Neustadt an der Orla, 1970 Das kurze Leben des Neustädter Klaus-Renft-Fanklubs

26. Februar 2010, 13:24 Uhr

Im thüringischen Neustadt hatte sich 1970 ein Fanklub der Leipziger Klaus-Renft-Combo gegründet. Doch die Staatssicherheit duldete nicht, dass sich Jugendliche unabhängig von der FDJ ihre Freizeit selbst organisieren.

Das ganze Faschingswochenende hatten langhaarige Jugendliche in Neustadt an der Orla gefeiert. Sogar am Faschingsumzug, dem Höhepunkt der Saison, hatten sie teilgenommen Trotz des närrischen Treibens in der Stadt war der Polizei die "dekadente Lebensweise" der Jugendlichen in "auffälliger Kleidung" nicht entgangen.

Wer ist Klaus Renft?

In der Kreisstadt Pößneck legte die Kriminalpolizei Anfang März 1970 die Kriminalakte B 157/70 an. Das "Gruppenermittlungsverfahren" lief unter dem Kennwort: "Klub". In den kommenden drei Monaten wurden aus schlichten Musikfans gefährliche Kriminelle gemacht, die mit geheimdienstlichen Methoden observiert wurden. Polizei und Staatssicherheit schmiedeten sogenannte "Operativpläne". Schnell waren einige Namen von Klub-Mitgliedern aktenkundig. Und auch der Name des Klubs war bald ausgekundschaftet: "Klaus-Renft-Klub". Doch wer ist dieser "Klaus Renft"?

Nach und nach wurde den Ermittlern klar, dass sich die Neustädter Beatfans nach der Leipziger Klaus-Renft-Combo benannt hatten. Die Pößnecker Polizisten fragten in Leipzig nach. Die beunruhigende Antwort kam noch am gleichen Tag per Fernschreiben: "Auf Grund ihrer wilden Musik hat sie in Leipzig einen großen Anhang, der keinen positiven Eindruck macht." Wenig später hieß es noch: "Diese Kapelle ist äußerst schlecht beleumdet in Leipzig".

Nicht zu viel Alkohol und keine Schlägereien

Die Renft-Fans in der Provinz waren gut organisiert: Es gab eine gewählte Leitung mit Stellvertretern und Kassierern. Mitglieder hatten Ausweise mit Passbild. Die Treffen, die etwa alle 14 Tage stattfanden, wurden protokolliert. Der Monatsbeitrag betrug vier Mark. Für Lehrlinge kostete die Mitgliedschaft nur die Hälfte. Mit dem Geld sollten gemeinsame Reisen und Partys finanziert werden. Sogar eine Art Ehrenkodex hatten sich die Renft-Fans gegeben: Nicht in der Öffentlichkeit auffallen, in Tanzsälen ordentlich auftreten, nicht zu viel Alkohol trinken und Schlägereien aus dem Weg gehen. Die Treffen waren Pflicht. Wer dreimal fehlte, wurde aus dem Klub ausgeschlossen. Alle Mitglieder hatten das Statut unterzeichnet.

Eine Rockparty im Dorfgasthof

Anfang Mai schrillten bei der Kriminalpolizei die Alarmglocken: Die Renft-Fans planten eine Party! Die Feier sollte in der Gaststätte "Zur Friedenseiche" in Lausnitz bei Neustadt stattfinden. Die Party war als Geburtstagsfeier angemeldet. Die Überwachung der Feier wurde von der Polizei generalstabsmäßig geplant. Fotoapparate wurden im Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr in Stellung gebracht. Der zuständige Abschnittsbevollmächtigte wurde angewiesen, "keinerlei Maßnahmen in Lausnitz gegen die Jugendlichen durchzuführen". Auffällig unauffällige Beobachter schlichen durch das Dörfchen.

Etwa 70 Jugendliche kamen am 8. Mai 1970 in den Dorfgasthof. Sogar aus Weimar, Jena und Halle waren Beatfans angereist, berichtete ein Spitzel. Die Clubmitglieder kontrollierten die Zugänge des Gasthofes und kassierten drei Mark Eintritt. Mädchen kamen schon für zwei Mark rein. Die Dorfjugend musste draußen bleiben. Offenbar ließ der Wirt den Jugendlichen freien Lauf. Eine Neustädter Kapelle spielte.

"Keine antidemokratischen Vorkommnisse"

Im Dorf kursierten Gerüchte: "Bei der Veranstaltung soll es auch zu Ausschreitungen gekommen sein. So habe man zum Beispiel barfuss getanzt." Der eingeschleuste Spitzel berichtete, dass es bei der Party nicht um Politik gegangen sei. Nur die Beatmusik und Mädchen hätten im Mittelpunkt gestanden. Obwohl bereits 01:00 Uhr Polizeistunde war, spielte die Kapelle noch weitere 30 Minuten. Nach dem Tanz durften die Jugendlichen im Saal übernachten. Die Polizei protokollierte das anschließende Gerücht: "Man hätte dort ein sagenhaftes 'Massenficken' veranstaltet." Beruhigt fassten die Ordnungshüter zusammen: "Ansonsten sind keine antidemokratischen Vorkommnisse zu verzeichnen." 05:00 Uhr wurde die Beobachtung beendet.

Der Fanklub soll aufgelöst werden

Nach der Feier in Lausnitz war das Maß voll. Der Erste Sekretär der SED-Kreisleitung wurde informiert. Dann griff die Polizei durch. Sie wollte nicht länger dulden, dass Jugendliche unabhängig von der FDJ ihre Freizeit selbst organisieren. Der Auftrag lautet deshalb: "Völlige Aufklärung der Gruppierung und Auflösung mit Einleitung staatlicher und gesellschaftlicher Erziehungsmaßnahmen". Doch mit welcher Begründung konnte der Fanklub zerschlagen werden? Schließlich war die Klaus-Renft-Combo nicht verboten. Nun suchte die Staatsmacht nach Vorwänden. Gegen zwei Mitglieder wurden Ermittlungsverfahren wegen Staatsverleumdung und Arbeitsbummelei eingeleitet. Ein weiterer Vorwurf lautete Gründung einer Gruppierung.

Ende Mai hatte die Polizei die Liste mit allen 31 Klubmitgliedern ausgewertet. Darunter war auch ein Mitglied der FDJ-Kreisleitung. Die Ermittler machten noch eine weitere Entdeckung: Auf der Liste standen die Söhne eines Abschnittsbevollmächtigten und eines Volkspolizisten. Offenbar hatte Klaus Renft Anhänger mitten in der sozialistischen Gesellschaft.

"Individuelle Umerziehungsmaßnahmen"

Nun wurde der Fanklub zerschlagen: Ein Mitglied kam ins Gefängnis. Drei Klubmitglieder befanden sich bereits wegen anderer Vorwürfe in Haft. Gegen zwei weitere Mitglieder, die gerade bei der Armee waren, wurden "spezifische Maßnahmen eingeleitet". Bei den anderen begnügte sich die Polizei mit "individuellen Umerziehungsmaßnahmen". Am 18. Juni 1970 wurde die Kriminalakte "Klub" geschlossen und archiviert. Fünf Jahre später wurde die Klaus-Renft-Combo selbst verboten. Die DDR-Behörden erklärten die Band für "nicht mehr existent". Klaus Renft verließ 1976 die DDR und reiste nach Westberlin aus.