Ein Mann geht am Hauptbahnhof mit seinem Fahrrad zwischen der Werbung für das Deutschlandticket und einer Regionalbahn vorbei.
Seit dem 1. Mai 2023 gibt es das Deutschlandticket. Aktuell kostet es 49 Euro. Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Der Redakteur | 11.10.2023 Deutschlandticket: Wer profitiert bisher und was muss passieren, damit es mehr werden?

11. Oktober 2023, 16:49 Uhr

Ist das Deutschlandticket wirklich nur etwas für Städter? Unser Redakteur Thomas Becker geht der Frage nach, wer von dem 49-Euro-Ticket profitiert und wie man das Angebot noch verbessern kann?

Thomas Becker
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Am meisten und direkt profitieren von den subventionierten Tickets natürlich Menschen, die wegen eines gut ausgebauten ÖPNV und perfekten Entfernungen zur Arbeit ohnehin mit Bus und Bahn unterwegs sind. Deren Tickets werden quasi subventioniert - nur fürs Klima bringt das eigentlich gar nichts, denn die fahren ja schon längst klimafreundlich.

Prof. Gernot Liedtke vom Institut für Verkehrsforschung des DLR hat zwei weitere Gruppen ausgemacht, die durch das Deutschlandticket zum ÖPNV wechseln oder wechseln könnten. Das sind einerseits Leute, deren Weg bisher durch zwei oder mehr Verkehrsverbünde führte. Die haben wegen der Doppelkosten verständlicherweise bisher das Auto genommen, steigen aber mit dem einheitlichen Deutschlandticket einfach und kostengünstig auf den ÖPNV um.

Die zweite Gruppe sind Ausflügler, die regelmäßig etwas weiter reisen wollen, so um die 200 km vom Wohnort entfernt. Nach dem großen Wurf zur Verkehrswende klingt das aber auch noch nicht.

Ein Zug der DB Regio auf dem Hbh Berlin.
Mit 9 Euro quer durchs Land: Das 9-Euro-Ticket war für viele arme Menschen ein Luxus zum Schnäppchenpreis. Das Deutschlandtickt für 49 Euro holt diese Menschen hingegen nicht mehr ab. Bildrechte: imago/Rainer Weisflog

Das Strohfeuer 9-Euro-Ticket

Das 9-Euro-Ticket war ein Verkaufsschlager und hat auch große Teile der Gesellschaft mitgenommen, resümieren die Forscher um Prof. Gernot Liedtke vom Institut für Verkehrsforschung am DLR. "Die soziodemographischen Eigenschaften der 9-Euro-Ticket-Kundinnen und Kunden entsprechen zu großen Teilen dem Durchschnitt der Bevölkerung", so steht es in der Studie. Wobei es einen deutlichen Stadt-Land-Unterschied gibt. Menschen in größeren Städten besaßen häufiger ein 9-Euro-Ticket als Personen aus kleinen Städten und Gemeinden.

Ein Ticket-Automat steht am Bahnhof, wo gerade auch ein IC hält. 13 min
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13 min

Prof. Gernot Liedtke von Institut für Verkehrsforschung DRL erklärt im Interview, inwieweit das 49-Euro-Ticket zur Verkehrswende beiträgt und wer genau von dem Ticket profitiert.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Mi 11.10.2023 16:40Uhr 13:09 min

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Mit Blick auf die Teilhabegerechtigkeit war das auch für Menschen mit wenig Geld die Chance, mal raus zu kommen, ergänzt Philipp Kosok von der Initiative Agora Verkehrswende. Für 9 Euro durch ganz Deutschland, das war schlicht ein Schnäppchen. Das aktuelle Abo-Angebot für 49 Euro und für demnächst wohl noch mehr Geld, nützt diesen Menschen aber meistens gar nichts.

Diese Menschen haben wir mit dem Deutschlandticket wieder verloren.

Philipp Kosok, Agora Verkehrswende

Hier könnten zum Beispiel Sozialtickets für mehr Gerechtigkeit sorgen, die aber aktuell nur einige wenige Bundesländer anbieten. Aber mehr Gerechtigkeit ist auch keine Verkehrswende.

Der Einzelkämpfer Deutschlandticket

Das Deutschlandticket ist zu wenig für den großen Wurf klimaneutraler Mobilität, sagen die Verkehrsforscher. Und schnelle Lösungen für die Versorgungslücken werden wir auch nicht überall haben. Die Verkehrswissenschaftler sind sich auch dahingehend einig, dass es quasi den Leuten so bequem gemacht werden muss wie möglich. Dass der ÖPNV eben auch wirklich zur praktischen Auto-Alternative werden kann.

S-Bahn überquert beschrankten Bahnübergang 20 min
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Niedrigschwellig ist das Stichwort. Dazu gehört, dass man zu verlässlichen Zeiten einsteigen kann, kein Studium braucht, um die Tarifzonen zu durchschauen und das zu einem Preis, der attraktiv ist und die Fläche abdeckt. So ganz nebenbei müssen die Angebote der verschiedenen Träger (Stichwort Länder und Kreise) besser vernetzt werden. Der Bus darf nicht an der Kreisgrenze umdrehen. Die Schritte ins neue Mobilitäts-Schlaraffenland werden nacheinander erfolgen müssen und eigentlich ist das Ticket schon der zweite Schritt, sagt Philipp Kosok von der Initiative Agora Verkehrswende.

Eigentlich hätte man zuerst das Angebot ausbauen müssen.

Philipp Kosok, Agora Verkehrswende

Mobile App für 49-Euro-Ticket
Das Deutschlandticket ist noch weit davon entfernt, eine echte klimaneutrale Mobilität zu gewährleisten. Bildrechte: IMAGO/imagebroker

Nur das dauert und kostet viel Geld, sagt Dr. Lukas Tomberg vom RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Neben zusätzlichen Angeboten befürworten die Forscher vom Leibnitz-Institut auch Ansätze, schlecht frequentierte Strecken attraktiver zu machen. Beispielsweise die vom Dorf in die Kleinstadt. Dazu gehört auch, dass das Autofahren in großen Innenstädten teilweise mit einer Citymaut belegt wird.

Mit den Einnahmen können auch die Busstrecken auf dem Land finanziert werden. Auch muss es preislich einen Unterschied ausmachen, ob man mit Bus oder Bahn eine wenig befahrene Strecke bzw. abseits der Pendlerzeiten unterwegs ist oder zu den Stoßzeiten das Gewühl verstärkt. Und nicht jeder braucht gleich ein Monatsabo.

Ein wichtiger Punkt ist, dass man nachfragegesteuerte Anreize ergänzen sollte.

Dr. Lukas Tomberg RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

Wird der Individualverkehr zu Unrecht verteufelt?

Die Verkehrswende wäre eine gute Gelegenheit, mit unschlagbaren Angeboten zu überzeugen und die Verbote mal außen vor zu lassen. Denn es wird bei allen Rufbus-Ansätzen viele Gegenden geben, in denen es einfach keinen Sinn macht, ständig ÖPNV vorzuhalten, für den Fall, dass sich doch mal einer vom Gehöft bewegt. Zumal der eher selten in die Stadt muss, sondern vielleicht auf den Acker oder mit der ausgebauten Pumpe zum Landmaschinenservice. Viel Spaß im Bus! Der Verkehrsforscher Prof. Gernot Liedtke sagt, in ländlichen dünn besiedelten Bereichen kann der Individualverkehr – also auch das Auto – nicht nur für das Individuum die bessere Wahl sein, sondern auch für die Gesellschaft.

Ein Bus ist schwerer, auch der muss angetrieben werden, er benötigt Personal und verursacht Kosten, da kann es gesamtgesellschaftlich sinnvoller sein, ein Auto zu besitzen, statt Busse fahren zu lassen.

Prof. Gernot Liedtke Institut für Verkehrsforschung DLR
Regionalzug und Auto fahren in Hügellandschaft aneinander vorbei. 15 min
Bildrechte: IMAGO / Wolfgang Maria Weber
15 min

Lukas Tomberg vom RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung erklärt im Interview, wie die Verkehrswende gelingen kann und welche Alternativen zu dem Deutschlandticket in der Zukunft sinnvoll wären.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Mi 11.10.2023 16:40Uhr 15:24 min

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Und da es bei der Verkehrswende ja vor allen ums Klima geht, könnte zum Beispiel statt einer Buslinie in abgelegenen Regionen auch die Wallbox nebst Solaranlage gefördert oder das dicke Kabel verlegt werden. Bedeutet: Wer ohne Individualverkehr nicht auskommen wird, weil Aufwand und Nutzen einfach in keinem Verhältnis stehen, der bekommt eben den Anreiz, auf einen klimafreundlicheren Individualverkehr umzusteigen. Die Ideenbörse hat geöffnet.

Unvergleichlich: Stadt und Land

Eines ist auch klar: Was in der Großstadt überlebensnotwendig ist, weil sich die Autos stapeln – auch die umweltfreundlichen – das ist auf dem Land überhaupt kein Thema. Hier gibt es weniger Parkplatzsorgen, es muss auch kein Platz für Busspuren frei geräumt werden.

Höchstens Fahrradwege wären ganz nett und die könnten ja auch Teil des Gerechtigkeitsausgleichs sein, den die Menschen bekommen, denen die Subventionierung des Deutschlandticket nichts nützt. Nur müssen wir am Ende ehrlicherweise auch eine Gesamtrechnung aufmachen: Wohnraumkosten auf dem Land plus Autokosten gegen städtische Mietwucher plus Deutschlandticket. Und da ist die ländliche Ruhe noch nicht einmal eingerechnet.

Quelle (mw,ask)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 11. Oktober 2023 | 16:40 Uhr

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MAENNLEiN-VON-DiESER-WELT vor 28 Wochen



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