Rumänien - Rumänisches Parlament
Ein Luxuswagen vor dem Parlamentsgebäude in Bukarest Bildrechte: Annett Müller/MDR

Illustre Lobbyisten in Rumänien

27. Januar 2017, 19:09 Uhr

Chronischer Platzmangel, Ungeziefer in den Zellen, verschmutztes Trinkwasser - seit Jahren wird Rumänien wegen seiner miserablen Haftbedingungen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt. Die neue sozialliberale Regierung will das Problem nun per Eilerlass lösen. In Wirklichkeit geht es den neuen Machthabern darum, die Antikorruptionsgesetze aufzuweichen. Das sorgt für Protest im Land.

Ihre bekannteste Parlamentsrede hielt die frühere konservative Abgeordnete Elena Udrea vor rund zwei Jahren – kurz nachdem sie wegen Korruptionsverdacht in U-Haft eingesessen hatte. Was sie im Bukarester Polizeiarrest erlebt habe, sei schockierend gewesen, erzählte sie ihren Arbeitskollegen und Volksvertretern. Anschaulich berichtete Udrea damals: "Das WC war eine Hocktoilette - ohne Tür und ohne Vorhang. Wenn ich sie nicht benutzte, haben ich sie abgedeckt, damit durch die Öffnung keine Ratten kamen."

Platzmangel in allen Gefängnissen

Seit vielen Jahren gelten die rumänischen Haftbedingungen – ob U-Haft oder Gefängnis - als unmenschlich. Die Häftlinge klagen dort häufig über verschmutztes Trinkwasser, Ungeziefer in den Zellen und ungenießbares Essen. Besonders prekär ist der Platzmangel in den Zellen, viel zu viele Häftlinge leben dort auf wenig Raum. Auf zu wenig Raum, kritisiert immer wieder der Europarat. Einem Gefangenen stehen mindestens vier Quadratmeter zu, in Rumänien sind es oft weniger. Das bleibt nicht ohne Folgen.

Längst pocht ein Teil der Haftinsassen auf seine Menschenrechte und ziehen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die Richter verurteilten das südosteuropäische Land in den vergangenen fünf Jahren rund 140 Mal – so oft wie kein anderes Land in der EU. Mehr als eine Million Euro Schadensersatz musste der Staat an Gefangene zahlen. Klagen und Zahlungen, die auch in den kommenden Jahren auf Rumänien zukommen werden.

Ex-Politiker sind weiter gut vernetzt

Außenansicht vom Gefängnis im südrumänischen Colibasi
Haftanstalt im südrumänischen Colibasi Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Lange Zeit waren die unmenschlichen Haftbedingungen kein Thema, das die Öffentlichkeit interessierte, geschweige denn das Parlament oder die Regierung. Verwunderlich ist das nicht. Viele Rumänen haben neben existenziellen Sorgen ganz andere Nöte: Viele staatliche Krankenhäuser und Schulen - vor allem in den Kleinstädten - müssten dringend renoviert werden. Hier wächst der Schimmel an den Wänden, gibt es Kakerlaken in den Ecken und dreckige Plumpsklos, ähnlich wie in den Haftanstalten.

Doch seit einiger Zeit haben die Strafgefangen illustre Lobbyisten: Ex-Parlamentarier und Ex-Regierungsmitglieder, die wegen millionenschwerer Korruption hinter Gittern sitzen. Zwar machen die derzeit nur rund ein Prozent aller Strafgefangenen in Rumänien aus, doch können sie sich gute Anwälte leisten, und sie sind immer noch bestens vernetzt, ob mit aktuellen Politikern oder mit den Medien.

Regierung schiebt Haftbedingungen vor

Auch die seit knapp drei Wochen amtierende sozialliberale rumänische Regierung rührt gerade am Thema der Haftbedingungen. Mitte Januar veröffentlichte die Koalition zwei Eilerlässe, die eine kollektive Begnadigung vorsehen als auch die Abschaffung oder Abänderung bestimmter Straftatbestände. Amtsmissbrauch in Bürgermeisterstuben, im Parlament oder in Behörden würde nicht mehr so streng geahndet werden wie bislang.

Die Regierung hat eine überraschende Begründung für ihren Vorstoß: Mit der Begnadigung würden die überfüllte Gefängnisse im Handumdrehen entlastet. Die regierungskritische Tageszeitung "Romania Libera" hält das für eine faule Ausrede. Die sozialliberale Koalition und ihre Parteifreunde triebe lediglich die Angst vor der eigenen Haftstrafe an. Die reichen und luxusverwöhnten Politiker wollten nicht Jahre in einer klitzekleinen Zelle fristen, hieß es in einem Zeitungskommentar.

Flur zu den Zellen im Gefängnis Targsor in Rumänien
Blick in einen Zellenflur vom Gefängnis im rumänischen Targsor Bildrechte: MDR/Annett Müller

PSD-Parteichef wäre großer Profiteur

Von den Eilerlässen würden schätzungsweise rund 3.700 Häftlinge profitieren, darunter Politiker, die wegen Korruption in Haft sitzen. Sie würden vorzeitig entlassen. Profitieren würden aber auch jene Parteigenossen, die sich gerade vor Gericht verantworten müssen, wie beispielsweise der Parteichef der regierenden Sozialdemokraten (PSD) und Chef der Abgeordnetenkammer, Liviu Dragnea.

Im Dezember blieb ihm nach einem berauschenden Wahlsieg seiner Partei der Posten als Regierungschef verwehrt, weil er bereits vorbestraft ist. Ein derzeit laufender Prozess gegen Dragnea würde eingestellt, würde die Regierung die Eilerlässe durchpeitschen. Doch Tausende Rumänen machen ihnen hier gerade einen Strich durch die Rechnung. Vor einer Woche gingen sie in mehreren Großstädten auf die Straße, um gegen eine Aufweichung der Antikorruptionsgesetze zu protestieren. Der Zorn des Volkes könnte das Projekt stoppen, meinen rumänische Politikexperten.

Unter Beobachtung aus Brüssel

Der jüngste Regierungsvorstoß stößt auch in Brüssel auf Kritik. In ihrem jüngsten Fortschrittsbericht (CVM) bemängelt die EU-Kommission, dass es Gesetzesinitiativen gebe, die darauf abzielten, "den Anwendungsbereich des Tatbestands der Korruption zu reduzieren". Gleichzeitig wurden dem Land im Justizbereich große Fortschritte attestiert, allerdings blieben wichtige Fragen noch offen.

Rumänien, aber auch sein Nachbarland Bulgarien sind die beiden einzigen Länder in der EU, die von Brüssel überwacht werden, was den Aufbau eines Rechtsstaates angeht oder die Bekämpfung der Korruption und des organisierten Verbrechens. Unter dem Reformdruck der EU-Kommission entstand bereits 2002 in Bukarest die Antikorruptionsbehörde DNA. Die Behörde von unabhängigen Sonderermittlern gilt als Vorzeigeinstitution, für die sich inzwischen auch westeuropäische Staaten interessieren.

Korruptions- und Überprüfungsmechanismus (CVM) Die EU hatte die beiden südosteuropäischen Länder 2007 aufgenommen, obwohl noch nicht alle Vorgaben zur Reform der Justiz und bei Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung erreicht waren. Damals wurde ein Kooperations- und Überprüfungsmechanismus (CVM) vereinbart. In diesem Rahmen erscheinen jährliche Fortschrittsberichte. In den beiden osteuropäischen EU-Länder bleibt die Brüsseler Einschätzung nicht ungehört.

Die korruptesten Staaten in Osteuropa

Dass Rumänien und Bulgarien auch zehn Jahre nach ihrem EU-Beitritt noch überwacht würden, hatte sich wohl niemand 2007 träumen lassen. Doch laut jüngstem Korruptionswahrnehmungsindex der Nichtregierungsorganisation Transparency International werden Bulgarien und Rumänien zusammen mit Italien und Griechenalnd als die korruptesten Staaten der EU wahrgenommen. Das politische Bukarest hält diese Einstufung für übertrieben. Seit Jahren fordern zudem führende Politiker, den Fortschrittsbericht einzustellen. Man könne sich selbst überwachen und brauche nicht Brüssel dazu.

Zweifel am dauerhaften Antikorruptionskampf

Doch der jüngste Vorstoß der Regierung in Bukarest zeigt einmal mehr, dass ein Teil der einheimischen Politiker lieber den Antikorruptionskampf aufweichen würden, statt ihn fortzusetzen. Erst zu Wochenbeginn sagte der Präsidentschaftsberater und frühere EU-Kommissar, Leonard Orban, Brüssel habe immer bezweifelt, ob die Fortschritte im Antikorruptionskampf auch wirklich von Dauer seien. Jetzt liefere das politische Bukarest den Beweis, dass Brüssels Zweifel berechtigt seien.