Leere Stühle in einem Klassenraum mit stilisierter Person an einem Schreibtisch und Corona-Virus. Dazu der Schriftzug "Schule im Stresstest" 13 min
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Die Corona-Krise zeigt, dass es im digitalen Bildungsalltag noch nicht so läuft, wie sich Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie Lehrende das wünschen. Woran liegt das und wie weit sind unsere Schulen?

Di 28.04.2020 10:35Uhr 13:21 min

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Noch ganz am Anfang Digitalisierung der Schule

30. April 2020, 18:40 Uhr

Der Digitalpakt sollte helfen, die Schulen endlich mit ausreichend moderner Technik auszustatten und die Digitalisierung der Bildung voranzubringen. Die Corona-Krise zeigt: Die Lücken und Schwächen im System sind noch gewaltig. Gleichzeitig könnte das auch eine große Chance sein. Ob die Erfahrungen der Homeschooling-Zeit die Entwicklungen voranbringen, ist noch offen.

Dass bei der Digitalisierung der Schulen in Deutschland dringend Nachholbedarf besteht, darüber war man sich auch schon vor der Corona-Krise weitgehend einig. Für den „Digitalpakt Schule“ wurde sogar eigens das Grundgesetz geändert, damit der Bund die Schulen finanziell unterstützen kann – obwohl Bildung eigentlich Ländersache ist. 5,5 Milliarden Euro für fünf Jahre wurden von Bund und Ländern bereitgestellt – das klang erstmal nach einer Menge Geld und war ein Versprechen an die Schulen, Lehrende und Eltern: Hier soll endlich aufgeholt werden!

Doch die plötzlichen Schulschließungen durch die Corona-Krise erweisen sich als Stresstest für die digitale Bildung: Plötzlich wird sehr deutlich, was tatsächlich funktioniert und was nicht.

Digitale Medien mit positiven Effekten

Wenn digitale Medien im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden, können sie den Unterricht auf besondere Weise ergänzen und den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler verbessern. Dabei sind die Möglichkeiten sehr vielfältig: Mit Hilfe von digitalen Spielen zum Beispiel wird die Fantasie beflügelt und die Motivation von Schülern gesteigert. Dank Virtual Reality oder besonders anschaulichen Lernprogrammen kann der Lernstoff besser erfahrbar gemacht werden. Aufgaben und Lernfortschritte können dabei von den Lehrenden individueller betreut werden und Schüler werden angeregt, sich das Wissen selbstständig zu erarbeiten – eine Kernkompetenz, die für das spätere Arbeitsleben immer wichtiger wird. All diese Vorteile treten aber nicht selbstverständlich ein, nur weil in Schulen die entsprechende Technik vorhanden ist. Es benötigt vor allem Pädagoginnen und Pädagogen, die diese digitalen Hilfsmittel einzusetzen wissen.

Corona zeigt Schwachstellen

Gerade die Homeschooling-Erfahrungen in der Corona-Krise zeigen, wo die bestehende Technik an ihre Grenzen stößt, wenn sie denn vorhanden ist: Statt den Unterricht tatsächlich in eine digitale Umgebung zu verlagern, behelfen sich viele Lehrende damit, analoge Aufgabenblätter einzuscannen und per E-Mail an die Eltern und Schülerinnen und Schüler zu versenden.

Es ist ein Versuch, mit der Lage umzugehen – digitale Bildung, so wie sie sich Bildungswissenschaftler vorstellen, ist es noch nicht. Doch den Lehrenden kann kein Vorwurf gemacht werden, sind sie in Sachen digitaler Medien oft nur unzureichend ausgebildet und dank Lehrermangel meist ohnehin schon überlastet. Das Homeschooling ist auch für sie eine völlig neue Erfahrung, die einiges an Improvisation erfordert.

Datenschutz besteht auf Einhaltung der Rechtslage

Die deutsche Bürokratie ist dabei keine große Hilfe: Lehrer-E-Mail-Accounts und offizielle Schulclouds stoßen schnell an ihre Grenzen, wenn Lehrende versuchen, wirklich attraktive Lernangebote zu erarbeiten. Dabei sind sie seitens der Kultusministerien oft als einzige datenschutzkonforme Möglichkeiten benannt, um den Schulunterricht im Digitalen weiterzuführen. Andere, frei im Netz zugängliche Angebote sind häufig aus Datenschutzgründen für den offiziellen Schulbetrieb unzulässig und erhalten keine Freigaben der Datenschutzbehörden.

Darüber hinausreichende Empfehlungen dürfen die Datenschützer aber „aus wettbewerbsrechtlichen Gründen“ nicht aussprechen – Lehrende und Schulen sind bei der Recherche nach Alternativen also oftmals auf sich allein gestellt. Hier ein Auge zuzudrücken und in der Krisensituation den Datenschutz hinten anzustellen, ist zumindest für den Thüringer Datenschutzbeauftragten Dr. Lutz Hasse aber keine Option.

Gerade in der Krise müsse sich Recht bewähren, argumentiert Hasse im MDR MEDIEN360G-Interview. Der Versuch, in der Digitalisierung etwas schneller voranzukommen als bislang, rechtfertige es nicht, sich dafür von Grundrechten und geltendem Recht zu verabschieden.

Was bleibt nach der Krise?

Ob die Corona-Krise auf lange Sicht die Digitalisierung tatsächlich voranbringen wird oder eher eine Rückbesinnung auf traditionelles, analoges Lernen bewirken könnte, darüber sind sich Experten noch uneinig.

Prof. Manfred Spitzer von der Universität Ulm beispielsweise ist ein erklärter Kritiker der Digitalisierung an Schulen. Für ihn zeigt sich gerade jetzt im Homeschooling „die Begrenztheit des Digitalen“. Lehrer seien nach wie vor unverzichtbar. Außerdem werde aktuell deutlich, dass digitale Medien die sozialen Unterschiede zwischen stärkeren und schwächeren Schülern noch einmal verstärken können. Er geht davon aus, dass Lehrende wie Schülerinnen und Schüler froh sein werden, nach Corona endlich wieder zur Normalität zurückkehren zu können. 

Der Geschäftsführer des Digitalverbands Bitkom Dr. Bernhard Rohleder sieht hingegen eine große Chance in den aktuellen Entwicklungen. Er geht davon aus, „dass die positiven Erfahrungen über den Tag hinaus wirken werden“. Man müsse sich zukünftig aber unbedingt mehr auf die Aus- und Fortbildung von Lehrern konzentrieren, damit der Digitalpakt Schule auch tatsächlich funktionieren könne, so Rohleder.

Wie es mit der Digitalisierung von Schule und Bildung weitergeht, ist gegenwärtig noch völlig offen. Aber dass die Corona-Krise die Entwicklung der digitalen Bildung in Deutschland in irgendeiner Form beeinflussen wird, davon ist auszugehen. So hat auch die Politik schon einige Schritte angekündigt, um auf die Erfahrungen zu reagieren: Das Thüringer Kultusministerium etwa plant, Digitalschulungen für Lehrende über die aktuelle Situation hinausgehend künftig regelmäßig anzubieten.

Außerdem gibt es Überlegungen, ob nicht auch der Digitalpakt insgesamt noch einmal angepasst werden müsse. So wird diskutiert, ob vor der Digitalisierung der Schule nicht viel mehr die individuelle Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit Technik Vorrang haben sollte - eben um soziale Unterschiede besser ausgleichen zu können.

In jedem Fall aber bekommt die digitale Bildung in Deutschland durch die Corona-Krise jetzt endlich deutlich mehr Aufmerksamkeit. Die Krise zeigt außerdem noch einmal deutlich, wie wichtig die Rolle der Lehrenden in unserer Gesellschaft eigentlich ist. Denn es gibt vieles, auf das wir eine Zeit lang verzichten können – eine gute Bildung gehört nicht dazu.