Jazz in der DDR: Zwischen Verfolgung und Förderung

07. Mai 2009, 16:17 Uhr

Ausverkaufte Konzerte, privat angeschobene Jazzfeste mit ausländischen Gästen: Die DDR-Kulturbürokratie beäugte die Jazz-Bewegung mit argwöhnisch.

Jazz war "in" nach dem Ende der NS-Diktatur, in der das Hören von Swing und ähnlicher Musik unter Strafe gestellt war. Der Musikstil begeisterte in Ost und West. Selbst die Sowjetische Militäradministration hatte damit kein Problem. Verbreitet wurde die fetzige Musik vor allem über den Rundfunk, wobei besonders der amerikanische Soldatensender AFN im Osten viele Hörer fand.

Reinhard Lorenz, Leiter des Jazzclubs Eisenach, erinnert sich: "Mein frühes Eisenacher Jazzleben verbrachte ich nahezu allabendlich vor dem Rundfunkempfänger... Der AFN wurde schließlich meine Musikuniversität." Jazz-Experte Rainer Bratfisch kommt in seinem Buch "Freie Töne ­- Die Jazzszene in der DDR" über die 40 Jahre Musikgeschichte in der DDR zu dem Schluss: "Die Position des Jazz schwankte immer zwischen strikter Ablehnung und leiser Anerkennung, mehr oder weniger offener Verfolgung und verschämter Duldung, offener Antipathie und heimlicher Sympathie."

In den 1950ern und 1960er-Jahren dominierte noch das Misstrauen gegen diese Musik aus dem feindlichen Amerika. Wobei es die Stilrichtungen Blues und Dixieland mit ihren Wurzeln im Süden der USA als Musik der unterdrückten Farbigen leichter hatten. Ende der 1960er-Jahre bekannte die Kulturbürokratie endlich: Der Jazz ist Bestandteil der sozialistischen Musikkultur in der DDR. Jazzkonzerte waren grundsätzlich ausverkauft und überfüllt. Auch für Jazzer aus dem Westen ein ungewohntes Phänomen.

Jazzwerkstatt Peitz: Das "DDR-Woodstock" des Free Jazz

Als der Jazz Anfang der 70er-Jahre offiziell anerkannt war, erlebte insbesondere der "Free Jazz" einen enormen Aufschwung. Junge Jazz-Verrückte um Uli Blobel organisierten im verträumten Spreewaldort Peitz eine "Jazz-Werkstatt". Diese entwickelte sich schnell zum Woodstock des DDR-Jazz und wurde auch im Westen berühmt. Blobel gelang es über Kontakte zu westlichen Botschaften in Ost-Berlin englische, schwedische, niederländische und Schweizer Jazzformationen in das verschlafene Nest zu holen. Zu den Open-Air-Konzerten kamen bis zu 3.000 Besucher. Gerade diese Internationalität wurde bei der Kulturbürokratie und dem Sicherheitsapparat argwöhnisch beobachtet, ebenso wie der der private Charakter des Festivals. Im Mai 1982 wurde es nach zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Veranstaltern und Kulturbürokraten verboten. Zwei Jahre später reiste Uli Blobel in die Bundesrepublik aus.

Leipziger Jazztradition

Von internationaler Bedeutung war schon kurz nach dem Weltkrieg das "Tanzorchester Leipzig" (später "Radio Tanzorchester Leipzig") unter Kurt Henkels, das selbst die Berliner von den Stühlen riss: "Es musste erst ein Orchester aus der Provinz kommen, um den Berlinern zu zeigen, wie modern gespielt wird", hieß es im Mai 1948 in der Musikzeitschrift "Melodie".

Der "Sender Leipzig" spielte mit seinen regelmäßigen Jazzsendungen eine wichtige Rolle für die Akzeptanz dieser Musik, aber auch für den Lebensunterhalt der Musiker, die sich ansonsten eher mit leichter Tanzmusik und Schlagern über Wasser halten mussten. Musiker wie Rolf Kühn, der es sogar in den USA zu Ruhm brachte, oder Fips Fleischer als "King of Swing" waren auch den Jazzfans im Westen ein Begriff.

Als der Jazz Anfang der 70er-Jahre von den SED-Kulturbürokraten akzeptiert wurde, brachte das frischen Wind in die Leipziger Szene. 1973 gründete sich der Jazzclub Leipzig und gedieh als Freundeskreis innerhalb des Kulturbundes. Ab 1976 wurden die "Leipziger Jazztage" ausgetragen - zuerst in einem Kinosaal, 1978 bereits in der repräsentativen "Kongresshalle". Verstärkt traten auch Musiker aus Ost- und Westeuropa auf. Die "Leipziger Jazztage" wurden so erfolgreich gerade auf dem Gebiet des zeitgenössischen Jazz, dass sie auch die Wende überstanden.

Manfred Krug und die Jazz-Optimisten

"Der Boy und das Girl, die lieben den Hot und meiden die Deppen von der FDJ" lernte Manfred Krug von einem Mitschüler - und verfiel dem Jazz. Ende der 50er-Jahre trat er erstmals in Berlin auf. 1962 vertrat er die DDR beim Jazzfestival in Prag. Legendär war seine Formation "Die Jazzoptimisten", in der er zusammen mit der "First Lady of Jazz" in der DDR, Ruth Hohmann, auftrat und eine wichtige Rolle für das Revival des Dixieland in der DDR spielte. Seine Platten erreichten Auflagen, von denen mancher Schlagersänger träumte. Die Formation löste sich in den 70er-Jahren auf, Krug verließ nach seinem Protest gegen die Biermann-Ausweisung die DDR. Nach der Maueröffnung startete er wieder Jazz-Tourneen im Osten, die immer noch die Säle füllen.

Das Ende der "Sonderrolle"

Mit dem Mauerfall 1989 endete die Sonderrolle des Jazz in der DDR: "Denn mit der Wende", so Jazzexperte Rainer Bratfisch, "kam den Musikern nicht nur die Infrastruktur abhanden, sondern auch der Teil des Publikums, für den sie vier Jahrzehnte Ersatz für Miles Davis, John Coltrane und Duke Ellington gewesen waren."

Für viele DDR-Jazzer, die sich bis zur Wende vor Auftritten kaum retten konnten, kam ein tiefes Loch. Fips Fleischer erinnerte sich später: "Wenn man ein Leben lang erfolgsgewohnt ist, muss man damit erst mal fertig werden, nicht gefragt zu sein". Und dennoch fand der Jazz wieder seinen festen Platz im Musikleben. In Eisenach ist durch eine großzügige Schenkung das zweite deutsche Jazzmuseum neben Darmstadt entstanden. In Leipzig ziehen die Jazztage Jahr für Jahr viele Fans an, und die Begeisterung für das Dixielandfestival in Dresden ist ungebrochen.