber ich muss an dieser Stelle leider kapitulieren. Jeder in der Geschichte der menschlichen Zivilisation bisher formulierte negative Superlativ ist zu schwach, um dieses Lied angemessen zu beschreiben.

In Sachen MDR-"Umschau"

Der MDR hat am Sonntag den in dieser und in dieser Altpapier-Kolumne aufgegriffenen "Umschau"-Beitrag zum Thema Impfstoffe "vorübergehend" aus der Mediathek entfernt - weil, wie es unter anderem der FAZ mitgeteilt wurde, den Sender viele Fragen und Hinweise erreicht hätten, "die wir derzeit sorgfältig prüfen und einordnen". Dass der am Dienstag vergangener Woche ausgestrahlte Beitrag, in deren Mittelpunkt die "in dubiosen quasi-medizinischen Kreisen" ("Kreuzer") agierende Professorin Brigitte König steht, in einer neuen Fassung noch einmal online geht, kann zumindest ich mir nicht vorstellen. Der lässt sich durch keine Bearbeitung retten.

Hinnerk Feldwisch-Drentrup befasst sich im besagten FAZ-Beitrag ausführlich mit dem MDR-Film und steckt gleich zu Beginn der Rahmen ab, in dem man ihn betrachten muss:

"Während derzeit eine der größten Corona-Wellen viele Menschen krank macht, doch schwere Verläufe dank Impfungen selten sind, versuchen Impfgegner wieder verstärkt, Angst vor diesen zu schüren."

Feldwisch-Drentrup schreibt weiter:

"Auf Anfrage dieser Zeitung verteidigte der MDR seinen Beitrag zunächst – dass König als unabhängige Wissenschaftlerin präsentiert wird, während sie etwa auf Veranstaltungen angeblicher 'Impfausleitungen‘ gesprochen hat, bei denen auch Quacksalber auftraten, hätte nicht thematisiert werden müssen. Sie verfüge 'nach Recherchen der Redaktion' über einen unbefristeten Vertrag mit der Universität Leipzig. Gemeint ist wohl die dortige Uniklinik, doch diese erklärt auf Anfrage, König sei derzeit 'auf eigenen Wunsch unbezahlt freigestellt und daher seit Monaten nicht aktiv im Dienst!‘"

Dass der "Umschau"-Film leider in einer unguten Tradition steht, erwähnt Feldwisch-Drentrup auch:

"Auch zuvor hatte der MDR mehrfach Beiträge zu angeblichen Impfnebenwirkungen veröffentlicht, die sich teilweise als übertrieben herausstellten: Etwa basierend auf einer Untersuchung des früheren Leiters der Krankenkasse BKK Provita, die nicht valide war. Bei einer anderen Sendung über eine Selbsthilfegruppe von Menschen mit Schädigungen durch die Impfungen blieb den Zuschauern zunächst verborgen, dass diese von einer Mitgründerin der Querdenken-Partei 'Die Basis' geleitet wurde."

Eine auf instruktive Weise sehr tief in die Materie einsteigender Beitrag findet sich darüber hinaus dort, wo man es eigentlich nicht erwarten würde: bei der Boulevard-Plattform 20minuten.ch.


Altpapierkorb (Rundfunkfreiheit in Hessen, Pressefreiheit in Ungarn, TikTok-Propaganda aus Russland, "Bulgarisierung" Rumäniens, GOA-Zukunft, "Mittagsmagazin")

+++ Dass der HR kritisiert, dass die tiefschwarz-schwarze Koalition in Hessen dem Sender das Gendern verbieten will, greift ein "Tagesspiegel"-Text auf, der aus epd- und KNA-Material zusammengestellt ist. In dem Artikel heißt es: "Der HR-Rundfunkratsvorsitzende Harald Freiling sagte, er sei über die Passage im Koalitionsvertrag verwundert. Im Rundfunkrat gebe es zum Gendern mit Sonderzeichen in schriftlicher und gesprochener Kommunikation 'ganz unterschiedliche Auffassungen‘, die wiederholt mit den Programmverantwortlichen diskutiert worden seien. Es sei 'jedoch keineswegs Sache der Politik, hier etwas festzulegen. Staatsferne und Rundfunkfreiheit sind auch hier ein hohes Gut'".

+++ Der DJV fordert die EU-Kommission auf, etwas gegen das neue sogenannte Souveränitätsverteidigunsgesetz in Ungarn zu unternehmen, das durch eine, so der Verband, "Zensurbehörde" überwacht werden soll (siehe auch Altpapier von Dienstag). Der Gesetzestext beginne "mit einer Art Verschwörungserzählung", sagt Fabian Mader in einem Beitrag für "@mediasres", in dem es um die Auswirkungen der neuen Regelung auf die Pressefreiheit geht.

+++ Auf die Recherchen zu "einer riesigen russischen Beeinflussungsaktion, an der 12.800 gefälschte TikTok-Konten beteiligt waren, die Desinformationen über den Krieg in der Ukraine an Nutzer in Europa und Israel verbreiteten und Millionen von Aufrufen verzeichneten", weist Marcus Bösch in seinem Substack-Newsletter "Understanding TikTok" hin.

+++ "Übt der Schweizer Medienkonzern Ringier Druck auf zwei rumänische Zeitungen aus, um die Interessen der Glücksspielbranche zu schützen?", lautet ein Satz im Vorspann zu einer verwinkelten Schauergeschichte, die in der "Süddeutschen" erschienen ist, und in der Raimar Wagner von der Friedrich-Naumann-Stiftung mit den Worten zitiert wird, in Rumänien drohe eine "'Bulgarisierung‘ der Medienbranche".

+++ Vorweihnachtliche Mega-Überraschung aus dem Munde des heute schon weiter oben zitierten NRW-Medienministers: Ob der Grimme Online Award (GOA) 2024 pausieren muss (siehe Altpapier von Dienstag), stehe überhaupt noch nicht fest, sagte Nathanael Liminski gestern bei "@mediasres".

+++ Die FAZ blickt voraus auf den Januar, wenn der MDR erstmals das bisher vom RBB verantwortete "Mittagsmagazin" produziert (siehe Altpapier). Helmut Hartung berichtet: "Von Januar an wird die Sendung mit fast zwei Stunden doppelt so lang sein wie bisher. Die Kosten sollen allerdings nicht entsprechend steigen. Wie die MDR-Chefredakteurin Julia Krittian sagte, liege der finanzielle Aufwand jährlich deutlich unter sechs Millionen Euro. Das RBB-Budget betrug für eine Stunde drei Millionen Euro. Einsparungen seien möglich, weil die Redaktion kleiner sei als bisher und nur zwei anstelle von vier Moderatoren eingesetzt würden. Auch stärkere Synergieeffekte innerhalb der ARD und des MDR sowie schlankere Organisationsstrukturen könnten die Kosten reduzieren."

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.

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