Schwarz-weiße Aufnahme von einem Gefängnis
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Geschlossene venerologische Stationen in der DDR Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den "Tripperburgen" in der DDR

22. März 2024, 13:00 Uhr

In der DDR wurden tausende Frauen und Mädchen wegen angeblicher Geschlechtskrankheiten in "Tripperburgen" festgehalten. Sie waren täglichen gynäkologischen Untersuchungen und Misshandlungen ausgesetzt.


Wer wurde in die "Tripperburgen" eingesperrt?

Betroffen waren nachweislich Mädchen ab zwölf Jahren. In der DDR wurden Mädchen und Frauen, insbesondere solche, die als "Herumtreiberinnen", "Arbeitsbummelanten" oder "Asoziale" galten, häufig von der Polizei aufgegriffen und in geschlossene venerologische Einrichtungen eingewiesen - im Volksmund als "Tripperburgen" bekannt. Es genügte oftmals ein Abweichen von den Normen, sei es durch schulische, familiäre oder berufliche Probleme, um verdächtigt zu werden, geschlechtskrank zu sein. Die meisten Zwangseinweisungen erfolgten der aktuellen Forschung zufolge aufgrund des Vorwurfs des Herumtreibens. Darüber hinaus wurden viele Frauen als Prostituierte diffamiert und auch Personen, die das System als Menschen "mit häufig wechselnden Sexualpartnern" ("HwG-Personen") gelabelt hat, wurden eingesperrt. Wie viele Frauen und Mädchen in den geschlossenen venerologischen Stationen zwangseingewiesen und behandelt wurden, ist wegen der lückenhaften Aktenlage schwer zu quantifizieren. Schätzungen gehen von mehr als zehntausenden Frauen aus.


Was waren die Gründe für die Einweisungen?

In der DDR wurden Frauen und Mädchen in "Tripperburgen" gesperrt, weil sie angeblich an Geschlechtskrankheiten litten und sich nicht behandeln lassen wollten. Tatsächlich waren die meisten von ihnen gesund. Daneben wäre auch im Falle einer Geschlechtskrankheit eine ambulante Therapie vollkommen ausreichend gewesen. Laut der Historikerin Dr. Steffi Brüning war eine Behandlung der Patientinnen in geschlossenen Stationen meist nicht nötig.

Ab 1961 wurde in der DDR eine Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten erlassen. Diese Verordnung sah unter anderem die Zwangseinweisung von Personen vor, die an Geschlechtskrankheiten erkrankt oder dessen verdächtig wurden. Voraussetzung für eine Einweisung war der Verordnung zufolge, dass sich die Erkrankten einer ambulanten Behandlung entzogen hatten. So entstanden in verschiedenen Städten wie unter anderem Berlin, Halle (Saale), Rostock, Dresden, Erfurt, und Leipzig geschlossene venerologische Stationen. In der Forschung wird davon ausgegangen, dass es in jeder Bezirksstadt der DDR eine geschlossene venerologische Station gegeben hat.


Was passierte in den "Tripperburgen"?

Unter dem Vorwand der Gesundheitsfürsorge mussten Mädchen und Frauen Disziplinierung, Demütigung und sexualisierte Gewalt erdulden. In den meisten bekannten Stationen sprechen die Frauen davon, dass sie täglich gegen ihren Willen gynäkologisch untersucht und misshandelt wurden. Aus einigen Stationen, wie etwa Dresden, ist bekannt, dass die Frauen Putzarbeiten verrichteten. Die Bestrafung für den nicht ins System passenden Lebensstil stand im Vordergrund, die medizinische Behandlung weniger. Aus der Station in Berlin-Buch ist bekannt, dass die Frauen als "Versuchskaninchen" für Kosmetik- und Medikamententests missbraucht wurden. Die Einweisungen erfolgten oft ohne medizinische Notwendigkeit oder richterlichen Beschluss. In diesen Fällen wurde damit auch DDR-Recht gebrochen. Die Untaten fanden in den geschlossenen Stationen von Krankenhäusern statt, meist unweit von den regulären Hautstationen. Die Stationen glichen mit teils vergitterten Fenstern und verschlossener Tür jedoch eher einem Gefängnis. An den Einweisungen waren unter anderem die Volkspolizei, die Jugendhilfe, das Ministerium des Innern, die Stasi und das Gesundheitswesen beteiligt.


Wie sah der Alltag auf den geschlossenen venerologischen Stationen aus?

Die Frauen berichten von einer unwürdigen Aufnahmeprozedur mit kompletter Durchsuchung - dann erfolgte oftmals bereits eine erste Untersuchung. Während ihres Aufenthalts in den geschlossenen venerologischen Stationen wurden die Frauen und Mädchen dann regelmäßig - oftmals täglich - gynäkologisch untersucht. Um entlassen zu werden, mussten mehrere negative Abstriche nachgewiesen werden. Bei der Entnahme von Abstrichen kam es häufig zu Verletzungen und Blutungen. Grund dafür war beispielsweise zu großes Untersuchungsmaterial, etwa Glasröhrchen. Die brutalen Behandlungsmethoden führten zu Traumata und bei vielen Frauen zu einer Angst vor gynäkologischen Arztbesuchen.

Von einigen Stationen, wie etwa in Leipzig und Halle, berichten die Frauen von einem Unterdrückungssystem, das von Ärztinnen und Ärzten, Schwestern und der "Stubenältesten" ausgeübt wurde. Die Abläufe unterschieden sich von Station zu Station. An manchen Orten mussten die Betroffenen verschiedene Arbeiten wie Putzen, Waschen, Nähen oder Bügeln verrichten. Auch gab es Schikanen und Disziplinarmaßnahmen wie beispielsweise das Schlafen außerhalb des Bettes.


Wie lange waren die Betroffenen in den "Tripperburgen" eingesperrt?

Die Aufenthaltsdauer von durchschnittlich vier bis sechs Wochen konnte manchmal auch bis zu zwölf Wochen betragen.


Was sind die Folgen des Aufenthalts für die Betroffenen?

Der Aufenthalt in einer geschlossenen venerologischen Station war und ist für die betroffenen Mädchen und Frauen mit großer Scham verbunden. Viele sind bis heute traumatisiert. Manche haben Angst vor Ärztinnen und Ärzten oder gynäkologischen Untersuchungen, andere leiden unter Schlafstörungen, sexueller Unlust, Inkontinenz, Partnerschaftsproblemen, Kinderlosigkeit und gestörten Mutter-Kind-Bindungen.

Die letzte "Tripperburg" wurde in den 1980er Jahren geschlossen. Erst ab den 2010er Jahren beginnt die Aufarbeitung. Inzwischen gibt es neue frauen- und sexualgeschichtliche Entwicklungen und Forschungen und ein anderes Bewusstsein in der Öffentlichkeit für die Geschehnisse. Mittlerweile sind die Zwangseinweisungen offiziell für rechtswidrig erklärt worden, die Gewalt ist jedoch verjährt, kein Arzt und keine Ärztin muss sich vor Gericht verantworten. Im September 2015 wurde in Anerkennung des Unrechts ein Gedenkstein für die zwangseingewiesenen Mädchen und Frauen in Halle eingeweiht.

Dieses Thema im Programm: ARD History: Trauma "Tripperburg" | 11. Dezember 2023 | 23:35 Uhr