Das Altpapier am 30. Januar 2019 Werk ohne Auto

VW lädt Journalisten ein, will sie aber nicht arbeiten lassen. Soll jemand, der seine Texte mit der Machete zuspitzt, zur Bundestagsmedienpreis-Jury gehören? Die Gilets jaunes bringen Frankreichs Medien durcheinander. Eine "False Balance" in Feinstaubfragen wird ausgemacht. Und: Ein lang erwartetes Influencer-Urteil ist da. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Interessant, der große Autokonzern VW lädt Journalisten ein, will ihnen aber dann verbieten, ihre Arbeit zu machen. Handys müssen draußen bleiben wie so Hunde, und selbst Mitschreiben ist nicht gestattet:

"Foto-/Film- und Tonaufnahmen sowie sonstige Aufzeichnungen (auch schriftlich) sind nicht zugelassen. Telefone müssen vor dem Eintritt abgegeben werden."

So stehe es in der Einladung, die VW anlässlich der Vorstellung eines neuen Modells an Medienleute verschickt habe, hat Ulrike Simon inklusive Mail-Screenshot getwittert und bei Horizont dann darüber geschrieben: Informationen über eine Gängelung. Kann es sein, dass eigentlich "Verzieht euch" in dieser Einladung steht?

Simon zufolge sieht der "VW Leiter Corporate Communications" – die Bindestriche sind wieder aus – das Problem dabei nicht. Auch nicht, was an der darüber hinausgehenden "Vorgabe, Artikel vor Veröffentlichung der Presseabteilung vorzulegen und sie von ihr gegebenenfalls ändern zu lassen", nicht in Ordnung sein soll; denn "es könnten auf der Veranstaltung Preisgestaltung oder andere wettbewerbsrelevante Daten genannt und Prototypen gezeigt werden". Auf deutsch: Ideal wäre ein Werk über Superautos, aber ohne Autos.

Man wird gewiss 100 deutsche Lungenärzte finden, die diese Praxis mit vergleichendem Blick auf das sogenannte Hintergrundgespräch, aus dem auch nicht zitiert werden darf, als üblich bezeichnen würden. Die Frage ist aber doch: Warum lädt man Journalisten eigentlich ein, als VW-Konzern? Man könnt’s ja auch einfach lassen, dann würde keiner was sagen.

Journalisten als Übermittler genehmer Informationen und Images, aber auch wirklich nur der genehmen – darum geht es offensichtlich.

Und damit verweist die kleine Geschichte über dieses dreiste Vorgehen auf einen größeren, ziemlich aktuellen Aspekt: Der Wunsch, Journalisten mögen positiv über das eigene Tun berichten, war wohl schon immer verbreitet. Dass sie, wenn sie es womöglich nicht tun, aber entweder nicht willkommen sind oder einfach gleich als Lügner bezeichnet werden, darin steckt Debattengegenwart.

Eine Aufwallung des Tages

Beispiel von gestern:

"'Don Alphonso' ist definitiv einer, der vielleicht nicht wörtlich 'Lügenpresse' ruft, aber trotzdem ständig dieses Narrativ bedient, dass die Presse eben lügen würde. Und zwar dann, wenn sie nicht seinen Vorstellungen entspricht."

Mit dieser Interpretation wird der Blogger/Publizist Michael Seemann bei @mediasres im Deutschlandfunk zitiert. Anlass ist die Berufung von Ex.faz.net-, nun welt.de-Blogger Rainer Meyer aka Don Alphonso in die Jury des Medienpreises des Bundestags (die eigentlich freilich schon im Dezember zu arbeiten begann, wenn man Meyer glauben kann – worüber die Meinungen allerdings ja generell auseinandergehen).

Die einen sagen: Jemand, der "Merkels Medienpaladine" und "Sprechunfähige Systemredakteure" sagt, soll nicht über die Vergabe eines Journalistenpreises mitentscheiden. Ulf Poschardt dagegen etwa, Chefredakteur der Welt-Gruppe, findet die Kritik (bzw. wohl die Deutschlandfunk-Berichterstattung) "dünn, tendenziös und in sachen meinungsfreiheit ein versuch in richtung offenbarungseid".

Ich würd’s mal so wenden wollen: Die besagte Jury ist nicht auffallend einseitig zusammengesetzt, und wer das findet, sollte vielleicht eher mal "Hostile-Media-Effekt" googeln. Dass das Gremium nicht stramm links wäre, scheint das Ärgernis für die Kritiker, denen selbstredend in den entsprechenden sog. DruKos linkes Sektierertum vorgeworfen wird, aber nicht zu sein. Nein, es geht – so lese ich das – eher darum, dass die Berufung von jemandem, der seine Beiträge mit der Machete zuspitzt, als Juror über journalistische Arbeiten, "die zur Beschäftigung mit Fragen des Parlamentarismus anregen und zu einem vertieften Verständnis parlamentarischer Abläufe, Arbeitsweisen und Themen beitragen", etwa so nahe liegt wie die Berufung von Mario Barth in eine Literaturpreis-Jury.

Andererseits: Im Parlament wird ja, zum Beispiel in der laufenden Legislaturperiode, auch nicht nur mit dem feinen Besteck gearbeitet. Insofern ist Meyer eigentlich gar nicht so unrepräsentativ.

Die Gelbwesten im Spiegel der Einschaltquoten

Interessanter ist aber eigentlich, woher das andere, das nicht nur strategisch eingesetzte Misstrauen in Medien kommt, nämlich das der Leut’. Dazu kriegen wir heute Hinweise aus Frankreich, von Jürg Altwegg in der FAZ, der dort die Medienberichterstattung über die Gelbwesten verhandelt.

"Zehn Milliardäre besitzen in Frankreich neunzig Prozent der Tageszeitungen und alle großen Zeitschriften. Ihre Fernsehsender bringen es zusammen auf 55 Prozent Marktanteil – den Rest bestreiten die öffentlich-rechtlichen Programme. Der Begriff eines 'Systems', das von einer 'Elite' zusammengehalten wird, ist nicht ganz falsch."

Dass den Medien und Macron "derselbe Hass" entgegenschlage, hat dann wohl noch eine gewisse Folgerichtigkeit: "Die Politiker und die Redaktionen scheinen von der Revolte überfordert."

Zugleich allerdings gibt es die unterstellte Medien-Politik-Front nicht, die Regierung jedenfalls werfe den Nachrichtensendern vor, "mit ihrer Berichterstattung und Dramatisierung die Revolte verstärkt und die Gewalt gefördert zu haben".

"Die Bewegung der 'Gilets Jaunes'", schreibt die FAZ, "steht für eine neue Epoche in der Geschichte der Revolten wie der Medien. Die Aufständischen organisieren sich über soziale Netzwerke, die Nachrichtensender heizen im Kampf um die Einschaltquoten die Lust an der Zerstörung an."

Hier, im Quotenargument, klingt an, was dann auch, nun wieder zurück in Deutschland, in so vielen Diskussionen über Medien eine Rolle spielt. Publizistische Kriterien sind nicht immer die entscheidenden für Redaktionen. Relevanz und Reichweite werden, weil sie auch nicht trennscharf sind, bei Thematisierungsentscheidungen vermengt.

Die "False Balance" und das Klima

Nachvollziehbar ist das vielleicht auch an der Berichterstattung über das vor einer Woche veröffentlichte Positionspapier des Lungenarztes Dieter Köhler, das von den berühmten 100 weiteren Lungenärzten unterzeichnet wurde. Köhlers Selbstpositionierung als eine Art Systemkritiker verschafft ihm dabei zweifellos Gehör – dass er als Experte auftritt, der nach langer Beschäftigung mit der Materie und einer Saulus-Paulus-Wandlung nun anders denke als der restliche vermeintliche Klüngel, ist eines der Erfolgsrezepte seiner Inszenierung. Dass er bis zum Beweis des Gegenteils nämlich theoretisch Recht haben und dieser vermeintliche Klüngel ein abgekartetes Spiel zum bloßen Nutzen einzelner spielen könnte, bringt ihm die Aufmerksamkeit, die dann per willkommenem Nebeneffekt der Reichweite hilft, aber auch politisch instrumentalisiert werden kann.

Spiegel Online (für das ich auch schreibe) sieht eine "False Balance":

"Köhler und seine Mitunterzeichnenden behaupten (…) etwas, das schlüssig klingt, aber bei näherer Betrachtung fragwürdig ist und nicht weiter belegt wird. (…) 'False Balance' war lange ein Problem der Klimaberichterstattung, bei der einzelnen, vom wissenschaftlichen Konsens abweichenden Meinungen unverhältnismäßig viel Raum gegeben wurde. Manchmal tritt es bei anderen Gesundheitsthemen zutage, bei denen die wissenschaftliche Faktenlage solide ist, aber Gegenstimmen immer wieder viel Gehör finden – wie beim Impfen oder der Homöopathie."

Kurz: Dass Medien nicht nur Mittler, sondern immer auch Player gesellschaftlicher Prozesse sind, ist eh keine neue These, sie ist Fundament praktisch jeder Medienkritik. Aber es wäre schon gut, wenn Journalisten das auch irgendwann mal berücksichtigen würden.

Und weil’s zu einer Debattenklimadebatte gehört: Dass sich ausgewählte Politiker (1, 2) und Journalisten um Kopf und Kragen meinen und sich mit der Position hervortun, dass die anderen eigentlich nur reaktionär/saublöd/verblendet sind, hilft dem Klima jedenfalls auch nicht.

Und die Love Speech?

Immerhin: Es gibt noch happy people auf Instagram, wo die love speech regiert, meine Lieben!

Sie sind jetzt sogar wieder noch happier, denn "(v)or wenigen Tagen hat das Kammergericht Berlin begründet, warum es eine wegen angeblicher Schleichwerbung erwirkte Einstweilige Verfügung gegen Influencerin Vreni Frost einkassiert hat" (Influencer-Leitmedium Horizont).

Worum es dabei ging, stand in unserem 2018er-Jahresrückblick "Die große Werbekennzeichnungsverwirrung": "Moniert wurden etwa im Fall Frost auch Postings, in denen sie selbst gekaufte Produkte vertaggt hatte: Es habe bei den abgemahnten Beiträgen keinerlei Kooperation vorgelegen, sagte sie; sie habe die Marken als redaktionelle Serviceleistung verlinkt." Das Landgericht Berlin hatte erstinstanzlich gegen die Influencerin entschieden.

Nun also die in der Branche erwartete Neubewertung durch das Kammergericht mit dem Ergebnis: Nein, nicht jeder Instagram-Post ist zwangsläufig Werbung, wenn Produkte darin vertaggt werden – sofern ein Influencer mit den dahinter stehenden Unternehmen nicht in einer Kooperation steht. Und muss folglich auch nicht als Werbung gekennzeichnet werden. "Die Richter entschieden allerdings, dass stets der Einzelfall überprüft werden müsse".

Bei Horizont schreibt nun der auf Medienrecht spezialisierte Anwalt Martin Gerecke:

"Viele Fragen sind aber noch offen. Wieviel redaktioneller Bezug zur Verlinkung muss sein – oder darf sein? Wann 'kippt' der Post ins Werbliche? Hier gelten wohl die üblichen Parameter: Kaufempfehlungen, übermäßige werbliche Anpreisungen, Produktslogans und auch die direkte Verlinkung auf Online-Shops sprechen für die Werblichkeit. Bezahlte Postings, die Überlassung von PR Samples oder sonstige Vergünstigungen erst recht. Wann aber ist schon die eigene positive Meinung Werbung? Hier sollten die Gerichte zurückhaltend urteilen."

Alles klar, meine Lieben! Und wir schalten jetzt nochmal weiter zu einer – freilich rein redaktionellen – Eigenwerbung.

Altpapierkorb ("Menschen hautnah", Reporterfabrik, Welt-Chefredaktionen, Öko-Test, "Flirty Dancing")

+++ In einer Bahnhofsbuchhandlung wurde kürzlich ein Magazin namens "Schwerterträger" ausgemacht. Wer genau hinsah, entdeckte ein kleines Hakenkreuz; wer nicht so genau hinsah, sah immer noch einen Wehrmachtsmann als Coverboy. Die Frage, die Übermedien an mich herantrug, war: Stimmt es, was die Bahnhofsbuchhandlung bei Facebook einer Kundin schrieb – dass sie u.a. aus Vielfaltsgründen das nicht indizierte Magazin verkaufen muss? Wer auch nicht wusste, dass Bahnhofsbuchhandlungen eine Sonderstellung im Pressevertriebswesen haben, und was aus dieser Sonderstellung für diese Frage folgt: bitte (frei lesbar derzeit nur für Menschen mit Abo).

+++ In die Diskussion um "Menschen hautnah" (zuletzt am Montag im Altpapier) schaltet sich DJV-Chef Frank Überall mit einem Interview im Tagesspiegel ein: "Die Grenze zwischen Dokumentation und scripted-reality-Formaten ist scharf und eindeutig. Darüber hinaus ist es den Sendern überlassen, durch interne Regeln die Standards hochzuhalten. Denkbar wäre auch, das Zustandekommen einer Dokumentation auf der eigenen Website transparent zu machen."

+++ Die Reporterfabrik ist am Start. Der Standard berichtet, was das ist. Die beteiligten Kollegen von Correctiv eh: "Wir möchten den Weg in eine redaktionelle Gesellschaft begleiten durch die Qualifizierung von Nicht-Journalisten und Journalisten. Die Desinformation hat dramatisch zugenommen. Jede demokratische Gesellschaft braucht jedoch eine funktionierende Öffentlichkeit, sonst ist die freie Meinungsbildung nicht mehr gewährleistet."

+++ Neue Zuständigkeiten in den Chefredaktionen der Welt-Gruppe wurden von Axel Springer vermeldet. Die Welt am Sonntag bekommt etwa mit Johannes Boie einen recht jungen neuen Chefredakteur.

+++ Die SZ schreibt über ein britisches Fernsehformat, "Flirty Dancing". Das – so viel Glaskugel ist vielleicht drin – irgendwann auch in Deutschland laufen könnte.

+++ Ebd.: "Das Verbrauchermagazin 'Öko-Test' soll jahrelang die Auflagenzahlen von Sonderheften geschönt und so Anzeigenkunden beschwindelt haben."

Neues Altpapier gibt es am Donnerstag.