Erstklässler während des ersten Unterrichts in Dresden, 1989
Erstklässler während des ersten Unterrichts in Dresden, 1989 Bildrechte: imago/Bernd Friedel

Bildung im Sozialismus Das Schulsystem der DDR

11. Januar 2022, 10:29 Uhr

Mit der Errichtung der sowjetischen Besatzungszone begann auch eine grundlegende Umgestaltung des Schulwesens. Unter dem Ministerium für Volksbildung wurde schrittweise ein sozialistisches Bildungssystem aufgebaut.

Schulreform nach dem Krieg

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte in der Sowjetischen Besatzungszone im Herbst 1945 eine grundlegende Umgestaltung des vom Nationalsozialismus geprägten Schulwesens. Unter den Schlagworten Antifaschismus, Beseitigung von Bildungsprivilegien, Aufbau eines einheitlichen Schulsystems, Trennung von Schule und Kirche, Abschaffung von Privatschulen, Bildung eines neuen Lehrkörpers sowie Ausarbeitung neuer Lehrpläne und Lehrbücher versuchte man mit dem "Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule", welches nahezu gleichlautend im Mai/Juni 1946 von den einzelnen Länderparlamenten verabschiedet wurde, das Bildungswesen zu reformieren.

Orientierung an Sowjetpädagogik

Waren die Vorstellungen vieler Schulpraktiker zunächst von den Ideen der Weimarer Reformpädagogik geprägt, erfolgte unter dem Einfluss der SED, die auch im Bildungsbereich alle wichtigen Positionen besetzte, eine zunehmende Orientierung an der Sowjetpädagogik. Nachdem bereits zahlreiche Lehrer (bis zu 80%) im Zuge der Entnazifizierung vom Schuldienst suspendiert worden waren, trieb diese Sowjetisierung des Schulwesens weitere qualifizierte Altlehrer, die ihre Ausbildung in der Weimarer Zeit absolviert hatten, aus Schuldienst und Verwaltung. Somit lag das neue Schulwesen in seiner alltäglichen Schulpraxis schon zu Beginn 1945/46 weitgehend in der Hand wenig qualifizierter Neulehrer.

Ab 1948/49 galt dies auch für die Schulverwaltung, die nun überwiegend bei SED-treuen Kadern lag, denen es teilweise an jeglicher pädagogischer Vorbildung mangelte. Dies führte unter anderem dazu, dass ab es ab 1948/49 häufig schulpolitische Kursänderungen gab. In ihrer Widersprüchlichkeit können sie als Indiz für die Unsicherheit auf dem Weg zur sozialistischen Schule angesehen werden. Durch den Mangel an Lehrern, konnte in den ersten Jahren vielfach kein regelmäßiger und vollständiger Unterricht erteilt werden.

Einführung der Zehnklassenschulen

Zunächst sollten alle Schüler eine achtjährige Grundschule besuchen, an die sich dann entweder eine Berufsausbildung oder der vierjährige Besuch der Oberschule zur Erlangung der Hochschulreife anschloss. Allerdings bestimmten gerade auf dem Land noch mehrere Jahre Ein- oder Zweiklassenschulen das Bild, in denen Grundschüler allen Alters in einer oder zwei Klassen von nur einem oder zwei Lehrern in allen Fächern unterrichtet wurden.

Nachdem bereits am 1.9.1951 erste Zehnklassenschulen eröffnet und ab 1956 als Mittelschulen bezeichnet wurden, erlangten diese mit dem am 2.12.59 von der Volkskammer verabschiedeten "Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der DDR" als Polytechnische Oberschulen (POS) Pflichtschulcharakter. Zwar wurde mit dem polytechnischen Unterricht auf reformpädagogische Wurzeln zurückgegriffen, doch die darin durchaus enthaltenen Potenzen wurden durch die starre Reglementierung weitgehend verschenkt.

Die Erweiterte Oberschule (EOS)

Zur Erlangung des Abiturs war ein vier-, später zweijähriger Besuch der Erweiterten Oberschule (EOS) vorgesehen, die zunächst in drei Zweige untergliedert war: den neusprachlichen Bereich mit erweitertem Russischunterricht, Englisch und wahlweise Französisch oder Latein; den naturwissenschaftlich-mathematischen Bereich mit schwerpunktmäßigem Unterricht in Mathematik, Physik und Chemie bei reduziertem Sprachunterricht und den an nur wenigen EOS existierenden altsprachlichen Zweig mit umfangreichem Latein- und Griechischunterricht. Letzteres Modell wurde im Verlauf der Einführung und weiteren Ausgestaltung eines sozialistischen Bildungssystems nach und nach wieder aufgegeben.

Begründung eines "einheitlichen sozialistischen Bildungssystems"

Nach Auffassung der marxistisch-leninistischen Pädagogik war die Herausbildung eines sozialistischen Bewusstseins bei allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die entscheidende Voraussetzung für den erfolgreichen Aufbau des Sozialismus/Kommunismus. Dementsprechend erfolgte in den 60er Jahren die Formierung des gesamten Bildungswesens der DDR zu einem geschlossenen System, indem seine einzelnen Bestandteile von der Vorschulerziehung bis zur Universität strukturell und inhaltlich so aufeinander abgestimmt wurden, dass sie im Ganzen ein "einheitliches sozialistisches Bildungssystem" darstellten. Ziel, Inhalt und Aufbau dieses Bildungswesens fixierte das am 25.2.1965 von der Volkskammer verabschiedete "Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem", in dem es u.a. heißt:

Das Ziel in allen Bereichen des Bildungssystems ist eine hohe Bildung des ganzen Volkes, seine allseitige Bildung und Erziehung, seine Befähigung, das gesellschaftliche Leben bewusst zu gestalten, die Natur zu verändern und ein erfülltes Leben zu führen. Dieses Ziel eint den sozialistischen Staat und alle gesellschaftlichen Kräfte in gemeinsamer Bildungs- und Erziehungsarbeit.

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Zwar sicherte dieses Gesetz jedem Bürger das gleiche Recht auf Bildung zu, doch das darin festgeschriebene systematische Aufeinanderbezogensein aller Einrichtungen des Bildungswesens und deren kalkuliertes Ineinandergreifen ließ dieses System gleichzeitig zum Kernstück einer "Erziehungsdiktatur" werden. Die wichtigsten Etappen des sozialistischen Bildungssystems waren die allgemeinbildenden POS, die Betriebsberufsschulen (BBS) und die zur Hochschulreife führende EOS. Zusätzlich existierten Spezialschulen, Sonderschulen für Kinder mit physischen oder psychischen Besonderheiten, zahlreiche Fachschulen, Ingenieurhochschulen (IHS) sowie Pädagogische-, Technische und Landwirtschaftliche Hochschulen und Universitäten.

Elterninitiative gefragt

An der Schulerziehung insgesamt wirkten auch die Eltern über ihre Vertretungen (Elternbeirat als Vertretung der Elternschaft der Schule, Elternaktiv als Vertreter der Elternschaft einer Klasse) bedingt mit und erfüllten damit eine wichtige schulpolitische Funktion. So wurden sie zumindest formal in die Erziehungs- und Bildungsarbeit der Schule einbezogen. Außerdem übernahmen sie in beachtlichem Umfang die Organisation von Klassen- und Schulveranstaltungen und halfen teilweise auch (je nach Ausbildung und Stellung der Eltern) an der Verbesserung der materiell-technischen Bedingungen der Schulen mit.

Doch auch in Sachen Elternvertretung machte die SED ihren Einfluss geltend: SED-Mitglieder hatten besonders aktiv zu sein und in allen wichtigen Entscheidungsprozessen die Zügel in der Hand zu halten, oftmals wurden Probleme in "Genossenelternversammlungen" vorgeklärt.

Regionale Volksbildungsorgane

Die Aufsicht und Kontrolle über das Schulwesen oblag den jeweiligen regionalen Volksbildungsorganen, die wiederum dem Ministerium für Volksbildung gegenüber verantwortlich waren. In den Räten der Bezirke/Kreise waren von den Volksvertretungen gewählte Bezirks- und Kreisschulräte tätig, die den örtlichen Volksbildungseinrichtungen vorgesetzt waren. Ihnen standen zur Unterstützung hauptamtliche Schulinspektoren zur Seite sowie Fachberater für jeweils ein Unterrichtsfach. Für die pädagogische Forschung war in erster Linie die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften verantwortlich, die allerdings einige Aufgaben den Universitäten und Hochschulen übertrug.

Licht- und Schattenseiten der Bildungspolitik

Die positiven Ergebnisse der Bildungspolitik lagen v.a. darin, dass Ende der 80er Jahre 90% aller Berufstätigen eine abgeschlossene Berufsausbildung hatten und ca. 1,7 Mio. Werktätige (ca. 22%) eine abgeschlossene Hoch- oder Fachschulausbildung vorweisen konnten. Andererseits war das proklamierte Recht auf Bildung eines der wirksamsten Disziplinierungsinstrumente des Staates, denn es gab keine Möglichkeit dieses Recht einzuklagen oder mit anderen Rechtsmitteln durchzusetzen. Allerdings ergaben sich teilweise aufgrund wechselnder Amtsinhaber und unterschiedlicher persönlicher Einstellungen gelegentlich Freiräume und Auslegungsvarianten: Nicht jeder Direktor oder Parteisekretär war willfähriger Vollzugsbeamter des Volksbildungsregimes, was jedoch nichts daran änderte, dass politische Renitenz oder gar offene oppositionelle Haltung Grund genug waren, die individuelle Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeit einzuschränken.

Unterrichtsalltag und "staatsbürgerlicher Disziplin"

Der Unterricht selbst war häufig didaktisch stark formalisiert. Dies war letztlich die Folge der starren, Gesetzescharakter tragenden Lehrpläne in Verbindung mit dem jeweiligen Fach-Lehrbuch, der Lehrerausbildung und der durch Pädagogen erarbeiteten Tafelbilder und Unterrichtshilfen, die detailliert jeden Unterrichtsschritt der einzelnen Stunden vorgaben.

Dem oftmals stimmigen Lehrer-Schüler-Verhältnis und den teils freundschaftlichen Bindungen stand stets eine erzwungene ideologische Indoktrination gegenüber, die v.a. in den Oberklassen der POS und an den EOS als penetrant und unglaubwürdig empfunden wurde. Wenn selbstbewusste und zu gesellschaftlicher Aktivität bereite Schüler ideologische Phrasen hinterfragten, stießen sie schnell an politisch gesetzte Grenzen, die weder sie noch die Lehrer zu überschreiten wagten. Damit entstand ein schwer zu durchschauendes, instabiles Gemisch aus Auflehnung gegen Heuchelei und Bevormundung, aus ironischer Verachtung aber auch erzwungener (auch selbst auferlegter) und demütigender Anpassung an unausweichliche Zustände und vorgeschriebene Bildungsgänge. Die Schule war letztlich auf den fortschreitenden Aufbau des Sozialismus und den Machterhalt der SED ausgerichtet, weshalb die Erziehung der Jugend zu "staatsbürgerlicher Disziplin" stets Vorrang hatte.

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