Bücherverbrennung Berlin 01.05.1933
Bücherverbrennungen in ganz Deutschland: Knapp drei Monate nach dem Machtantritt von Adolf Hitler wurden "volkszersetzende" Bücher zerstört. Bildrechte: imago/ZUMA/Keystone

12. Mai 1933 Bücherverbrennung in Halle: Was geschah vor 90 Jahren?

10. Mai 2023, 04:00 Uhr

Auch in Halle wurden vor 90 Jahren nur knapp drei Monate nach Hitlers Machtantritt Bücher verbrannt. Nazis legten am Universitätsplatz sogenannte "volkszersetzende" Bücher auf den Scheiterhaufen, darunter Werke von Erich Kästner oder Thomas Mann. Vorbild für die pogromartige Aktion in Halle am 12. Mai 1933 war die Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz zwei Tage zuvor. Der "Hallesche Generalindex" umfasste jedoch 140 Namen, was die "Schwarze Liste" der Hauptstadt des Dritten Reichens übertraf.

Es ist der 12. Mai 1933. Vor dem Löwengebäude der Universität Halle, der alma mater halensis, befindet sich ein riesiger Haufen "volkszersetzender" Bücher. Vor diesem befindet sich "ein einziges buntwogendes Meer von Mützen der studentischen Verbindungen". Um die tausend Schaulustige sind gekommen, um Augenzeuge der Bücherverbrennung zu werden, an die heute noch das Heinrich-Heine-Denkmal erinnert. Hunderte Bücher, wie zum Beispiel von Bertolt Brecht, Thomas Mann oder Erich Kästner, werden zerstört.

Als Ehrengäste auf dem Halleschen Universitätsplatz sind unter anderen geladen: Der Rektor der Universität Stieve, der Oberbürgermeister der Stadt Halle Weidemann und Polizeipräsident Roosen. "Dann zuckte die Flamme auf zum nächtlichen Himmelszelt und taucht die Menge der Zuschauer in ihr blutrotes Licht. Die Chargen in vollem Wichs". In diesem triumphtrunkenen Ton feiert die hallesche Universitätszeitung am 1. Juni 1933 die pogromartige Aktion auf dem Universitätsplatz.

Bücherverbrennung nach Berliner Beispiel

Vorbild für die zeitgleich in 22 Universitäts- und Hochschulstädten durchgeführten Bücherverbrennungen ist die am 10. Mai auf dem Berliner Opernplatz stattfindende "Akademische Feier". Danach brennen bis in den Oktober in weiteren 46 Städten Bücher. Nur zwei Universitätsstädte erteilen der Führung in Berlin eine Absage: Tübingen und Stuttgart. In Halle soll der Grund für die Verschiebung auf den 12. Mai laut Saalezeitung gewesen sein, dass der hallesche Kampfbund am 10. verhindert war. Der Kampfbund gehörte zur Kommission, die den "Vorläufigen hallischen Generalindex", die Liste der "volkszersetzenden" Bücher, zusammenstellte.  

Nationalsozialisten verbrennen in Universitätsstädten Bücher
Nationalsozialisten auf dem Berliner Opernplatz am 10. Mai 1933. Bildrechte: picture alliance/dpa | dpa

In Halle knüpft der Nationalsozialistische Studentenbund mit der Bücherverbrennung an den "Universitätsskandal" an. Als der Theologe Günther Dehn im Wintersemester 1931/32 zum Professor nach Halle berufen wird, reagieren die nationalsozialistischen Studenten mit einem Aufruf zum Boykott, der schließlich im April 1933 mit Dehns Versetzung in den Ruhestand und der Entlassung des Rektors Aubin endete. Die hallesche Studentenschaft sichert sich rechtlich ab, indem der "Polizeipräsident als Hoheitsträger mit Hilfe der Studentenschaft" die Bücher beschlagnahmt. Die Betonung liegt auf "vorläufig".

Hallesche "Schwarze Liste" schlimmer als in Berlin

In Halle wurde die von Berlin vorgegebene "Schwarze Liste" mit 130 Namen zum "Vorläufigen hallischen Generalindex" auf 140 Namen erweitert. Dies zeigt den Eifer des "Zentralausschusses", namentlich des Vorsitzenden Reinhart von Eichborns, der Buchhändler und Bibliothekare befragen ließ, welche Bücher "volkszersetzender" Autoren am meisten gekauft oder ausgeliehen werden.

Vom 2. bis 4. Mai sucht eine Gruppe von Studenten und Polizeibeamten Halles Buchhandlungen und Bibliotheken auf und sammelt die "volkszersetzende Lektüre" ein. Das Beispiel hallischer Generalindex lässt die Vermutung zu, dass in Halle schärfer "gesäubert" wird als in Berlin. Bestätigt wird dies durch "von Eichborns selbstgefälliger, aber doch konkreter Schilderung, dass die Initiative zur Verbrennung der Bücher nicht von Halle ausging, sondern von Berlin", so der Historiker Henrik Eberle.

Löwengebäude der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg.
Schauplatz der Bücherverbrennung 1933: der Universitätsplatz in Halle. Bildrechte: IMAGO / Margit Wild

Wohin mit den weiterhin aussortierten Büchern? Sie werden zunächst 1933 in der Ratsbücherei verschlossen. Ein Teil geht an das NS-Museum, ein Teil in die "secretierte" Abteilung des Revolutionsarchives, ein Teil in eine Art "Giftschrank" der Bücherei am Hallmarkt. Bei den übrigen Büchern in 17 Paketen "scheint eine Vernichtung geboten". Die Kröllwitzer Papierfabrik hat sich zu einer kostenlosen Verbrennung bereiterklärt.  

Bücherverbrennung in Halle gingen "Säuberungen" zuvor

Die Listen der zu vernichtenden Bücher werden ständig, manchmal wöchentlich bis 1943 erweitert. Im Landesarchiv Merseburg liegen einige davon, die letzte mit über 4.000 Titeln. Das Verbrennen schien dann doch zu aufwendig, ein Schreiben der halleschen Firma Fr. Rein, Rohprodukte/Altpapier vom 12. Januar 1942 an die Gewerbliche Berufsschule zeigt, was mit den "volkszersetzenden" Büchern auch geschieht: "Empfing durch Selbstabholung 740 kg holzartigen Bücherdruck zum Einstampfen p. 100 kg RM 1,90". So wird der Materialwert eines Geistesprodukts beschrieben.

Bücherverbrennung Berlin 01.05.1933
Der Scheiterhaufen für Bücher auf dem Berliner Bebelplatz. Bildrechte: imago/ZUMA/Keystone

Die Bücherverbrennung war nur der Auftakt zur Unterdrückung bis zur physischen Vernichtung von Schriftstellern. Zu gedenken wäre nicht nur derer, deren Bücher verbrannt wurden, sondern auch der vielen Unbekannten, die gar nicht zum Schreiben kamen, weil sie im KZ oder im Zuchthaus saßen.

Aktionen in Halle anlässlich des Jahrestages Der StuRa Uni Halle ruft vom 8. bis zum 14. Mai 2023 zum Gedenken auf.

Die Stadtbibliothek Halle stellt ein Bücherregal mit einer Auswahl der 1933 auf dem Universitätsplatz verbrannten Werken auf.

Die Buchhandlung Jacobi & Müller gestaltet ein Schaufenster zum Thema.

Am 11. Mai findet um 18 Uhr eine szenische Lesung des Stücks "Empfänger unbekannt" am nt statt.

Am 12. Mai kann um 19 Uhr im Literaturhaus die Vorstellung des Projekts "Verbrannte Orte" mit Jan Schenck besucht werden.

Am 13. Mai findet um 14 Uhr auf dem Universitätsplatz eine Gedenkveranstaltung statt. Dabei wird u.a. Prof. Becker, die Rektorin der MLU, sprechen. Anschließend kann eine szenische Lesung im nt besucht werden.

Die Buchhandlung Heiter bis Wolkig und die Büchergilde spendet Erich Kästners "Über das Verbrennen von Büchern".

Redaktionelle Bearbeitung: Anneke Selle

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 09. Mai 2023 | 18:00 Uhr