Geschichte der Domowina Jedes Sorbenherz ein Fels

09. Juli 2020, 12:45 Uhr

Sorbische Traditionen wie das Osterreiten oder die Vogelhochzeit sind vielen bekannt, doch wer weiß, dass es eine eigene sorbische Hymne und Flagge gibt? Als im Oktober 1912 im Hoyerswerdaer Ballhaus die Vertreter aus 31 sorbischen Vereinen den Dachverband Domowina als ein Bollwerk gegen den zunehmenden Germanisierungsdruck gründeten, ahnte niemand, wie vehement sie ihre Sprache und Kultur in den nächsten Jahrzehnten würden verteidigen müssen. Matthias Körner taucht in seinem Feature in die Geschichte ein, erzählt aber auch von den Kämpfen heute in der Lausitz.

Um ihre Existenz kämpfen mussten sie von Anbeginn: Etwa um das Jahr 600 kamen die Sorben oder Wenden - wie die Franken, Germanen oder Römer sie nannten - im Zuge der Völkerwanderung von Osten. Friedlich besiedelten verschiedene slawische Stämme das Gebiet zwischen Ostsee und Erzgebirge. In der heutigen Ober- und Niederlausitz ließen sich die Milzener und Lusizer nieder. In Folge der deutschen Ostexpansion im 10. Jahrhundert wurden die slawischen Stämme unterworfen. Nur in der Lausitz behüteten sie ihre Kultur und ihre Sprachen.

"Die schlechteste aller Nationen"

Mit der Reformation wurden 90 Prozent der Sorben evangelisch, obgleich Martin Luther sie als "die schlechteste aller Nationen" angefeindet hatte. 1548 wurde Luthers Fassung des Neuen Testaments ins Sorbische übertragen. Es war die erste Übersetzung in eine andere Sprache überhaupt und zugleich die Geburtsstunde der sorbischen Schriftsprache. Nur die zum Bautzener Domstift und dem Kloster Marienstern gehörenden Ländereien blieben damals katholische Enklaven.

Kloster Marienstern in Panschwitz-Kuckau
Kloster Marienstern in Panschwitz-Kuckau Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Während der Kurfürst in Brandenburg 1667 "die gänzliche Abschaffung derer wendischen Prediger" anordnete und alle sorbischen Bücher und Manuskripte vernichten ließ, setzten sich in der Oberlausitz Vertreter der pietistischen Bewegung, zu denen auch der Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, Graf Zinzendorf, gehörte, für die Verbreitung religiöser Schriften in sorbischer Sprache ein. Im Ringen der beiden Konfessionen subventionierten die protestantisch dominierten Oberlausitzer Landstände von 1668 bis 1728 sogar die Herausgabe sorbischer Kirchenbücher. Die katholische Seite hielt dagegen. Dabei ging es jedoch nicht um Bildungsförderung, sondern vorrangig um Einflussnahme.

Seit dem Wiener Kongress 1815 gehörten große Teile des sorbischen Siedlungsgebietes nicht mehr zu Sachsen, sondern zu Preußen. Die territoriale Aufsplitterung erschwerte die Bildung einer Nation zusätzlich, nachdem das kleine westslawische Volk schon durch das Glaubensbekenntnis und zwei verschiedene Schriftsprachen geteilt war – das Obersorbische, das dem Tschechischen näher steht, und das Niedersorbische, das enger mit dem Polnischen verwandt ist.

Sorbische Wiedergeburt

Als die sorbische Sprache im 19. Jahrhundert zu verstummen drohte, riefen Männer wie der Philologe, Schriftsteller und Verleger Jan Arnošt Smoler eine Bewegung ins Leben, die "Serbske wozrodzenje", auf deutsch "Sorbische Wiedergeburt". Getragen wurde sie vor allem von Pfarrern und Lehrern. Smoler gründete 1847 in Bautzen den sorbischen Kultur- und Wissenschaftsverein Maćica Serbska. In der Folge bildeten sich zahlreiche Kultur-, Gesangs-, Lehrer- und Wirtschaftsvereine, evangelische und katholische sorbische Vereine. 1880 kamen die niedersorbische Schwester der Maćica Serbska und 1888 der sorbische Bauernverband hinzu.

Einigkeit macht stark

Immer wieder gab es Versuche, die Zersplitterung der Vereine zu überwinden, auch um ein größeres politisches Gewicht zu bekommen. Aber erst 1912 gelang es schließlich. Zwischen Struga und Satkula, in Wojerecy, zu deutsch Hoyerswerda, trafen sich am 13. Oktober 60 Vertreter aus 31 Vereinen, um einen gemeinsamen Dachverband zu gründen. Hoyerswerda war damals ein kleines Ackerbürgerstädtchen, das an der Grenze von Sachsen und Preußen sowie von Ober- und Niederlausitz lag und damit "Brückencharakter" hatte. Domowina, der Name der neugegründeten Organisation ist ein sorbisches Wort für Heimat. Und Heimat ist für die überwiegend in der Lausitz lebende slawische Minderheit in Deutschland von jeher etwas Bedrohtes, Schützenswertes. Wurde die Zahl der Sorben um 1890 noch auf etwa 160.000 geschätzt, so wird sie heute mit 60.000 angegeben.

Eine Geschichte von Aufbegehren und Anpassung

In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gelang es der Domowina, sich als Organisation zu erneuern, und es war auch ihr Verdienst, dass in der Weimarer Verfassung immerhin das Lippenbekenntnis stand:

… die fremdsprachigen Volksteile des Reiches dürfen durch die Gesetzgebung und Verwaltung nicht in ihrer freien volkstümlichen Entwicklung, besonders nicht im Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht sowie bei der inneren Verwaltung und der Rechtspflege beeinträchtigt werden.

Aus der Weimarer Verfassung

Im Nationalsozialismus wurde die sorbische Sprache verboten und das sorbische Volk für biologisch minderwertig erklärt. Zugleich waren die Sorben praktisch Staatsbürger des Deutschen Reiches und als solche ins System integriert. Dennoch gab es Pläne des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, in Polen eine "minderwertige Bevölkerung", gemeint waren auch die Sorben oder Wenden, als "führerloses Arbeitsvolk" anzusiedeln. Die Kriegsniederlage bewahrte sie davor.

Schon zwei Tage nach der deutschen Kapitulation gründete sich die Domowina in der Oberlausitz am 10. Mai 1945 in Crostwitz neu. Zunächst gab es Bestrebungen eines Wendischen Nationalausschusses, die Lausitz in die Tschechoslowakei einzugliedern. Vielen Sorben schien das durchaus erstrebenswert nach den Erfahrungen im Nazideutschland. Die SED musste dagegenhalten. Die Förderung der sorbischen Sprache und Kultur wurde zunächst in den Verfassungen der Länder garantiert, die Gleichberechtigung dann auch mit Gründung der DDR 1949 in der Verfassung des Arbeiter- und Bauernstaates verankert. 1958 gründete sich der Domowina-Verlag als Volkseigener Betrieb in Bautzen.

Politisch wurde die Domowina entschärft, man gliederte sie in die Nationale Front ein, ihre Funktionäre waren Mitglieder der SED. Das Bild der Sorben wurde auf ihre Trachten und Osterbräuche reduziert. Ihre Identität stand indessen erneut auf dem Spiel. Die Braunkohlen-Tagebaue der Lausitz verschlangen über die Jahre rund 100 sorbisch besiedelte Dörfer. Die Bewohner wurden einfach umgesiedelt, etwa in Hochhäuser der Stadt Spremberg, wo schnell jede sorbische Identität verloren ging. Autoren wie Kito Lorenc thematisierten dies.

Nach der politischen Wende

Mit der politischen Wende von 1989 tauchten die alten Forderungen nach einer Autonomie der Lausitz wieder auf. Am Ende blieb die Domowina und wandelte sich von einer zentralistischen Organisation zurück in einen Dachverband sorbischer Vereine, gefördert aus den Mitteln der "Stiftung für das sorbische Volk". Diese wiederum wird gemeinsam von Sachsen, Brandenburg und dem Bund finanziert.

Heute leben in den Gegenden um Bautzen und Cottbus etwa 60.000 Sorben. Neben der Domowina ist das weltweit einzige Institut für Sorabistik in Leipzig mit seinen Forschungen und Ausbildungsprogrammen unverzichtbar, um die sorbische Sprache und Kultur lebendig zu halten. Radioprogramme von MDR und rbb unterstützen dieses Anliegen. Das Ringen um politischen Einfluss und damit auch um Mittel, die das Überleben sichern, dauert an.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 07. März 2020 | 19:30 Uhr