Liveact mit Feuereffekten
Beim ESC in London 2023 hat der deutsche Beitrag nur den letzten Platz erreicht. Bildrechte: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Der Redakteur | 17.05.2023 ESC: Wie kann Deutschland beim Eurovision Song Contest besser werden?

16. Mai 2023, 15:30 Uhr

Letzter Platz beim Eurovision Song Contest - schon wieder. Der Musikrat hat sich eingeschaltet und der ARD empfohlen, aus dem Wettbewerb auszusteigen. Das Land der Dichter, Fußball-Weltmeister und Musiker. Man denke nur an Brecht, Beckenbauer oder Bach - doch beim ESC geht seit Jahren gar nichts mehr. Woran liegt das? Und wie geht es besser?

Thomas Becker
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Sänger und Ex-ESC-Teilnehmer Guildo Horn hat uns lieb, das ist bekannt und deshalb will er uns gleich mal für ein Jahr aus dem Wettbewerb nehmen. So wie ein Papa, dessen Kind sich im F-Junioren-Fußballspiel nicht für das Turnier, sondern für Gänseblümchen interessiert. Zur WM - um im Bild zu bleiben - kümmerten wir uns auch mehr um die Randthemen und wie war es beim ESC?

Ralph Siegel, Nicole und Bernd Meinunger, 1982
Ralph Siegel, Nicole und Bernd Meinunger, 1982 Bildrechte: IMAGO / Lindenthaler

Deutschland hat einst die Welt mit Nicole bezaubert, nur mit der Gitarre auf der Bühne. "Lovely Lena" alias Lena Meyer-Landrut heimste 2010 in Oslo die meisten Punkte ein und verzückte Publikum und Jurys gleichermaßen, die reihenweise den zwölf Points ein "Lovely Lena" hinterherwarfen.

Dr. Pop: 120-Minuten-Show versucht, auf drei Minuten zu komprimieren

Und nun die Metal-Band "Lord of the Lost", die "ein bisschen zu viel wollte", wie es "Dr. Pop", Dr. Markus Henrik, im MDR THÜRINGEN-Interview formuliert. Henrik hat wirklich einen Doktor-Titel im Popbereich und ist ein gefragter Experte, nur offenbar noch nicht im Song-Contest-Auswahlverein. "Lord of the Lost" hätten viele Effekte genutzt, seien aber trotzdem Letzte geworden.

Sie wollten in drei Minuten eine 120-Minuten-Show komprimieren, mit Höhen und Tiefen, lauten und leisen Stellen. Sie haben - hat man hinterher analysiert - am meisten die vorhandenen Effekten genutzt, sind aber trotzdem Letzter geworden.

"Dr. Pop", Dr. Markus Henrik, Musikexperte
Dr. Pop 18 min
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Dr. Markus Henrik ist Musikexperte und hat das deutsche Lied analysiert. Er sagt, es hat laute und leise Stellen und viele Effekte genutzt - sei aber trotzdem letzter geworden.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Mi 17.05.2023 16:10Uhr 17:52 min

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Da sind wir wieder bei "Lovely Lena". Und auch ESC-Urgestein, Komponist und Produzent Ralph Siegel sieht die Hauptursache bei der Songauswahl. Beide Experten betonen, dass "Lord of the Lost" hervorragende Musiker sind, die sich - was den Frontman betrifft - sogar auch einen Lebenstraum erfüllt haben. Nur leider wurde der zum Albtraum. Irgendwie waren sie zur falschen Zeit der falsche Lord.

 Lord Of The Lost aus Deutschland reagieren nach ihrem Auftritt mit «Blood & Glitter» beim Finale des 67. Eurovision Song Contest (ESC) in der M&S Bank Arena.
Lord Of The Lost aus Deutschland nach ihrem Auftritt mit "Blood & Glitte" noch zuversichtlich. Bildrechte: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Falsch mit ihrer brachialen Art, Musik zu machen, in einer Zeit, in der sich Menschen vielleicht etwas anderes brauchen. Ralph Siegel störte sich daran - und hatte das auch schon vor dem Auftritt gesagt - dass das Wort "Blut" in Zeiten des Krieges vielleicht nicht so explizit in den Mund genommen werden sollte. Gefühl und Herz seien die bessere Wahl gewesen.

Man muss auch sagen, dass die Interpreten mit wirklich guten Liedern vorn gewesen sind. Auch die Israelin mit Charme, Herz und Gefühl.

"Mr. ESC"-Ralph Siegel im MDR THÜRINGEN-Interview
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Den Menschen Freude machen, das wäre es gewesen aus Sicht von Ralph Siegel. Der verweist auf die Regularien: Nur die ersten zehn Künstler bekommen die Punkte, das heißt: Man muss in Erinnerung bleiben und zwar positiv, bis alle zum Telefon greifen.

Aber Ralph Siegel bringt noch einen anderen Aspekt ins Spiel. Man muss einen Mittelweg finden, der die Geschmäcker der Menschen in ganz Europa trifft, die Südeuropäer genauso wie den Norden oder Osten. Leider sei seine Erfahrung nicht mehr gefragt, so Siegel, der in Frankreich, Italien, Spanien, England und den USA gelebt hat. Dort zu leben heißt ja auch, die Musik aufzusaugen, die dort gespielt und gehört wird.  

Ralph Siegen reichte vier Songs für Liverpool ein

Gleich vier Songs hatte Ralph Siegel für den diesjährigen ESC eingereicht, geschafft hat es keiner. Es reiche nicht, dass sich - noch einmal - sehr gute Musiker mit ihrer eigenen Musik beschäftigen und nicht mit dem Wettbewerb und ganz Europa, so Siegel. Für seine vier Titel habe er sich mit den Künstlern sehr viel Zeit genommen bei der Produktion, um eben möglichst Maßgeschneidertes abzuliefern. Geholfen hat es nicht.

Ich weiß zwar nicht zu 100 Prozent, wie es geht. Aber ich weiß zu 1.000 Prozent, wie es nicht geht.

Ralph Siegel im MDR THÜRINGEN-Interview

Anderes Auswahlverfahren für ESC vorgeschlagen

Auch Dr. Markus Henrik würde am Auswahlverfahren einiges ändern. Mehr Zeit lassen und ein größeres Auswahlverfahren wählen. Es sei keine gute Idee, wenn die Titel nur ein ganz kleiner redaktioneller Kreis aussucht. Das habe die Vergangenheit gezeigt. Natürlich hat es einen Vorausscheid gegeben, aber die Vorauswahl war eben nicht sonderlich gut getroffen. Und Ikke Hüftgold hätte sicherlich nicht schlechter abschneiden können.

Mimimi - Keiner hat uns lieb? Und dazu die Kosten

Guildo steht mit seiner Forderung einer ESC-Pause nicht alleine. Sogar der Deutsche Musikrat (DMR), der nationale Dachverband für Musikkultur, ist ganz bei ihm. DMR-Generalsekretär Christian Höppner sieht den ESC als "zweitklassige Show, bei der die künstlerische Qualität nur noch eine untergeordnete Rolle" spiele. Er legt der ARD nahe, den Eurovision Song Contest nicht mehr mitzufinanzieren und dafür "nachhaltig in ein qualitativ hochwertiges Kulturangebot" zu investieren.

Nur werden wir mit dem Geld nicht allzu weit kommen. Die Startgebühr, zahlbar an die European Broadcasting Union (EBU), hat Deutschland nach Angaben von RP Online dieses Jahr 473.000 Euro gekostet. Hinzu kommen die Produktionskosten vor Ort, u.a. für das Programm drumherum und Frau Schöneberger. Laut NDR ist das verglichen mit anderen Unterhaltungsshows günstig und von Sportrechten vom Typ WM oder EM wollen wir gar nicht erst reden. Bei der EM können wir uns 2024 - wie beim ESC - nicht einmal über die Qualifikation rausschleichen. Vielleicht läuft es dort ja besser, weil nicht das Publikum entscheidet, sondern allenfalls der Videoschiedsrichter. Aber der kann uns ja auch nicht mögen. Doch von dieser Diskussion halten Ralph Siegel und Markus Henrik nichts. Sie sind der Meinung, dass es nicht am Image der Deutschen liege.

Es ist nicht so, dass in Europa alle vor dem Fernseher sitzen und sagen: Die blöden Deutschen, denen geben wir keinen Punkt.

"Dr. Pop", Dr. Markus Henrik, Musikexperte

Es sei normal, bei der Analyse auf sich zu schauen, aber es sei eher so gewesen, dass wir ignoriert wurden, weil die Menschen sich halt auf die anderen konzentriert haben. Immerhin liefen noch 25 weitere Titel im Wettbewerb. Der Song habe keinen so richtig gepackt, bilanziert Henrik. Und Ralph Siegel? Er sieht keinen Negativtrend auf der nach unten offenen  Beliebtheitsskala. Wir sind also nicht im freien Fall.

Wir waren vor 40 Jahren, als wir Platz 1, 2 oder 3 gemacht haben, weniger beliebt als heute!

Ralph Siegel im MDR THÜRINGEN-Interview

Was machen wir nun?

Entweder wir machen wieder mal was ganz Neues oder greifen auf Altbewährtes zurück. Oder halt irgendwas dazwischen. Stefan Raab dürfte keine Lust haben, er gibt nicht einmal mehr Interviews. Aber er hatte es immerhin geschafft, Pro7 und die ARD zusammenzubringen und damit irgendwie auch Deutschland. Es gab Public Viewing wie zu besten Sommermärchenzeiten und am Ende haben wir gewonnen. Zumindest bei der Musik. Vielleicht sollten wir Fußball und Musik einfach mal zusammendenken. Olé! Ralph Siegel stünde nach eigenen Aussagen bereit.

Man hat Beckenbauer zurückgeholt und was hat er gemacht? Die Mannschaft zum Titel geführt. Ich würde mich freuen, wenn mich jemand anruft.

Ralph Siegel im MDR THÜRINGEN-Interview

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MDR (ifl)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 17. Mai 2023 | 16:40 Uhr

2 Kommentare

Maschinist vor 49 Wochen

Willie hat recht.
Deutschland belehrt nicht nur gern die eigenen Bürger, sondern auch fremde Staaten.
Das hat seinen Preis. Wir sind unbeliebt.
Es gab viele Titel die belangloser waren oder auch richtig schlecht und das nicht nur dieses Jahr.
Selbst Kroatien war noch vor uns!
Wir sollten raus aus dem ESC und dafür den Bundesvision Song Contest zurückholen.

Willie vor 50 Wochen

Ich denke schon, dass Guildo Horn die richtige Meinung zum ESC vertritt und so sehen es auch viele meiner Bekannten so. ich denke der deutsche Beitrag war nicht besser oder schlechter als 90 % der anderen Titel und hätte einen Platz unter den ersten 10 verdient. Nur wenn man die Ergebnisse der letzten Jahre betrachtet, war es ebenso und das Ergebnis: Letzter bzw. irgendwo am Ende. Ich bin der festen Überzeugung (wie viele Andere auch), dass man Deutschland hier mal eins "auswischen" möchte. Das Auftreten Deutschlands auf der Weltbühne ist eben zu oft gekennzeichnet von Besserwisserei. Klimachaos, Menschenrechte, oberlehrerhaftes Verhalten bezüglich Andersdenkender, Demokratieverständnis usw.. Und das führt halt zur ablehnenden Haltung auch beim ESC.