Ein Mann neben einem selbstgebauten U-Boot.
In Thüringen baut Ulrich Kujat in seiner Garage ein Ein-Mann-U-Boot. Doch ihm gehen die benötigten Materialien aus. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Geheime Mini-U-Boote in der DDR Spektakulärer Fluchtversuch über die Ostsee

22. Mai 2023, 11:42 Uhr

Mit technischem Geschick und Erfindergeist, vor allem aber großem Mut bauen DDR-Ingenieure heimlich Ein-Mann-U-Boote für die Flucht auf dem "Unterwasserweg". Einer von ihnen ist der Schiffselektroniker Walter Gerber aus Rostock. Er entwickelt und baut in seiner Garage eines der wenigen Unterwasserfahrzeuge in der DDR-Fluchtgeschichte. Die SED-Justiz verurteilt ihn dafür zu einer drakonischen Strafe.

Weil die Stasi ihn erpresst, will Walter Gerber die DDR verlassen. Mit einem Gefährt, auf das die DDR-Grenzer nicht vorbereitet sind, will er durch die Ostsee entkommen. Die Idee vom Ein-Mann-U-Boot entsteht.

So baut der Ingenieur 1979 in einjähriger Bauzeit das Unterwasserfahrzeug samt Kanzel, um damit die DDR zu verlassen. Als "Werft" dient ihm dafür seine Garage in der Rostocker Südstadt. Alle Einzelteile für sein U-Boot kauft er sich in DDR-Handelsgeschäften zusammen. Das Wissen für dieses besondere Fahrzeug, dessen Bau ja geheim bleiben musste, eignet er sich aus Zeitschriften für Militärtechnik und Mechaniker an. In der Nacht des 13. August 1980 ist es soweit: Er testet sein U-Boot an der Badestelle "Schnatermann" in der Nähe des Volksmarine-Stützpunktes der 4. Flottille in Hohe Düne/Warnemünde. Weil ihm aber Wassereinbruch Probleme bereitet und auch an der Steuerung etwas nicht einwandfrei funktioniert, muss er morgens um vier im Schutze der Dunkelheit seine Tauchversuche abbrechen. 

Fluchtversuch über die Ostsee

Küsten an der Ostsee
Oben ruhige See, während unter Wasser die Flucht gelingt. Das war der Plan, der nicht funktioniert hat. Bildrechte: IMAGO / Zoonar

Gerber verbessert sein U-Boot weiter. Am 26. August riskiert er im Achterwasser der Insel Poel seine Unterwasserfahrt in die Freiheit. Die Ablandung am Strand vor Stove klappt. Unentdeckt flutet er das Fahrzeug bis zur Kanzel, damit es schwerer wird und unter Wasser fahren kann. So erreicht er das offene Meer. Für die Luftzufuhr hat der Ingenieur ein Atemventil in der Kanzel verbaut und eine Gesichtsmaske verbunden. So weit, so gut. Doch das Boot fährt im Kreis. Bereits nach fünf Kilometern kippt es schließlich nach Versagen der Steuerung im leichten Wellengang um. Gerber kann sich befreien, aber seine Unterwasserflucht misslingt. Er flutet sein U-Boot, um es zu versenken. Teile seines Gefährts werden von Grenzern bereits am Abend beobachtet, aber zunächst nicht ernst genommen. Ostseeurlauber finden die Reste des Bootes schließlich am Morgen und informieren die Polizei. Doch wer der Fahrer oder gar Erbauer des Bootes ist, bleibt zunächst unentdeckt.

Grenzstrand 9 min
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9 min

Tagsüber badete man am Strand. Doch nachts galt er als Sperrzone, teils bewacht und mit Scheinwerfern abgesucht. Viele Fluchten starteten in den Dünen.

Mo 06.07.2009 22:05Uhr 09:00 min

https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/videowand/video-128458.html

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Video

Stasi tappt im Dunklen - zunächst

Ein selbstgebautes U-Boot in einem Museum.
Anfang der 1990er-Jahre wird ein ähnliches U-Boot Marke Eigenbau im Heimatmuseum in Greiz ausgestellt. Dieses Gefährt hatte Ulrich Kujat gebaut. Sein U-Boot verstaubt in der Garage, bis die Stasi es entdeckt. Vier Jahre sitzt Kujat dafür im Gefängnis, ohne die Flucht je versucht zu haben. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Polizei und Staatsicherheit ermitteln in alle Richtungen. Zunächst aber bleibt der Fall ein Rätsel. Selbst MfS-Chef Mielke erkundigt sich nach dem Verlauf der Ermittlungen zu diesem spektakulären Fluchtversuch. Um herauszufinden, ob das U-Boot fahrtauglich ist und weil der Konstrukteur unauffindbar bleibt, steigt das MfS selbst ins Boot. Unter Aufsicht eines Diplomphysikers und des Leiters der technischen Untersuchungsstelle testet ein Expertenteam des Instituts für Schiffbautechnik Rostock die Seetauglichkeit über und unter Wasser sowie Bauweise und Baustoffe des Gefährts. 

Gerbers U-Boot wird von der Stasi schließlich für fahrtauglich erklärt. Nach eingehender Prüfung stellen die Fachleute fest, dass es sich allerdings nur zur Fahrt einer Person im teilgetauchten Zustand eignet. Die unzureichenden Lebenserhaltungssysteme und das zu simple Flut- und Lenksystem sind nach Ansicht der Spezialisten für eine Unterwasserfahrt nicht ausgereift.

Verhaftung, Verurteilung und Freikauf

Nur weil Walter Gerber an seinen Fluchtabsichten festhält, gelingt es der Staatssicherheit, ihn als Erbauer des U-Bootes zu erkennen. Als Gerber Anfang Oktober 1980 versucht, mit seinem Auto an der Grenzübergangsstelle Schmilka über die Tschechoslowakei und Ungarn in den Westen zu gelangen, entdecken Grenzer bei der Pkw-Kontrolle in präparierten Kondensatoren des Autoradios Filmnegative mit Aufnahmen eines Schwimmkörpers, der einem U-Boot änlich ist. Damit war auch dieser Fluchtversuch gescheitert. Nach Wochen vergeblicher Suche nach dem Erbauer des Rostocker U-Boots wird Gerber verhaftet. Die Stasi verhört ihn und findet die Konstruktionsunterlagen für das U-Boot in seiner Wohnung.

Ein halbes Jahr nach seiner Verhaftung und einer erniedrigenden U-Haft im Rostocker Stasigefängnis wird der damals 37-Jährige am 25. März 1981 zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das Urteil wird mit "Republikflucht in besonders schwerem Fall" begründet. Erst gegen Ende seiner Haftzeit, am 10. Oktober 1984, gelingt es der Bundesregierung, Walter Gerber freizukaufen. Zwei Monate später erhält auch die Familie die Ausreisegenehmigung. Zwölf Jahre lebt Familie Gerber in Lübeck. Dann erkrankt Walter Gerber an einem seltenen unheilbaren Gehirntumor. Am 17. Juni 1998 stirbt der Schiffselektroniker.

(NR)