Treffen der Generale Yorck und Diebitsch bei Tauroggen, 1812
Treffen des preußischen Generals Yorck (links) mit dem russischen General Diebitsch (rechts) bei Tauroggen, Dezember 1812. Bildrechte: IMAGO / Heritage Images

30. Dezember 1812 General Yorck und die Konvention von Tauroggen

30. Dezember 2022, 07:00 Uhr

Am 30. Dezember 1812 schließt der Befehlshaber des preußischen Hilfskorps der in Russland geschlagenen Grande Armée, Ludwig von Yorck, eigenmächtig einen Waffenstillstand mit den russischen Truppen. Die Konvention von Tauroggen ist der Auftakt der Befreiungskriege gegen Napoleons Vorherrschaft über Deutschland und Europa.

Der preußische König Friedrich Wilhelm III. hat am 2. Januar 1813 gerade sein Mittagessen beendet, als er bei einem Spaziergang in der Orangerie des Potsdamer Neuen Gartens ein Schreiben des Generalleutnants Johann David Ludwig von Yorck erhält. Der Befehlshaber des preußischen Hilfskorps der im Russlandfeldzug 1812 geschlagenen Grande Armée teilt seinem Monarchen darin mit, dass er seinen Truppenverband für neutral erklärt. Damit hat er "en passant" die 1811 vom Franzosen-Kaiser Napoleon erzwungene Allianz Preußens mit Frankreich beendet.

Waffenstillstand mit den Russen

Johann David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg
Johann David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg als Generalfeldmarschall, 1821. Bildrechte: IMAGO / piemags

Die entsprechende Übereinkunft schließt Yorck am 30. Dezember 1812 unweit der russisch-litauischen Stadt Tauroggen mit dem russischen General Hans Karl von Diebitsch. Die Konvention von Tauroggen besiegelt den Waffenstillstand zwischen dem preußischen Hilfskorps und der russischen Armee. Yorck verpflichtet sich, seinen Verband im Norden Ostpreußens zwischen den Städten Tilsit und Memel stehen zu lassen. Seine 15.000 Preußen werden damit dem X. Korps des Marschalls Jacques MacDonald entzogen, der fortan nicht mehr über genügend Kräfte zur Deckung der französischen Nordflanke verfügt. Damit steht den Russen der Weg nach Ostpreußen offen.

Yorcks Handeln ist ein klarer Akt der Befehlsverweigerung gegenüber seinem König, der ihm die Kooperation mit den Franzosen befohlen hat. Der General riskiert, wegen Hochverrats angeklagt zu werden und vor einem Erschießungspeloton zu enden. An Friedrich Wilhelm III. schreibt er deshalb: "Jetzt oder nie ist der Moment, Freiheit, Unabhängigkeit und Größe [Preußens] wiederzuerlangen. Ich schwöre [Eurer] Königlichen Majestät, dass ich auf dem Sandhaufen [des Exekutionsplatzes] ebenso ruhig wie auf dem Schlachtfelde, auf dem ich grau geworden bin, die Kugel erwarten werde."

Preußens König im Dilemma

William III - King of Prussia , c1814-1816, (1896). Künstler: T Johnson
Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, 1814. Bildrechte: IMAGO/Heritage Images

Die Tat des knorrigen Generals bringt Preußens König in ein Dilemma. Zwar würde auch Friedrich Wilhelm III. die Vorherrschaft Napoleons lieber früher als später abschütteln. Doch das wahre Ausmaß der französischen Niederlage in Russland ist am preußischen Hof zunächst nicht bekannt. Zudem hat der Kaiser der Franzosen noch immer Truppen an militärischen Schlüsselorten Preußens stehen. Mit diesen und den noch kampffähigen Resten der Grande Armée - bis Ende Dezember 1812 kehren 80.000 von ehemals 610.000 Soldaten aus Russland zurück - will Napoleon die Russen an der Weichsel stoppen.

Doch die erklärte Neutralität des Yorckschen Korps macht dem Franzosen-Kaiser einen Strich durch die Rechnung. Die Weichsellinie ist wegen der nun im Norden Preußens vorrückenden russischen Truppen nicht mehr zu halten. Napoleon ahnt die Tragweite des Ganzen. Einem preußischen Gesandten, der ihm in Paris die Nachricht von der Konvention von Tauroggen überbringt, sagt er: "Der Abfall des Generals Yorck kann die Politik von Europa verändern."

Eine historische Karte
Karte des Rückzugs der Grande Armée (rote Linie) von Smolensk nach Warschau vom 25. November 1812 bis Januar 1813. Das Yorcksche Hilfskorps zieht sich über Mitau (oben, außerhalb Kartenrand) über den Njemen nach Ostpreußen auf Tilsit zurück. Bildrechte: imago images/KHARBINE-TAPABOR

Napoleons Nimbus noch nicht gebrochen

Noch aber wagt keiner von Napoleons Verbündeten den offenen Bruch. Zwar hat der Nimbus der Unbesiegbarkeit des "größten Schlachtenlenkers aller Zeiten" im Russlandfeldzug großen Schaden genommen, endgültig gebrochen ist er aber nicht.

Napoleon Bonaparte Kaiser der Franzosen, 1812
Napoleon I. Bonaparte, Kaiser der Franzosen, 1812. Bildrechte: IMAGO / Heritage Images

Die preußische Regierung um Staatskanzler Karl August von Hardenberg bemüht sich, den Kaiser der Franzosen zu beschwichtigen. König Friedrich Wilhelm III. missbilligt die Konvention von Tauroggen. Er lässt Yorck als Befehlshaber des preußischen Hilfskorps absetzen und kündigt an, ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen. Konsequenzen hat das Ganze aber nicht.

Die Bestürzung am preußischen Hof ob der Insubordination Yorcks ist dennoch echt. Der streng konservative General gilt bis dahin als absolut königstreu. Anders als jene gut 300 preußischen Offiziere, die wegen des Bündnisses mit Napoleon 1811 den Dienst quittieren und - wie der Militärreformer Carl von Clausewitz - sogar in russische Dienste treten, hält Yorck seinem Monarchen stets die Treue. Während des Russlandfeldzugs 1812 führt er das preußische Hilfskorps im Verband des X. Korps der Grande Armée bis Riga. Durch einige bestandene Kämpfe gegen die Russen verschafft er sich sogar den Respekt Napoleons.

Yorck zwischen Napoleon und Alexander

Der Franzosen-Kaiser weiß um die Bedeutung von Yorcks Korps für die Deckung des französischen Rückzugs aus Moskau. Er versucht, den General im Oktober und November 1812 durch Auszeichnungen und Geldversprechen bei der Fahne zu halten. Jedoch ohne Erfolg. Denn auch Napoleons Gegenspieler, Zar Alexander I., ist sich der Schlüsselrolle Yorcks bewusst.

Zar Alexander I. von Russland 1817
Zar Alexander I. von Russland, 1817. Bildrechte: IMAGO / Heritage Images

Anders als der Oberbefehlshaber der russischen Truppen, Generalfeldmarschall Michail Kutusow, der angesichts eigener schwerer Verluste gegen eine Fortsetzung des Krieges ist, will Alexander den Kampf bis zur endgültigen Niederlage Napoleons auch auf deutschem Boden fortführen.

In einem Reskript vom 5. Dezember 1812 lässt der Zar Yorck mitteilen, dass das Russische Kaiserreich im Falle des Übergangs Preußens auf die Seite Russlands die Waffen so lange nicht niederlegen werde, bis Preußen in den Grenzen von 1806 wiederhergestellt ist. Die großen Gebietsabtretungen, die das Königreich nach der verlorenen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt hatte hinnehmen müssen, wären damit passé. Ohne das Einverständnis seines Königs schließt Yorck am 30. Dezember 1812 auf der Grundlage dieses Angebots mit dem aus Schlesien stammenden russischen General Diebitsch den Waffenstillstand von Tauroggen. Preußen scheidet damit de facto aus dem Krieg gegen Russland aus.

Erhebung gegen Napoleon

Aufruf des Generalleutnant Yorck an die ostpreußischen Stände 1813
Appell Yorcks an die ostpreußischen Stände zur Aufstellung einer Landwehr am 7. Februar 1813. Bildrechte: IMAGO / H. Tschanz-Hofmann

Die Konvention von Tauroggen gilt als das Signal für die preußische und spätere europäische Erhebung gegen Napoleon - die sogenannten Befreiungskriege. Auch wenn Preußens König Friedrich Wilhelm III. die Zeit für ein Losschlagen zunächst für zu früh hält, wird er durch die Dynamik der Ereignisse letztlich doch zum Handeln gezwungen. Am 22. Januar 1813 setzt sich der preußische König mit seinem Gefolge von Potsdam ins schlesische Breslau ab, um einer Gefangennahme durch die Franzosen zu entgehen.

Von da an überschlagen sich die Ereignisse: Am 7. Februar beschließt der Landtag der ostpreußischen Stände nach einem flammenden Aufruf Yorcks die Bildung einer Landwehr und die Bewaffnung des Volkes. Auch König Friedrich Wilhelm III. schreitet zur Tat: Am 9. Februar führt er vorläufig die allgemeine Wehrpflicht in Preußen ein. Am 28. Februar schließt er in Kalisch ein Bündnis mit Russland. Am 16. März erklärt Preußens König Frankreich den Krieg. Am selben Tag stiftet er das Eiserne Kreuz als Kriegsauszeichnung für Offiziere und Soldaten.

Preußen ruft zu den Waffen

Aufbau der preußischen Landwehr, Armee, in Breslau 1813
Friedrich Wilhelm III. verkündet in Breslau die Aufstellung der Landwehr in Preußen. Bildrechte: IMAGO / H. Tschanz-Hofmann

Am 17. März ruft Friedrich Wilhelm in seiner Proklamation "An mein Volk" alle wehrfähigen Männer zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Zugleich kündigt er die sofortige Aufstellung einer Landwehr an, was einer allgemeinen Wehrpflicht gleichkommt. Am selben Tag reitet Generalleutnant Ludwig von Yorck, der mit der Konvention von Tauroggen das Initial der Erhebung setzte, unter dem frenetischen Jubel der Bevölkerung in Berlin ein.

Doch noch ist für ihn und Preußen nichts gewonnen. Napoleon hat in Frankreich eine neue Armee von 300.000 Mann ausgehoben. Mit ihr kehrt er im Frühjahr 1813 nach Deutschland zurück, um seine Gegner erneut an den Rand der Niederlage zu bringen. Erst in der Völkerschlacht bei Leipzig in Sachsen entscheidet sich im Oktober 1813 der Kampf - auch für General Yorck!

Literaturhinweise

  • Fiedler, Siegfried: Taktik und Strategie der Revolutionskriege 1792-1848, Bonn 1988.
  • Grundzüge der deutschen Militärgeschichte, Band 1. Historischer Überblick. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamts hrsg. von Karl-Volker Neugebauer, Freiburg i.Br. 1993.
  • Ottmer, Hans-Martin: Militärgeschichte zwischen Französischer Revolution und Freiheitskriegen 1789 bis 1815. Vom Berufskriegerheer zur allgemeinen Wehrpflicht. In: Grundzüge der deutschen Militärgeschichte, S. 77-127.
  • Tarlé, Eugen: Napoleon, Berlin-Ost 1970.
  • Thamer, Hans-Ulrich: Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon, München 2013.
  • Tschernodarov, Andrej: "Und Frieden aller Welt gebracht". Russisch-Preußischer Feldzug 1813-1814. Begleitpublikation zur Ausstellung in der Botschaft der Russischen Föderation, Berlin 2013.
  • Wie Napoleon nach Waterloo kam. Eine kleine Geschichte der Befreiungskriege 1813 bis 1815. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam, und in Zusammenarbeit mit dem Napoleonmuseum Thurgau hrsg. von Eberhard Birk, Thorsten Loch und Peter Andreas Popp, Freiburg i.Br. 2015.
  • Die Völkerschlacht bei Leipzig. Verläufe, Folgen, Bedeutungen, 1813 - 1913 - 2013. Hrsg. von Martin Hofbauer und Martin Rink, Berlin 2017.
  • Zacharias, Lars: Operationsgeschichtliche Perspektiven in den Befreiungskriegen. In: Wie Napoleon nach Waterloo kam, S. 189-198.