Eine Frau zahlt bargedllos mit einer Kreditkarte
Die Skandinavier machen es vor: Bezahlen per Giro- oder Kreditkarte. Bildrechte: Colourbox.de

Der Redakteur | 12.10.2023 Warum tun sich die Deutschen so schwer mit Kartenzahlungen?

12. Oktober 2023, 17:56 Uhr

Der Deutsche ist im Kopf konservativ. Wenn etwas Neues kommt, sind wir skeptischer als andere Nationen. Das gilt fürs Heizen und auch fürs Bezahlen. Doch sind die Argumente alle stichhaltig?

Der deutsche Handel leistet sich ein eigenes Forschungsinstitut. Das EHI Retail Institute beobachtet, erfragt und analysiert quasi laufend, welche Entwicklungen es gibt rund um das Einkaufen und Bezahlen. Die aktuelle Bestandsaufnahme bestätigt das Gefühl, dass wir doch noch sehr am geliebten Bargeld hängen.

Geldbörse 7 min
Bildrechte: colourbox
7 min

Viele Urlaubsländer setzen auf Karte, doch in Deutschland verlangen einige Geschäfte immer noch Bargeld. Wir haben Sie im Chat der MDR THÜRINGEN-App gefragt, wie Sie am liebsten zahlen. Das sind Ihre Antworten.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Do 12.10.2023 16:40Uhr 06:59 min

https://www.mdr.de/mdr-thueringen/audio-redakteur-barzahlung-kartenzahlung-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

2022 hatten wir bei der Umsatzsumme einen Bargeldanteil von 37,5 Prozent im Handel. Das sieht zunächst danach aus, als wäre das Bargeld nicht mehr unsere Nummer 1, doch das Bild wird dadurch etwas verzerrt, dass wir vor allem größere Beträge mit Karte bezahlen und kleinere mit Bargeld.

Legt man die Anzahl der Zahlungsvorgänge zugrunde, sind wir bei 60 Prozent Barzahlung.

Horst Rüter, Zahlungsexperte Forschungsinstitut des Handels EHI

Was spricht für das Bargeld, was für die Karte?

Besserer Ausgaben-Überblick, Ausgaben-Disziplin, Scheinchen von Oma oder Opa fürs Enkelchen, weniger Überwachungsmöglichkeiten. Das sind die Hauptargumente für das Bargeld. Deshalb lieben wir es.

Nicht nur die Skandinavier werden hier etwas mitleidig lächeln, denn es schwingt da dann doch viel Altwissen mit. Die Karten-Abrechnung am Monatsende mit ihren Schreckmomenten ist nämlich längst Geschichte. Mittlerweile bieten viele Banken in ihren Apps oder per Handynachricht Sofortübersichten an. In Echtzeit.

Und die sind deutlich übersichtlicher als die Brieftasche. Man sieht stets, was drauf ist auf dem Konto, oder was demnächst abgebucht wird. Man wird also vom eigenen Kaufverhalten mit Karte wahrlich nicht mehr überrascht.

Ein Kunde, der mit Kreditkarte bezahlt. 22 min
Bildrechte: IMAGO / Westend61
22 min

Horst Rüter ist Mitglied der Geschäftsleitung und Zahlungsexperte beim Forschungsinstitut EHI. Er erklärt die unterschiedlichen Bezahlverfahren in Deutschland.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Do 12.10.2023 16:40Uhr 22:28 min

https://www.mdr.de/mdr-thueringen/audio-einzelhandel-bezahlen-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Wie relevant sind Infos über Brötchenkauf?

Die Enkel-Geschenke sind natürlich ein Argument, aber die coole Oma hat eben auch PayPal und ein Handy und so kann ein digitaler Zehn-Euro-Schein das Enkelchen durchaus auch beeindrucken.

Was die Überwachungsmöglichkeiten betrifft, sitzen die Banken und vor allem die Kreditkartenunternehmen ohnehin an der Quelle. Was da genau und wie genutzt wird, ist schwer zu fassen.

Für die wichtige Kenngröße "Kreditwürdigkeit" dürften aber die exakten Adresen des Bäckers, Fleischers oder Supermarkts kaum eine Rolle spielen. Und wo wir sonst unser Geld lassen, etwa für Versicherungen, Energie oder Abos, ist eh verbrieft. Ist es dann ein sicherheitsrelevanter Quantensprung, die paar Einkäufe durch "anonyme" Abhebungen zu verschleiern?

Für den Handel, sagt Horst Rüter, sind die Kartenzahlungen ohnehin anonym, also der Händler kann mit den Daten nichts anfangen. Es sei denn, der Kunde hat ein Bonuskärtchen und rückt seine Daten aktiv gegen Punkte oder Sonderangebote heraus.

Diese Kundenbindungsprogramme sind auf freiwilliger Basis. Sie müssen das nicht machen.

Horst Rüter, Zahlungsexperte Forschungsinstitut des Handels EHI

EC-Terminal
Zahlen mit Girocard? Längst gang und gäbe. Bildrechte: imago images/Shotshop

Warum setzen andere Länder auf die Karte?

Wenn es Bill Gates nicht war, dann müssen es die Karten-Firmen gewesen sein, die Corona erfunden haben - so glauben es vermutlich einige Verschwörungstheoretiker. Denn für die Akzeptanz digitaler Zahlungssysteme in Deutschland war die Pandemie schon ein gewaltiger Schub. Mittlerweile müssen wir für Zahlungen bis 50 Euro in der Regel nicht einmal die Pin eintippen. Schneller und bequemer geht es nun wirklich nicht an der Kasse.

Leider, sagen die Bargeldfreunde. Wehe die Karte gerät in falsche Hände! Gegenfrage: Informiert Sie Ihr Portemonnaie, wenn es aus der Tasche gefallen ist? Die Karte macht das schon, wenn Sie nämlich eine der bereits erwähnten Möglichkeiten nutzen, meldet sich Ihr Handy sofort, wenn da jemand mit dieser Karte bezahlt. Und das Sperren der Karte ist in vielen Bank-Apps heute mit einem Klick möglich. Bei verlorenem Bargeld geht das nicht.

Getränkedose fix mit Geldkarte bezahlen

Andere Länder brauchten die Pandemie allerdings nicht als Beschleuniger. In den USA wird schon seit Jahrzehnten jede Coladose mit der Karte bezahlt, Scheine über 20 Dollar werden sogar nur ungern angenommen und von den Geldautomaten erst gar nicht ausgespuckt. Nachteil: Die Amerikaner zahlen häufig mit Kreditkarten und neigen dazu, immer nur monatliche Teilbeträge abbuchen zu lassen, das kostet richtig viel Zinsen.

Diese Gefahr besteht bei der Girocard oder bei Debitkarten nur, wenn das Konto ins Dispo rutscht. Auch die Skandinavier setzten schon lange auf die Karte, was viel mit der Bevölkerungsdichte zu tun hat. Die Bestückung von Geldautomaten und die Abrechnung der Tageseinnahmen durch die Händler ist wegen der großen Entfernungen ein teurer Spaß.

Zwingt man uns zur Karte?

Auch wenn in diversen Publikation zweifelhafter Quellen die große Anti-Bargeld-Verschwörung thematisiert wird: Die EZB steht mit Stolz zum Bargeld. Und das obwohl Deutschland mit Wirkung vom April 2023 das Bezahlen von Immobilien mit Bargeld gesetzlich unterbunden hat und die Einzahlung und Auszahlung größerer Summen ohnehin schon mit Fragen oder Verzögerung verbunden ist. Vordergründig  geht es um die Verhinderung von Geldwäsche (Stichwort Immobilien und Mafia) mit dem Nachteil für ehrliche, die sich beim Gebrauchtwagenkauf komischen Fragen ausgesetzt sehen.

Auf der anderen Seite fehlt einem so ein bisschen die Phantasie, welche größeren Transaktionen heutzutage zwingend in bar erfolgen müssen. Trotzdem: Der Handel schaut auch mit Hilfe seines Forschungsinstituts EHI sehr genau, was die Kunden bevorzugen. Und das hängt sehr von der Zielgruppe eines Geschäfts ab. Ein hipper Einzelhändler mit einer U-30-Kundschaft und einem Bargeldanteil von deutlich weniger als zehn Prozent muss sich sehr gut überlegen, ob sich der Bargeld-Aufwand noch rechnet.

Denn Bargeld ist nicht billig. Das muss am Ende auch zur Bank, gegebenenfalls mit Geldtransportern. Und auch den Aufwand fürs Zählen, für Annahme und Ausgabe lassen sich die Banken bezahlen, vor allem beim Kleingeld. Je geringer dann das Bargeldaufkommen eines Geschäfts ist, umso mehr wird der Druck steigen, das Bargeld zu hinterfragen. Beim Scheck war es auch der Aufwand, der letztlich dessen Ende mit besiegelt hat.

Eine Frau lässt sich 2018 an einer Kasse in einem Supermarkt Bargeld auszahlen.
Viele lieben noch ihr Bargeld in der Tasche. Bildrechte: picture alliance / dpa Themendienst | Benjamin Nolte

Verdrängt die Bequemlichkeit bald das Bargeld?

Umgekehrt: Wenn fast alle Leute eines Geschäfts mit Bargeld bezahlen, lohnt sich natürlich das Kartensystem nicht für den Händler. Um die 25 Euro Fixkosten monatlich fallen an für ein Terminal, dazu um die zehn Cent je Girokarten-Transaktion plus rund ein Prozent des Umsatzes sollen als Orientierungspunkte reichen. Es kommt sehr auf den Vertrag des Händlers mit seinem Bank beziehungsweise dem Dienstleister an und: Kreditkarten sind deutlich teurer.

Wenn ich als Händler im ländlichen Raum 90 Prozent Barzahler habe, dann wäre ich ja schön doof, wenn ich auf Barzahlung verzichten würde.

Horst Rüter, Zahlungsexperte Forschungsinstitut des Handels EHI

Also der Handel hebt an dieser Stelle die Hände und sagt: Wir nehmen das, was ihr uns gebt. Aber wahrscheinlich wird am Ende die Bequemlichkeit das Bargeld immer mehr verdrängen. Das muss aber noch lange nicht bedeuten, dass es ganz verschwinden wird. Die Schweden oder die Norweger zum Beispiel hängen trotz Kartenzahlung immer noch an ihren geliebten Kronen. 

MDR (dvs)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 12. Oktober 2023 | 16:40 Uhr

0 Kommentare